Gleich mehrere Faktoren haben die schottische Whiskyindustrie in den letzten 12 Monaten in eine veritable Krise getrieben: Durch die Pandemie sind wichtige Absatzmärkte und vor allem der Global Travel Retail enorm geschrumpft (siehe unseren Bericht hier), der Brexit hat zusätzlich den wichtigen Markt Europa de facto marginalisiert (auch darüber haben wir bereits berichtet), und als wäre dies nicht schon schlimm genug, ist durch den Einbruch des internationalen Warenverkehrs und den damit verbundenen verkleinerten Transportkapazitäten von der Öffentlichkeit bislang unbemerkt auch der Nachschub an für die schottische Whiskyindustrie verwertbaren Fässern rapide zurückgegangen.
Dieses Konglomerat an Problemen ist nicht nur für die momentane Absatzlage fatal, sondern wird seine Wirkung in Zukunft noch drastischer entfalten. Die SWA (Scotch Whisky Association) hat in einem der Redaktion vorliegenden internem Papier prognostiziert, dass in spätestens vier Jahren durch die während des letzten Jahres kaum zurückgefahrene Produktion ein „Whiskysee“ entstehen würde, der durch die exorbitante Verteuerung der so knapp gewordenen Fässer viel zu teuer für den Markt und damit unverkäuflich würde.
In einer Krisensitzung Anfang Februar haben sich Repräsentanten der großen Destillerien und ihrer Konzernmütter darauf geeinigt, mit einem bislang einzigartigen konzertierten Vorgehen zwei Fliegen mit einer Klappe zu erschlagen: Die Überproduktion und den Mangel an Fässern. Man hat sich angesichts der krisenhaften Lage darauf geeinigt, einen Teil der Whiskyproduktion von 2020, der nun fast für ein Jahr bereits in Fässern reift, zu vernichten und die dadurch freiwerdenden Fässer als preisdrückendes Element wieder in den Produktionskreislauf zurückzuholen. Das betrifft sowohl Single Malt als auch Grain Whisky.
Mit dieser Vernichtung von Lagerbeständen im „passenden“ Alter will man seitens der schottischen Whiskyindustrie Druck aus den Entwicklungen des Whiskymarkts herausnehmen, wenn er nach dem Abflachen der Pandemie und nachdem sich die Wirren im Außenhandel, verursacht durch den Brexit, gelegt haben, wieder ins Wachstum dreht. Man hofft dadurch, das Heft wieder selbst in die Hand nehmen zu können und eigene Steuerungsmaßnahmen effektiver zu machen.
Wie aber dazu vorgehen? Als man in der eigens eingerichteten „Operation Vanish“ genannten Arbeitsgruppe nach Wegen suchte, wie man diese Vernichtung des Spirits durchführen sollte, zog man zunächst eine Nutzung als Industriealkohol in Betracht, was aber durch die Lagerung in Holzfässern nicht mehr in der nötigen Reinheit möglich gewesen wäre. Auch Gespräche mit der Abwasserwirtschaft zeigten bald, dass eine stille Entsorgung über Klärwerke nicht möglich wäre (auch in Deutschland, wo im Gegensatz zu Schottland nicht junger Spirit, sondern abgelaufenes Bier das Problem ist, warnen Klärwerke vor dem Entsorgen des Gerstensaftes auf diesem Weg – Der SPIEGEL Online berichtete darüber).
Schließlich fand man mit der Hilfe von Experten aus der chemischen Industrie und der Atomwirtschaft eine diskrete Methode, die angepeilte Menge von 7 Millionen Litern einjährigen Spirit zu entsorgen: durch Verklappung im atlantischen Ozean auf halber Strecke zwischen Schottland und Island.
Man mietete dazu einen unter libanesischer Flagge fahrenden mittelgroßen Tanker mit einem Fassungsvermögen von 45.000 Barrel (die zweitkleinste Kategorie von Tankschiffen) und befüllte ihn über zwei Wochen in der Marinebasis Coulport, gelegen auf einer Halbinsel nordwestlich von Glasgow. Dann lief der Tanker den Informationen nach Mitte März in eine Region ca. 120 Seemeilen südwestlich von den Faröerinseln aus, um dort über insgesamt vier Tage den Inhalt seiner Tanks in kleinen Tranchen in den Atlantik zu entleeren, bei strammer Fahrt, um die Verteilung des Tankinhalts zu begünstigen.
Der Ort war nach Insiderinformationen bewusst gewählt: Man hatte berechnet, dass die dort vorherrschende Strömung den verklappten Whisky in Richtung einiger großerer und von der öffentlichen Hand geführten Lachszuchtbecken im Meer vor der schottischen Küste treiben würde, und man so, faktisch als Nebenprodukt, eine Aromatisierung des Lachsfleisches erwarten konnte. Insbesondere der hohe Anteil der Islay-Malts sollte für Raucharomen ohne zusätzliche Räucherung sorgen, so die Hoffnung nach einem eilends durchgeführten Praxistest in einer Aquakultur.
Am Ende der Aktion fuhr der Tanker mit einer Sondergenehmigung der britischen Regierung, die von dem Vorhaben informiert wurde, ohne weiteren Zwischenstopp nach Gibraltar. Von dort soll er unseren Informationen nach in den nächsten Wochen wieder ins östliche Mittelmeer aufbrechen.
Dass diese Aktion völlig ohne Risiko für die Umwelt in unmittelbarer Umgebung der Ausbringung war, darf zumindest in Zweifel gezogen werden. Allerdings: In die Entscheidung, die Verklappug durchzuführen, waren auch Repräsentanten des schottischen Umweltministeriums eingebunden. Eine erste Anfrage von uns zu möglichen ökologischen Konsequenzen blieb bis zum heutigen Tag unbeantwortet – wir werden aber natürlich dranbleiben.