Donnerstag, 21. November 2024, 21:07:05

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 30)

Über 1500 Kilometer zu siebzehn schottischen Brennereien - Richtung Glen Affric

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Wir freuen uns, Ihnen jeden Sonntag ein Stück einer wunderbaren Geschichte über Schottland, Whisky und das Reisen vorstellen zu dürfen: Exklusiv auf Whiskyexerts präsentieren wir Ihnen Whisky Cycle, das neueste Buch von Uli Franz, als Fortsetzungsgeschichte.

Uli Franz lebt als Schriftsteller im Chiemgau und auf der dalmatinischen Insel Brac’. Von 1977-80 arbeitete er als Zeitungskorrespondent in Peking. Über China und Tibet veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen Radgeschichten und „Die Asche meines Vaters“ (Rowohlt Verlag).

Das Buch Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland (ca. 320 Seiten) ist momentan in der ersten Auflage vergriffen – über Neuigkeiten zu Bestellmöglichkeiten werden wir Sie natürlich rechtzeitig informieren.

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Die Radtour zu 17 schottischen Destillerien. Karte von Alba Collection

-hier geht es zur Folge 29-

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 30)

Der alte Seebär erzählte und erzählte. Ich verstand nicht allzu viel, vermutlich lag es nicht nur am Gälischen, sondern auch an Palstek, Kreuz- und Achtknoten, an all den Seemannsknoten, die er in das Garn seiner Erzählung einwob. Über der Unterhaltung hatte ich mein Abendessen verspeist und langsam leerte sich der Pub. Noch immer erzählte der Kapitän so fesselnd, dass ich meine Müdigkeit vergaß und ihm ergeben lauschte. Sein zerfurchtes Gesicht mit den wasserblauen Augen verkörperte die Wildheit der schottischen Natur und seine Bildung, sein universelles Wissen, die schottische Kultur. Dieser scheinbare Gegensatz schlug mich in seinen Bann. Es wurde richtig spannend, als er vom Whisky zu erzählen anfing. Den Whisky, den hätten natürlich die Schotten und nicht die Iren erfunden. Seine Begründung erstaunte mich, denn unumwunden gab er zu, dass seine Vorfahren noch lange in Höhlen lebten und dort ihre Gerstensuppe in einem offenen Kessel kochten. Beim Einkochen sei der flüchtige Teil der Gerstensuppe verdampft, hätte sich dann an der kalten Höhlendecke gesammelt und nach dem Abkühlen wäre er herabgetropft. Natürlich hätten die Schotten, die ja experimentierfreudige Leute sind, diese Flüssigkeit probiert und festgestellt, dass sie süßlich schmeckt und eine anregende Wirkung hat. So hätten sie uisge beatha, das Wasser des Leben entdeckt. Kurz kniepte er mit dem linken Auge, griff zum Glas Ale und meinte trocken: „Also, das war der Anfang der Destillation von schottischem Whisky – und nicht vom irischen Whiskey.“

Als er mein Stirnrunzeln bemerkte, fügte er hinzu: „Okay, okay, natürlich hat es noch Jahrhunderte des Experimentierens gebraucht, um einen astreinen Single Malt zu gewinnen. Aber wir Schotten waren schon immer geduldige Erfinder – slàinte[1].“ Er hob sein Glas in unsere kleine Runde und leerte es in einem Zug.

Seine Geschichte klang einleuchtend, wenn man weiß, dass die Kondensation das Urprinzip der Destillation ist. Mit meinem schütteren Wissen glaubte ich ihm, weil er sich anscheinend mit dem Brennen von geistigen Getränken auskannte und das Prinzip mit dem kupfernen Brennhut und dem spiralförmigen Geistrohr erklären konnte. Wie ein braver Schüler nickte ich zustimmend, aber im Hinterkopf speicherte ich Fragen, die ich in der Lindores Abbey Distillery am Ende meiner schottischen Reise beantwortet haben wollte. In Lindores Abbey war nämlich erstmals auf schottischem Boden der Vorläufer von Whisky, aqua vitae, urkundlich erwähnt worden und zwar bereits im 15. Jahrhundert.

Der landgestützte Kapitän hatte seine Zunge die ganze Zeit über gut „ge-ale-t“ und plauderte und plauderte. Als wäre ihm ein Gedankenblitz ins Hirn geschossen, legte er seine breite Hand auf meine und sagte zu mir, dem Newcomer: „Es liegt am Wetter, ob ein Whisky seinen Trinker lustig oder rauflustig macht.“

Um diese These augenblicklich zu überprüfen, lud ich ihn, seinen wortkargen Kumpel und den Windkraft-Ingenieur, in dessen Gemüt inzwischen Flaute eingekehrt war, zu einem Dram ein, nicht ohne sie vorher zu fragen, welches ihr Favorit sei. Talisker[2] sei sein Lieblingswhisky, meinte der Ingenieur, aber meine Einladung müsse er leider ausschlagen, da er mit dem Auto da sei. Leider werde in den Highlands streng kontrolliert. Mit dieser Entschuldigung stand er auf und verabschiedete sich vom Rest der Runde. Auch der Kapitän und sein Kumpel lehnten dankend ab, sie wollten beim Ale bleiben. So entschied ich mich für den Alleingang und bestellte einen zehnjährigen Talisker, 45,8 % vol. 

Gegen die Deckenlampe funkelte der Single Malt tabakbraun und in Schräglage klammerte er sich ölig an den Glasboden – nicht übel, dieser Auftritt zu später Stunde. Die erste Nase erfasste viel Rauch, viel Torf und eine gehörige Portion geräucherten Schinken, sogar eine gewisse Fäulnis wie von verwesendem Fleisch, gefolgt von Butter-Aromen. Oh nein, gar nicht meins! Nicht sonderlich attraktiv, die sensorische Performance! Wie in der Nase, so auch am Gaumen: stark rauchig, sehr torfig! Der Talisker war also zweifach von Torf geprägt, im Aroma und im Geschmack, was ihn zu einem medizinischen Doppelpack machte. Kaum, dass der erste Schluck in die Backentaschen floss, schoss Speichel ein. Oh Wunder, ich war verblüfft: der klebrige Speichel streckte die bittere Note. Zum Glück öffnete sich nun eine Wundertüte voll dunkler Schokolade, Karamell und Leder. Hoppla! Hatte sich gar noch vorwitzig eine kleine Chillischote dazugesellt? Der Abgang stimmte versöhnlich. Nach dem medizinischen Entrée offenbarte sich der Talisker überraschend sanft und entfachte ein Brennen, das gut auszuhalten war, weil es recht schnell zu Wärme wurde.

Die Talisker Brennerei ist eine weltberühmte, 1830 auf der Insel Skye gegründete Brennerei, die aktuell zu Diageo gehört. Auch wenn sie nur 144 Kilometer vom Ort meiner abendlichen Verkostung entfernt lag, musste ich sie nicht besuchen, denn die allermeisten ihrer Malts sind mir zu rauchig und ehrlich gesagt, für mich kein Leckerli. Dem Zehnjährigen gab ich zwei Stützräder, weil ein Whisky mit doppelter Medizin, in der Nase und am Gaumen, auch noch fünfzig Jahre später schlimme Erinnerungen an jene Nacht weckte, in der ich als Siebzehnjähriger starb.

Im Pub war der Abend inzwischen vorgerückt und wieder einmal konnte ich feststellen, dass Schotten einen getorften Single Malt einem ungetorften vorziehen und einen Single Malt einem Blend. Als eine Art Mitternachtsbotschaft hörte ich meinen Skipper zu guter Letzt mit schwerer Zunge sagen: „Whisky is the only other thing a Scotsman likes naked“. Na klar, peated and naked – das sagt doch alles über die Präferenzen!

Nicht vom Hahnenschrei, sondern von jenem blechernen Röhren, das auch zu Tagesanbruch erschallte, als hätte jemand mit viel Puste in eine Kindertröte geblasen, wurde ich aus dem Schlaf gerissen. Diese verdammten Viecher! Nun ja, halb so schlimm, der Krach. Die Kürze der Nacht und die Rückenlage auf einer festen Matratze hatten meiner Erholung keineswegs geschadet. Im Gegenteil, ich fühlte mich erfrischt und voller Zuversicht – heute würde ein guter Tag werden.

Über dem Bettvorleger breitete ich die dünne Yogamatte aus und brachte meine Lebensgeister mit zehn Sonnengrüßen ins Fließen, danach duschte ich ausgiebig warm. Immerhin gelang es mir nun im Handumdrehen, die Ratterarmatur korrekt zu bedienen. Keine halbe Stunde später saß ich alleine am Frühstückstisch. In aller Ruhe konnte ich mich auf die anstehende Tagesetappe vorbereiten, indem ich mir mit Google Maps die anstehende Route vor Augen führte. Heute würde ich meinen Wunschort in den Highlands erreichen, darauf freute ich mich schon seit Tagen und vor lauter Vorfreude genehmigte ich mir eine dritte Tasse Kaffee.

* * *

Zurecht wird Glen Affric als Aufmacher in vielen Hochglanzbroschüren vorgeführt. Wie nirgendwo sonst finden sich im Herzen der Highlands Zeugen aus Urzeiten, aus Zeiten, da Schottland noch dicht bewaldet und nicht durch den Raubbau der Römer abgeholzt war. Abgeschieden versteckt sich in einem hochgelegenen Talkessel ein stiller Loch, an dessen Ufer Bäume überlebten, Pinien und krummstämmige Kiefern eines Waldes, den bereits der griechische Universalgelehrte Claudius Ptolemäus (100-160 n.Chr.) in seinem „Handbuch der Geographie“ als caledonia silva erwähnte.  

Gleich nach dem Frühstück platzierte ich meinen gut gebutterten, mit Hirschtalg versorgten Hintern auf dem Sattel und schob das bepackte Rad mit dem linken Fuß kraftvoll an. Sofort rollte es ganz ohne Beinarbeit vom Gartentörchen meines Nachtquartiers die Straße zum Ortsausgang hinab und in nördlicher Richtung auf das Westufer von Loch Ness zu, von wo aus ich ins Affric Tal gelangen konnte.

Erstaunlich vorwitzig strahlte wieder die Sonne und brachte das lindgrüne Blattwerk über der Straße zum Leuchten. Das Himmelsgestirn, das dem Radler seit zwei Tagen so wohlgesonnen war, sorgte auf der Fahrt am befestigten Westufer entlang für lebhaften Augenschmaus, denn auf dem dunkelgrünen Wasser glitzerten und blinkten Tausende und Abertausende von Strahlensternen.

Nun hatte mir meine Wirtin zum süßen Pancake einen Wermutstropfen in den Kaffee gekippt. Wohlwollend hatte sie mich vorgewarnt: „Sie müssen, um ins Affric Tal zu kommen, den Radweg nach Inverness schon bald verlassen und die A 82 nehmen, die ist leider immer stark befahren, denn sie lenkt den ganzen Schwerverkehr nach Inverness.“

Zum Glück war ich früh dran und da allerorts das Leben erst gegen 9.00 Uhr in die Pötte kommt, herrschte auf den zehn Uferkilometern wenig Verkehr. Die Strecke am Loch Ness entlang fuhr ich deshalb rapide, weil ich meine Lungen von den bleilastigen Abgasen verschonen wollte. Kaum erreichte ich das Dörflein Drumnadrochit, hatte die schweißtreibende Fahrt ein Ende, und in aller Ruhe bewältigte ich die nun sanft ansteigende Nebenstraße nach Cannich, dem Sprungbrett ins Tal Affric.

Im Weiler Cannich stand zwischen Backsteinhäusern mit gemauerten Kaminen eine hölzerne Einkaufsbude mit allem für den täglichen Gebrauch, die sich „Spar Market“ nannte, aber doch eher ein Tante Emma Laden war. Allerdings zeichnete den kleinen Allerweltsladen eine Besonderheit aus – ihr Whiskysortiment war dem eines Supermarktes angemessen. Regale über Regale mit allen berühmten Marken, natürlich mit meinem Talisker vom Vorabend, aber auch mit allen großen Namen von Speyside und Islay. Die Schätze in Schachteln waren in Reichweite der Kasse aufgebaut. Dort, hinter der Theke, waren sie außer Reichweite, zumal an diesem Regal Selbstbedienung untersagt war. Hingegen im schummrigen Abteil bei den gekühlten Sandwiches, den Milchprodukten, den Haushaltswaren und dem verwelkten Gemüse scherte sich niemand um Ladendiebe, die zur Saison gewiss auch in Cannich ihr Unwesen trieben.

Noch hatte die Saison nicht begonnen und außer den Touristen waren auch die Midges, diese beißenden und blutsaugenden Kriebelmücken, nur als Einzelgänger unterwegs. Dafür herrschte auf dem Platz vor der weißgetünchten Holzbaracke ein reges Herfahren und Wegfahren. SUV japanischer Hersteller versammelten sich, alle schienen zur selben Familie zu gehören. So sah es für den Radfahrer aus, denn alle waren über und über mit Schlamm verdreckt. Das Arbeitsgebiet ihrer Fahrer musste die Forstwirtschaft sein. Auf den verbeulten Pritschen lagen Motorsägen, Beile und Hacken, und aus der Fahrerkabine wuchteten sich Highlander mit gewaltigen Bierbäuchen. Oder Highlander mit gewaltigen Bierbäuchen stiegen nach dem Einkauf ins Fahrerhaus und hupten ihren Vettern, Nichten und Anverwandten zum Abschied zu, bevor sie mächtig Gas gaben und wegfuhren. Nein, nicht im Kilt, sondern in weiten, rotweiß oder schwarzbraun karrierten Flanellhemden und in Holzfällerhosen mit orange aufgesetzten Cargotaschen waren sie dahergekommen und standen nun plaudernd und schauend vor dem Laden. Nach dem Outfit dieser kernigen Burschen zu urteilen, deren Väter noch mit Pferden und Fuhrwerken im Forst gearbeitet hatten, war ich in Timberland angekommen.

Gleich hinter dem Spar Laden stieg die Straße an und führte über 16 Kilometer zum höher gelegenen Glen Affric. Da ich auf dieser Straße wieder zurückfahren musste, befreite ich den Gepäckträger von seiner Last und fragte die Verkäuferin mit der gesunden, rosaroten Gesichtsfarbe und den rotlackierten Fingernägeln, ob ich meine beiden Taschen bis zum Abend hinter der Kasse deponieren dürfte.

„Of course, you are welcome!“

Ja, freundlich und hilfsbereit, auch überaus zuvorkommend, waren sie in Cannich wie überall auf dem Land. Ist man als Soloreisender unterwegs und auf so vieles angewiesen, dann berührt einen die Hilfe der Einheimischen doppelt im Herzen. Ich reichte der Kassiererin mit den gepflegten Händen die Taschen über die Theke hinweg, bedankte mich und kaufte frischen Proviant und einen Liter stilles Highland Wasser, das ich noch im Laden in meine Trinkflasche umfüllte. Draußen wartete mein Bike, aber auch ein Grüppchen Holzfäller, die rauchend an ihren Geländewagen lehnten, und mir neugierig zuschauten, wie ich mich in den Sattel schwang, als würde ich nicht einen Drahtesel, sondern einen echten Gaul besteigen. Der versammelten Gruppe nickte ich fröhlich zu und fuhr zügig los, hinein in ein schmäler und schmäler werdendes Flusstal mit sanfter Steigung.

Auf den ersten Kilometern klammerte sich der Single Track an den Affric Fluss als hätte ihn der Wasserlauf adoptiert. Später emanzipierte er sich und erklomm einen bewaldeten Rücken. Oben gab er den Blick auf Schafweiden und versteppte bastbraune Hanglagen frei. Noch kam ich mir wie ein Komfortradler vor, zumal mein gepäckfreies Bike nur noch neun Kilogramm wog und sich mit seinen 16 Gängen leicht treten ließ. Locker gondelte ich dahin, bis mir plötzlich hinter einer Kehre, halb verdeckt von frisch wucherndem Buschgrün, ein rot umrandetes 12 % Schild am Straßenrand auflauerte. Da ich nicht nur die beiden Taschen, sondern auch den Ehrgeiz zurückgelassen hatte, stieg ich ab und schob das Rad im Schritttempo höher und höher. Darüber mochten sich die Eichhörnchen, die die Straße querten, gewundert haben, aber ansonsten bekam niemand mein Schneckentempo beim Aufstieg mit.

(Fortsetzung folgt)


[1] Gesundheit, gesprochen: slä-tscha

[2] tal-iss-kur

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