Freitag, 22. November 2024, 05:25:23

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 8)

Über 1500 Kilometer zu siebzehn schottischen Brennereien

Wir freuen uns, Ihnen jeden Sonntag ein Stück einer wunderbaren Geschichte über Schottland, Whisky und das Reisen vorstellen zu dürfen: Exklusiv im Vorabdruck präsentieren wir Ihnen Whisky Cycle, das neueste Buch von Uli Franz.

Uli Franz lebt als Schriftsteller im Chiemgau und auf der dalmatinischen Insel Brac’. Von 1977-80 arbeitete er als Zeitungskorrespondent in Peking. Über China und Tibet veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen Radgeschichten und „Die Asche meines Vaters“ (Rowohlt Verlag).

Das Buch Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland (ca. 320 Seiten)  erscheint am 01.02.2021 im Alba Collection Verlag GbR. Es kann zum Preis von 19,- Euro hier vorbestellt werden.

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Die Radtour zu 17 schottischen Destillerien. Karte von Alba Collection

-hier geht es zur Folge 7-

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 8)

Das ungeschriebene Bargesetz „Selbstbedienung“ speicherte ich im Hinterkopf, die Flasche gab ich nach dem Notieren der Informationen zurück und mit dem bescheiden gefüllten Glas verkroch ich mich in eine ruhige Ecke der voller und voller werdenden Hotelbar. Mit dem Glas Organic vor mir, wartete ich auf meine Verabredung, die hoffentlich bald kommen würde. Nun ja, es war erst zehn Minuten über der verabredeten Zeit. Ich zwang mich zur Gelassenheit und widmete mich dem Glas vor mir auf dem Tisch.

Strohhell strahlte der Organic mich an und als ich an seiner Blume zuerst mit dem rechten und anschließend dem linken, sensibleren Nasenflügel schnupperte, ganz ruhig und ohne zu übertreiben einatmete, empfing ich Aromen von Orange und Zitrone. Keine Spur von Rauch, Räucherschinken oder Terpentin, wirklich ein gefälliger Strauß frugaler Noten. Erwartungsvoll wagte ich den ersten Schluck, nur einige Tropfen träufelte ich in die Kiefermulde unter die Zunge. Augenblicklich weckten die 50 % vol. Alkohol den Speichelfluss in den Backentaschen. Ich kaute die Tropfen ganz bewusst und schmeckte viel Malz und Holz am Gaumen. Auch cremiges Toffee Konfekt. Als der Schluck den Schlund passierte, fiel mir gleich das viele Holz auf. Die bestimmende Note von American Oak war mir zu eindimensional, zu plump durch die Speiseröhre geronnen und hatte sich recht schnell verflüchtigt. Nach dieser Kostprobe drängte sich alsbald die Frage auf: wo versteckten sich die biodynamischen Eigenschaften, das besonders intensive Geschmackserlebnis, das man beim Verzehr von Biogemüse erlebt? Beim Organic von Bruichladdich kam der biologische Gersteanbau in der Sensorik nicht zur Geltung. Für meinen Geschmack unterschied er sich in nichts von einem herkömmlich produzierten Single Malt. Aus diesem Grund fiel meine Bewertung mit zwei Stützrädern recht mittelmässig aus.

Im gut gefüllten Barraum hatte mich meine Verabredung entdeckt und sich mit einem Glas dunklem Ale zu meinem Wandtisch durchgedrängelt. Hier, in der hintersten Ecke, ließ es sich gut reden, die Menschentraube verdichtete sich um die große Bar und verschonte die hinterste Ecke mit ihrer Feierabendlaune.

„Hey Kajus! Schön, dass du gekommen bist, was magst du trinken?“

„Danke, hab mir schon ein Bier geholt“, sagte der Litauer, der frischrasiert und herb duftend in einer schwarzen Lederjacke an meinen Tisch trat. Sportlich attraktiv überragte er die meisten der Gäste. Irgendwie fühlte ich mich geehrt, als er sich mit einem gewinnenden Lächeln zu mir setzte. „Entschuldige, wie heißt du nochmals, ich habe leider deinen Namen vergessen.“

„Uli!“

„Jetzt fällt’s mir wieder ein. War ein hektischer Tag, über hundert Besucher hatten wir heute noch. Du bist mit dem Fahrrad gekommen. Alle Achtung! Nun erzähl mal, was hat dich nach Schottland verschlagen?“

„In den nächsten vier Wochen will ich von Brennerei zu Brennerei radeln, um ein Buch über Whisky zu schreiben. Und an Islay kommt keiner vorbei, nicht mal einer, der Torfwhiskys nicht ausstehen kann“, antwortete ich ganz ehrlich.

Kajus hob den Daumen. „Tolle Idee, das würde mir auch gefallen. Mit dem Fahrrad auf Tasting-Tour gehen, von einer Destillerie zur nächsten, bis ich meinen Lieblingswhisky gefunden habe.“

„Ja nur, das hört sich einfacher an als man glaubt. Allein heute probierte ich vier Malts, einen bei euch, zwei bei Lagavulin, einen bei Ardbeg. Ehrlich gesagt, nur weil ich mir Notizen mache, kann ich mich noch erinnern wie jeder aussieht, riecht, schmeckt und wie er vor allem im Abgang ist. Von heute sind die Eindrücke noch frisch, aber ich habe vor fünf Tagen Auchentoshan in Glasgow besucht und aus dem Stegreif könnte ich dir nicht mehr sagen, wie die beiden Dram dort schmeckten. Nur weil ich jede Verkostung in meinem Tagebuch notiere, kann ich mich noch an Details erinnern. Schließlich habe ich noch viele Brennereien vor mir, morgen Bruichladdich, dann geht’s weiter nach Campbeltown.“

„Respekt, da hast du ja noch einige Meilen vor dir.“

„Ja schon, darüber reden wir später. Jetzt würde ich gerne wissen, wie du zu Laphroaig gekommen bist?“

Kajus fuhr sich durch das dichte Haar und überlegte einen Moment. „Kurz gefasst, meine Eltern kamen vor fünfzehn Jahren aus Litauen und haben sich in Manchester niedergelassen. Später sind sie nach Glasgow umgezogen, wo mein Vater einen Job in einer Flaschenfüllstation von Diageo fand. In Glasgow habe ich vor zwei Jahren mit Betriebswirtschaft an der Caledonian University angefangen. Nach vielen Bewerbungen und Beziehungen fand ich schließlich die Anstellung bei Laphroaig, weil die ihren Whisky auch in Glasgow in der Station meines Vaters abfüllen lassen.“

„Ach so, ich dachte hier auf Islay.“

„Oh nein, Islay ist unter uns gesagt nur noch das Aushängeschild der hiesigen Industrie, eigentlich nur noch ein Marketing Gag.“

„Wie soll ich das verstehen?“

„Die örtlichen Destillerien brennen hier nur noch, da sie den Traditionsnamen „Islay“ auf dem Etikett haben wollen. Aber das Ausgangsprodukt kommt vom Festland oder aus Australien oder den USA, ja sogar seit neuestem aus China. Hast du nicht den riesigen Blechkasten gleich um die Ecke am Fährpier gesehen, dort wird die importierte Gerste gelagert, bevor sie in die Diageo-Mälzerei Port Ellen und von dort gemahlen und aufbereitet an alle örtlichen Brennereien verkauft wird. Selbst das Wasser für die Maische kommt zum großen Teil mit dem Schiff und Tanklastern vom Festland, denn das hiesige Wasser ist so torfhaltig, dass es richtig braun aus der Leitung kommt. Um es trinkfertig aufzubereiten, braucht man aufwändige Filter. Es ist schon verrückt, die lokale Aufbereitung ist teurer als es mit dem Schiff übers Meer herzubringen. Die Insel besteht zu sechzig Prozent aus Torf und alles Wasser in den Bächen zwischen Port Askaig und Port Ellen ist Moorwasser und ungenießbar. Aber auch das Gas zum Befeuern der Brennblasen und zum Heizen kommt mit dem Schiff und mit Tanklastern vom Festland. Schließlich wird auch der Whisky als Bulkwhisky in Tanklastern nach Glasgow abtransportiert, dort mit gefiltertem Wasser gestreckt, bis der vorgeschriebene Mindestgehalt von 40 % vol. erreicht ist. Dann wird der Malt in Flaschen abgefüllt und von Glasgow aus weltweit verschifft.“

Bild: Whiskyexperts

Langsam dämmerte mir, dass ein kluger, aber auch sehr kritischer Kopf vor mir saß, der mit der Situation unzufrieden war. Vielleicht sah er in mir einen Journalisten, dem er sein Leid klagen konnte, dachte ich bei mir und meinte: „Das hört sich ja nach einer ausgetüftelten Spezialisierung an!“

„In BWL nennt man das Diversifikation. So muss es bei euch in Deutschland in der Autoindustrie zugehen: Zulieferung von überall her.“

„Na ja, bei den Mengen an produziertem Whisky geht das wohl gar nicht anders, oder?“, erwiderte ich, um mehr Informationen aus ihm herauszulocken.

„Ginge schon, doch dann wäre der Islay Malt um ein vieles teurer. Dafür gäbe es allerdings mehr Arbeitsplätze. Aber welcher Konzern will schon auf seinen Profit verzichten. Die Whiskygiganten sind alle Weltkonzerne, zum Teil auch Aktiengesellschaften. Aus Profitgründen haben sie in den letzten Jahren die Rationalisierung enorm vorangetrieben. Heute betreuen gerade mal acht bis zehn Arbeiter eine ganze Brennerei, die das Mälzen, die Abfüllung, das Marketing und den Vertrieb ausgelagert hat und nur noch auf die Gärung, das Brennen und die Fasslagerung spezialisiert ist. Eine Handvoll Arbeiter produziert eine Million oder mehr Liter Whisky pro Jahr, das ist doch nicht gut bei der anhaltenden Arbeitslosigkeit in Schottland. Auch in diesem Gewerbe heißt das Zauberwort inzwischen Shareholder Value, das kann ich nicht gutheißen.“

Langsam fragte ich mich, war mein Gegenüber ein Gewerkschafter, gar ein Kommunist, der Sand in die Mühlen des Kapitalismus streute? Verstohlen betrachtete ich ihn, ließ mir aber nichts anmerken und fragte weiter: „Kajus, du sprichst von Giganten, das hört sich nach etwas Bedrohlichem an.“

„Ich könnte auch Monopolisten sagen. Ich spreche nicht von den Kleinbrennereien, ich meine Global Player wie Diageo, Pernod Ricard, Beam Suntory, Rémy Cointreau und Brown Forman, die die Großzahl aller Brennereien in Schottland besitzen, die Eigentumsverhältnisse aber dezent verschleiern. Diese Strippenzieher halten sich bedeckt und agieren im Hintergrund, um dem Konsumenten zu suggerieren, dass die alten Brennereien wie Laphroaig eine eigenständige und seit 1815 durchgehende Firmengeschichte haben. Aber das ist Augenwischerei…“

„Ziemlich heftig, deine Kritik. Kannst du dies belegen?“, fragte ich dazwischen.

„Ja, klar! Ich wurde von Beam Suntory, was ein japanisches Unternehmen ist, eingestellt. Unser Nachbar Lagavulin gehört Diageo und Ardbeg ist der Geldscheißer der Franzosen von Moet Hennessy, denen auch Glenmorangie[1] gehört. Und wenn du morgen Bruichladdich besuchst, sei dir bewußt, die müssen nach der Pfeife von Rémy Cointreau tanzen.“

Kajus hatte sich echauffiert, sichtlich wütend war er auf diese Entwicklung. Mir war die ganze Aufregung aber recht, denn so erhielt ich einige Brocken Insiderwissen, das mir weiterhalf und ich bemerkte in ruhigem Ton: „Wenn ich das recht verstehe, habt ihr hier eine global vernetzte Whiskyindustrie.“

„Genau!“, antwortete Kajus und tippte mit dem rechten Zeigefinger auf mein aufgeschlagenes Tagebuch, derweil fuhr er fort: „All diese Weltkonzerne orientieren sich am Massengeschmack, um so ihren Profit zu steigern und ihren Marktanteil in diesem Kampf auszubauen. Ich kann das am Beispiel von Beam Suntory belegen. Dieser Konzern verkauft seinen schottischen Single Malt vor allem in die USA, wo traditionell Bourbon ‚on the rocks‘ getrunken wird. Da die Amis eben gewohnt sind, ihren Jim Beam eiskalt zu trinken, muss der importierte Scotch chill-filtered sein, um auf dem US-Markt Erfolg zu haben. Kühlfiltrierte Malts gibt es seit 1972, seither werden Pressfilter, ja, sogar gesundheitlich bedenkliche Asbestfilter benutzt, um zu verhindern, dass der Malt bei niedriger Temperatur wolkig im Glas steht. Ich bin ein absoluter Gegner des Filterns, denn dadurch entzieht man ihm eben auch wichtige Ballaststoffe, die seine Textur formen. Für mich wird dadurch die Reinheit des schottischen Whiskys verfälscht und das nur wegen der amerikanischen Vorliebe für einen Scotch auf Eiswürfeln.“ Kajus war richtig in Fahrt gekommen und sprach inzwischen so laut, dass die Gäste vom Nebentisch verwundert herüberschauten. Mit einer beschwichtigenden Handbewegung signalisiete ich ihm, leiser zu reden, was er auch tat.

Mit vorgebeugten Schultern und gesenkter Stimme sagte er: „Vermutlich weisst du, dass man bei einem alkoholischen Getränk die Qualität schlechter kontrollieren kann, je kälter es serviert wird. Ergo kann ein kaltes Getränk von minderwertiger Qualität sein und du merkst es nur schwer, denn bei Kälte lassen sich Aroma und Geschmack nur bedingt feststellen. Riech mal an einem Eis am Stiel, du wirst nichts riechen.“

Jetzt, wo Kajus sein Wissen so fundiert offenbarte, wurde mir immer klarer, dass ich eigentlich recht wenig über die Hintergründe des Whiskymachens wusste.

An der Südküste – Blick Richtung Osten zu Laphroaig

„Damit du mich recht verstehst Uli, ich arbeite nur die Sommersaison über bei Laphroaig, im September gehe ich nach Glasgow zurück und mache meinen Master in BWL.“

Eine gute halbe Stunde war über unserer Unterhaltung verstrichen und ich spürte, dass er langsam die Lust am Kritisieren und Bewerten der ganzen Situation verlor. So fragte ich ihn abschließend: „Kajus, was gibt’s du mir noch für einen Rat für meine weitere Tour?“

„Lass dir Zeit, bring Geduld mit und versuch die nicht so offensichtlichen Arbeitsprozesse in einer Destillerie zu begreifen. Auch die Kniffe der alten Hasen mitzubekommen und leg nicht zuviel Wert auf die organisierten Führungen, auf denen wird viel schöngeredet.“

Ich war froh über seine Offenheit und dass er nicht aus Höflichkeit gegenüber einem Fremden mit seiner Kritik hinter dem Berg gehalten hatte. Als Dankeschön lud ich ihn noch zu einem letzten Absacker nach eigener Wahl ein. Kajus entschied sich für einen Laphroaig, ich für eine kleine Flasche stilles Wasser. Gemeinsam verließen wir ziemlich spät die Hotelbar und vor dem Eingang bekräftigten wir den gemeinsamen Wunsch, in Kontakt zu bleiben.

Längst war die Nacht angebrochen, aber richtig finster war es nicht in diesen hohen Breiten. So konnte ich beobachten wie gewandt Kajus sein Rennrad bestieg und ohne Licht in die Islay-Nacht hinausfuhr. In Gedanken versunken, überaus zufrieden mit dem Erlebten, überquerte ich die ausgestorben daliegende Hafenstraße und sperrte möglichst leise die Haustür zu meinem B&B auf. Voller Vorfreude auf das Frühstück am Tag meiner Weiterreise ging ich zu Bett. Nicht ohne zuvor die Ohren mit den Stöpseln zu versiegeln. Immerhin befand sich meine Ruhestatt direkt an einer dünnen  Rigipswand.

(zur nächsten Folge)


[1] glen-mor-run-jee

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