Sonntag, 24. November 2024, 22:06:06

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 33)

Über 1500 Kilometer zu siebzehn schottischen Brennereien - in Inverness beim Kilt-Kauf

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Wir freuen uns, Ihnen jeden Sonntag ein Stück einer wunderbaren Geschichte über Schottland, Whisky und das Reisen vorstellen zu dürfen: Exklusiv auf Whiskyexerts präsentieren wir Ihnen Whisky Cycle, das neueste Buch von Uli Franz, als Fortsetzungsgeschichte.

Uli Franz lebt als Schriftsteller im Chiemgau und auf der dalmatinischen Insel Brac’. Von 1977-80 arbeitete er als Zeitungskorrespondent in Peking. Über China und Tibet veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen Radgeschichten und „Die Asche meines Vaters“ (Rowohlt Verlag).

Das Buch Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland (ca. 320 Seiten) ist momentan in der ersten Auflage vergriffen – über Neuigkeiten zu Bestellmöglichkeiten werden wir Sie natürlich rechtzeitig informieren.

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Die Radtour zu 17 schottischen Destillerien. Karte von Alba Collection

-hier geht es zur Folge 32-

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 33)

In den Altstadtgassen von Inverness hatte sich inzwischen der Abend niedergelassen. Als ich wieder aus dem Fenster sah und das Licht einer tropfnassen Straßenlaterne erblickte, wurde mir klar, dass ich mich vergessen hatte. Längst musste Zeit fürs Abendessen sein, und schon meldete mein Magen Hunger und auf die Frage nach einem Restaurant, antwortete Gordon ohne zu zögern: „Black Isle hat die besten Pizzen am Ort und liegt gleich um die Ecke.“

Mit Handshake trennten wir uns ganz sportlich, ein Augenzwinkern setzte ich noch obendrauf und wünschte Gordon viele wissbegierige Gäste, die seinen eigenwilligen Humor verstünden. Im winzigen Flur des Malt Rooms zog ich die letzte Jacke, die mein Anorak war, vom Haken und trat auf die Gasse hinaus.

Regenschnüre glitzerten im Laternenlicht und fielen funkelnd zu Boden. Ihr Anblick stimmte versöhnlich, aber die Bäche, die an den Hauswänden herabliefen und sich in immer größeren Pfützen auf dem Kopfsteinpflaster sammelten, und die Kälte, die mich im Freien empfing, waren nicht gerade komfortabel. Fahrig schlüpfte ich in die Jacke und lief auf gedämpften Turnschuhsohlen los. Im Gehen stimmte mich der Regen ruhiger. Den feinen Staub der Abgase wusch er aus der Luft und den groben des Zerfalls von den Fassaden. Zum Glück verscheuchte er auch den Nebel aus meinem Kopf.

Leergefegt die Gassen und Straßen der City, nur selten aufblitzende Scheinwerfer. Die naße Luft roch salzig und nach Tang, vermutlich die Grußbotschaft der nahen Nordsee. Meine Gasse mündete in die vollgeparkte Church Street ein, hier musste ich nach rechts abbiegen. Schon von weitem sah ich das Ziel, einen Pulk von Menschen, rauchende Gestalten, die im Licht eines Schaufensters beisammen standen. Die milchigen Schwaden aus ihren Glimmstängeln stauten sich im Windfang des Lokals, als drängte es sie wie mich in die Wärme. Hinter der Schwingtür stieß ich gegen eine unsichtbare Wand, eine Wand von Düften und Ausdünstungen. Mit solch einem Ort hatte ich nicht gerechnet.

Über die ganze Decke wanden sich Röhren aus verzinktem Blech und führten zur Kuppel eines Steinofens, dessen feuriges Maul laufend knusprige Pizzen freigab. Zum Schneiden dicht, stand die Hitze des Ofens im hohen, weiten Raum, der früher eine Werkhalle gewesen sein musste. Mediterrane Gerüche von Thymian, Salbei, Rosmarie und Knoblauch vermengten sich mit den Ausdünstungen der Speisenden, die eng beieinander an langen Holztischen saßen und sich über ovale Holzbretter beugten. Die Pizzen waren groß und bunt belegt und schienen allen zu munden. Satte Zufriedenheit lag auf den geröteten Gesichtern und wer aufgegessen hatte, schob das leere Brett beiseite, griff zum Glas und widmete sich plaudernd seinen Nachbarn oder ging nach draußen eine rauchen. Die Besucher waren nicht einfach hungrige Fans der Weltspeise Pizza, oh nein, diese jungen Stadtmenschen gehörten zur Black Isle Familie. Auch ich, kaum, dass ich einen Platz ergattert hatte, wurde sofort in die Familie aufgenommen.

Die Veggie-Pizza war knusprig und großzügig mit Zwiebeln und Artischocken belegt, roch herzhaft nach Knoblauch und verlangte nicht nach einem Dram, sondern nach einem frisch gezapften Craftbeer, wie es die jungen Schotten an meinem Tisch alle tranken.

Black Isle, neben BrewDog die angesagteste schottische Biobrauerei, hat charakterstarke Biere wie Yellowhammer und Red Kite Ale im Angebot, und keine fünf Meter neben meinem Sitzplatz flossen sie alle frisch und schaumig wie ein Stich aus dem Zapfhahn. Hoch an der Wand hing über einer Liste mit Fassbiersorten – vom Golden Eye Cask bis zum Porter – der Slogan der jungen Branche „Save the planet, drink organic“.

Kaum, dass das Pint vor mir stand und ich die Lippen in die fluffige Schaumkrone eintauchte, jauchzte mein Gaumen und verlangte nach einem herzhaften Schluck. Welch ein Feuerwerk aus Frische und Frucht, aus Würze und Wohlgeschmack! Obwohl ich im Land der tausend Biere lebe, floss mir noch nie solch ein kraftvoller Gerstensaft über die Lippen. Beim zweiten Verkostungsschluck fragte ich mich, warum darf unser Bier nicht viel exotisch-fruchtiger schmecken, warum setzen unsere Brauer nicht häufiger natürliche, wohlgemerkt, natürliche Fruchtextrakte und Hefen, sei es mit Grapefruit oder Feige, dem Gerstensaft zu? Vor mir im Glas schäumte der Beweis, dass sich junge schottische Kreativbrauereien neben den großen Standard Brauereien behaupten und immer mehr Erfolg haben können.

Ein Lebensstil, der Altes mit Neuem, Schottisches mit Exotischem verband, zeigte sich auch in der Aufmachung der jungen Wilden, die erhobenen Hauptes Rastalocken trugen, an den entblößten Armen tintenschwarze Tattoos und um die Taille den Kilt. Als ich bei einigen der schwungvoll bedienenden Männer den Kilt als Hosenersatz bemerkte, erwachte in mir ein altgehegter Jugendwunsch – meine Garderobe um einen Kilt zu erweitern.

Mit siebzehn besaß ich eine einzige Krawatte, einen Binder mit rotkariertem Schottenmuster. Den schlanken Binder trug ich sorgsam geknotet über einem gebügelten, weißen Hemd unter einem schwarzen Blazer. So herausgeputzt über einer wollgrauen Hose, ging ich mit Freund Mecki am Wochenende zum Tanzen in den Scotch Club. An die schottische Zierde meiner Jugend erinnerte ich mich jetzt. Im Tischgespräch mit meinem schottischen Nachbarn erfuhr ich, dass das rote Karomuster ein Royal Stewart und der Tartan von Elisabeth II. war. Wieder hatte der Reisende etwas gelernt: nun kannte ich auch den traditionellen Dresscode der Queen – nicht pfirsich- und fliederfarbene Ascot Hüte, sondern ein rotes Schachbrettmuster mit grasgrünen und gelben Streifen und Linien.

Bereits beim ersten Eintauchen in die City von Inverness hatte ich unterhalb vom Schloss die jägergrüne Reklame „Chisholms Highland Dress“ über einem Geschäft entdeckt und mir die Adresse gemerkt. In diesem Fachgeschäft wollte ich an meinem Ruhetag vorbeischauen.

Zu Fuß machte ich mich am nächsten Morgen auf und fand in kurzer Entfernung von meinem B&B ohne weiteres Suchen das Kleiderfachgeschäft. Die Auslage in den Schaufenstern mit Tartan-Stoffen, Flachmännern aus Silber, Lederschuhen, Kilts und Tweedpullovern sowie einer folkloristisch eingekleideten Schaufensterpuppe mochte auf viele angestaubt oder gar museal wirken, auf mich wirkte sie wie ein Magnet, der mich ins Innere zog – erstmal nur zum Schnuppern. Ich bin kein Typ, der sich mit dem Erstbesten begnügt, das gilt für Whiskys und für Kilts gleichermaßen. Bei Google hatte ich recherchiert und in Inverness vier Kiltmaker gefunden: im Victorian Market, am Bahnhofsvorplatz, am River Ness und in der Castle Street, eben Chisholms, das Geschäft, das ich nun betrat.

Bei uns wird ein Mann im Schottenrock gerne mit einem Lächeln bedacht, gar einem verhaltenen Grinsen, in dem eine gewisse Überheblichkeit mitschwingt. Ernst genommen wird der Kilt nur als närrisches Faschingskostüm. Aber das ist dumm, denn der Schottenrock ist kein Spaßkostüm, kein weibisches Röckchen, das nur die freche Frage provoziert: „Na, was trägst du darunter?“

Als ich die Ladentür öffnete, war mir klar, ich wollte kein Spaßkostüm, ich wollte einen ernsthaften Rock, nicht aus Polyesterschund, sondern aus echter schottischer Schurwolle, möglichst schwer und handgenäht. Diesen Wunsch teilte ich Ian Chisholm mit und wurde von ihm königlich beraten und bedient. Wäre es nach Trusted Shops gegangen, hätte er fünf Sterne verdient.

Der Chef persönlich beugte sein Knie vor mir und vermaß in Inches meine Taille mit einem Maßband, das er sonst immer um den Nacken über der Weste trug. Herr Chisholm spürte recht schnell, ob es ein Tourist mit dem Kauf Ernst meinte oder ob er nur neugierig reinschnupperte, um ein Selfie im Kilt zu schießen. Noch während des Maßnehmens stellte er seinen Geschäftssinn unter Beweis: „Ein handgemachter Kilt kostet Sie umgerechnet um die 700 Euro…“

„Oh, das hätte ich jetzt nicht gedacht!“ Ich zeigte auf den rostbraun-olivgrünen Kilt, den er kniefrei um die Hüfte trug. „Dann ist Ihrer vermutlich auch so teuer, das schöne Stück gefällt mir ausserordentlich gut.“

„Noch teurer, weil der Stoff so schwer gewoben ist, seine sieben Meter wiegen ohne die Schnallenschließen allein schon über sechs Pfund.“

Nun ja, verglichen mit einer sämisch gegerbten, gar bestickten Lederhose ist ein edler Schurwolle-Kilt noch immer eine günstige Anschaffung. Allerdings ist es mit einem Kilt alleine noch lange nicht getan. Herr Chisholm sagte kein Wort, dafür breitete er die ganze Tracht auf dem grünen Filz eines Schneidertischs aus: Kilt, Sporran, Weste, Jackett, Kniestrümpfe, Strumpfbänder und schwarze Ghillie Brouges, zungenlose Halbschuhe mit extrem langen Schnürsenkeln. Alle Achtung! Sieben Accessoires gehörten also zu einem kompletten Set!

Während er diese Stücke zu einem stimmigen Outfit arrangierte, öffnete er die obersten Knöpfe seiner stramm sitzenden Tweedweste, vermutlich war ihm vor lauter Eifer heiß um die Leibmitte geworden. In aller Ruhe schneuzte er sich die Nase und zeigte auf die Auslage auf dem grünen Filz. „Das Set muss farblich und vom Material her harmonieren“, sagte er und ich stellte mich auf eine längere Ausführung über die schottische Kleidung ein. „Wie sollen zum Beispiel die langen Kniestrümpfe halten, wenn nicht mit Strumpfbändern, die natürlich verborgen sein müssen. Auch bei einem längeren Marsch dürfen die Strümpfe nicht rutschen, sonst käme der Marschierende ja aus dem Schritt. Also braucht man Strumpfbänder. Dafür sind diese farblich passenden Wimpel mit Gummizug da, sie werden unter dem umgeschlagen Strumpfende versteckt. Als nächstes der Sporran, die Ledertasche, die an einer langen Kette im Schritt getragen wird. Beim Sporran gibt es eine Faustregel: Silber nicht vor 6.00 p.m. Ein Sporran mit Silberbügel gehört definitiv zur Abendgarderobe. Soweit so gut, aber damit macht der Gentleman noch nichts her, auch das, was er über der Taille trägt, ist von Bedeutung. Da wäre einmal die schwarze Argyll-Weste mit versilberten eckigen Knöpfen und dann der kurzgeschnittene Spencer, ein knappes Jackett, das man Prince Charlie nennt. Eine Krawatte oder ein bauschendes Halstuch komplettieren das Erscheinungsbild und machen aus einem Mann einen stilvollen Gentleman.“

Ian Chisholm war ausgebildeter Schneidermeister und seit über 30 Jahren im Geschäft. Nicht abgestumpft, nicht lustlos, sondern liebenswert und kundenfreundlich stand er von morgens bis abends hinter dem grünen Schneidertisch und trieb erfolgreich seinen Laden und die Schneiderei um. Sein glattrasiertes Gesicht, das mit jeder Erklärung ein bisschen röter wurde, bewies seine Begeisterung, einen Kunden zufriedenzustellen. Unerwartet rückte er mit einer Nachricht heraus, die mich elektrisierte: „Aus unserem Magazin kann ich Ihnen einen Ex-Hired-Kilt anbieten. Dazu noch die passende Weste samt Prince Charlie Jackett, beides getragen, aber chemisch gereinigt und bestens gepflegt. Dann wäre der Preis nicht 1000 Euro, sondern läge erheblich darunter.“

Aha, was für ein gewiefter Geschäftsmann – kurz blitzte dieser Gedanke auf, aber gleich war er wieder in der Tiefe meiner Hirnwindungen verschwunden, denn vor mir stand ein seriöser, gutgekleideter Herr mit Silberhaar, der mit seinem Maßband um den Nacken ein wenig wie der Hofschneider Seiner Majestät aussah.

„Ja, das würde mich interessieren, vielleicht erst mal nur Kilt und Weste“, antwortete ich in höflichem Ton.

Unverzüglich verschwand der Schneidermeister hinter einem grünrot karierten  Vorhang, nachdem er nochmals meine Taille und die Länge meiner Oberschenkel von der Hüfte bis zum Knie in Inches gemessen hatte. Während ich am grünen Filztisch wartete, schaute ich mir einen Katalog mit Tartan-Mustern an, in dem der Burberry Tartan viel Raum einnahm, und ich unglaublich viele farbige und schwarzweiße Tartans entdeckte – gewiss weit über tausend oder sogar mehr.

Ursprünglich war der Kilt eine dichtgewobene Schafwolldecke. Wie eine Tunika wurde sie von den römischen Soldaten getragen, die in den kühlen Gefilden von Caledonia stationiert waren. Ein Ledergürtel hielt die breitgewobene Wolldecke um die Leibmitte zusammen, während die Schleppe wie ein Umhang über die Schulter gelegt wurde. Bei diesem alltagstauglichen Umhang handelte es sich um eine echte Outdoor-Kleidung, die auch als Zudecke zum Draußenschlafen diente. Erst im 18. Jahrhundert entwickelte sich aus diesem zweckmäßigen Plaid der Kilt wie wir ihn heute kennen. Er besteht aus einer fünf bis sieben Meter langen Bahn aus Kammgarn, die zu einem Rock gerafft wird. Dieser Rock ist auf der Rückseite vielfach plissiert und von Hand genäht. Zwei oder drei seitliche Schnallen halten ihn in der Taille.

Endlich kehrte Herr Chisholm mit mehreren Kilts über dem Arm aus seinem Magazin zurück und legte die guten Stücke auf den grünen Tisch. „Ein Dress Gordon in Schwarzweiß mit feinem Gelbstreifen, ein schwarzweißer Douglas und ein rotblauer Fraser.“

Aus Höflichkeit zögerte ich kurz und überlegte länger, dann gestand ich ihm: „Ehrlich gesagt, gefällt mir keiner davon, schauen Sie hier im Katalog, der da…“

„Ein MacKenzie, auch eine gute Wahl. Ich schaue mal, ob ich diesen Tartan finde.“ Wieder verschwand der ruhige Schneidermeister hinter dem karierten Vorhang, und ich probierte solange eine schwarze Weste aus Schurwolle mit eckigen Silberknöpfen an. Sie passte wie angegossen, und das Label „Duncan Chisholm & Sons LTD, Inverness“ mit dem Schloss in roter Linierung auf weißem Grund gefiel mir auch, weil es mich für immer an meine Kostümprobe in Inverness erinnern würde.

Bereits bei der Durchsicht des Musterkatalogs war der Entschluss gereift: Nein, das kurze Dinner Jacket kam nicht in Frage, es war mir einfach zu spießig. Schwarze Argyll-Weste ja, aber stattdessen würde ich ganz leger lieber eine kurze Lederjacke oder einen Tweedpullover tragen.

„Hier habe ich einen handgenähten MacKenzie Seaforth für Sie gefunden, der müsste passen.“ Mit diesen Worten reichte er mir einen Kilt mit tannengrünen und bläulich-violetten Karos und einem Geflecht aus feinen roten und weißen Linien.

Für das nochmalige Ausmessen der Länge musste ich hinknien und den Oberkörper kerzengerade aufrichten. Glück gehabt, der Saum des MacKenzie berührte nicht den abgetretenen Teppichboden, also stimmte auch die Länge. Auch müffelte der MacKenzie kein bisschen nach dem Schweiß diverser Vorgänger, sondern roch frisch nach chemischer Reinigung. Ich wollte ihn haben, und nach einigem Hin und Her einigten wir uns auf ein Package aus Kilt, schwarzen Kniestrümpfen, Strumpfhaltern, Argyll-Weste und schwarzen Halbschuhen im Budapester Stil für umgerechnet 530 Euro.

Ohne es zu wissen, profitierte ich von der Kiltkrise, die seit einigen Jahren in Schottland grassiert. Der traditionelle Kilt droht zum Exoten zu werden, denn nur noch zu Hochzeiten und Beerdigungen wird er aus dem Schrank geholt. Lieber leiht man sich ein Kilt-Set für 90 Pfund pro Tag, als viel Geld für ein eigenes Set auszugeben. Und derjenige, der einen Kilt zuhause im Schrank hängen hat, hat ihn meistens vom Vater und vom Großvater geerbt.

Schließlich wurden wir handelseinig. Ian Chisholm zeigte sich zufrieden und offenbarte seinen schottischen Humor: „Da Sie vermutlich nicht zum Clan der MacKenzie gehören“, bei diesen Worten schmunzelte er mir durch den großen Anprobespiegel zu, „muss ich Ihnen jetzt noch was erzählen.“ Während er den Sitz des Kilts an meiner Taille korrigierte und im Spiegel die weiße Linie, die mittig die Karos trennte, exakt auf die Mitte meines Schritts ausrichtete, fing er an: „Dieser Tartan geht zurück auf den Clan des Kenneth, dessen Sohn MacKenzie hieß. Im royalen Inverness und in den Highlands war dieser Clan um 1819 sehr mächtig und militärisch bedeutend, denn er stellte für das königliche Heer das Regiment der Seaforth Highlander, das durch sein Motto ‚Cuidich `n Righ‘ bis heute berühmt ist…“

„Das ist sicher Gälisch, was ich nicht verstehe…“, unterbrach ich ihn.

„‚Help the King‘ heißt es auf Englisch und geht zurück auf eine Jagdgeschichte. Der Vorfall ist urkundlich dokumentiert und kein Märchen. In der Schule mussten wir auswendig lernen, dass im Jahr 1266 der Clanführer Colin MacKenzie von Kintail den schottischen König Alexander III. auf die Jagd begleitete. Es kam zu einem Jagdunfall, bei dem der König, dessen Schweißhunde einen Hirsch gestellt hatten, vom Pferd geworfen und am Boden von dem Hirsch mit dem Geweih bedroht wurde. Alle Vasallen waren wie gelähmt, nur Colin zog sein Schwert und enthauptete mit dem Kampfschrei ‚Cuidich `n Righ’ den Zwölfender. Für die Lebensrettung erlaubte der König dem MacKenzie Clan auf alle Ewigkeit diesen Ausruf als Motto zusammen mit einem Hirschgeweih im Wappen zu führen. Soweit die Geschichte, die jedes Kind bei uns kennt. Also halten Sie das Vermächtnis der MacKenzie in Ehren, auch in Deutschland.“  

Chisholms Auswahl an Sporran-Geldtaschen, aufgereiht an einer schottisch karierten Schauwand, war beachtlich: da hingen schwarze und nußbraune aus Leder mit und ohne Kordeln, aber auch weiße aus Kaninchenfell mit Silberverschluss für die Abendgarderobe. Doch der rote lederne, den ich gleich ins Herz geschlossen hatte, sollte 180 Pfund kosten, was mir zu teuer war, so verzichtete ich auf dieses Accessoire. Schließlich lagen ja noch einige Orte, natürlich auch Edinburgh, vor mir, wo ich fündig werden könnte.

Nach dem Bezahlen mit Karte brachte mir ein Mitarbeiter eine ausgediente Schachtel. Wohl überlegt schlug ich meinen Einkauf in eine wasserdichte Tüte ein, die ich in die Schachtel packte und diese mit Klebeband an allen Rändern verschloss. Diese Vorsichtsmaßnahme sollte sich als richtig erweisen, denn bereits auf dem Weg zum Postamt, wo ich das Paket gleich aufgeben wollte, begann es in Strömen zu regnen.

Einem Kilt gelingt, was einer Klamotte wie Jeans, Joggpants oder Cargohose nicht gelingt, er sorgt für Heiterkeit. Er schafft es sogar, jenes beklemmende Schweigen und die Steifheit, die oft im Flieger und in Bus und Bahn herrscht, zu überwinden. Kurzum, er erfreut das Gemüt der Menschen. Ja, ein Kilt ist ein sozialer Rock, der für eine gelöste Stimmung sorgen kann – nicht nur auf einer schottischen Familienfeier. Im Kilt leben Tradition und Kultur fort. Während Moden kommen und gehen, präsentiert er sich zeitlos in einer Reihe mit Lederhose, Kimono, Sarong, Lungi, Kaftan und Poncho, um nur eine populäre Auswahl zu nennen.

(Fortsetzung folgt)

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