Mitte November reiste ein Teil der Redaktion von Whiskyexperts nach Dublin in Irland, um dort einige Brennereien zu besuchen, darunter auch die neue Roe & Co Distillery von Diageo, gelegen in den Liberties und nicht unweit des Standortes der alten, damals weltgrößten und jetzt komplett abgerissenen Roe & Co Brennerei. Davon möchten wir hier berichten.
Bevor wir uns die Destillerie genauer ansehen, hier ein knapp 2 Minuten langes Video, das die Geschichte von Roe & Co anhand einer riesigen Schautafel, die das Stiegenhaus der Brennerei ziert, auflistet. Denn diese Geschichte ist durchaus interessant – und gekennzeichnet von vielen Hochs und Tiefs. Dazwischen sieht man im Video auch die typische Flasche der Abfüllungen von Roe & Co – und die Inspiration für die Flaschenform:
Die heutige Heimat der Destillerie Roe & Co ist ein ehemaliges Kraftwerk, das die Guinness-Brauerei mit Energie versorgte. Der industrielle Bau wurde mit viel Fingerspitzengefühl zu einer modernen und interessanten Brennerei umgebaut:
Die drei Stills (Vision, Virtue und Value) für die Dreifachdestillation sind von außen bereits gut zu sehen und bilden einen Blickfang für vorbeigehende Passanten.
Im Besucherzentrum, das mit viel Gefühl für Markenbranding und Stil eingerichtet ist, sehen wir uns zunächst einmal ein wenig um. Hier gibt es ein kleines Café, jede Menge Merchandise und schon durchaus Informatives zur Brennerei selbst, zum Beispiel auf den Fenstern in den Still Room.
Hier noch einige Details in Fotos:
Wir kennen ja auch aus unseren Ländern den Blend von Roe & Co – im nachstehenden Bild sehen Sie die nur in Irland und vornehmlich in der Brennerei erhältliche Komplementärabfüllung, in der das Verhältnis von Grain und Malt umgedreht ist und vornehmlich gut gereifter Whiskey aus Port Pipes zu finden ist. Natürlich ist alles in der Flasche ebenso gesourct wie es das in der weiter verbreiteten Abfüllung ist, denn destilliert wird bei Roe & Co erst seit Juni dieses Jahres, kurz vor der offiziellen Eröffnung der Brennerei für das Publikum am 21. Juni 2019.
Bevor wir nun zur Anlage selbst kommen, ein interessanter Hintergrundaspekt, der sich vielleicht auch schon durch das Styling und die Produktauswahl aufdrängt: Bei Roe & Co hat man nicht den typischen Whiskey- oder Whiskytrinker im Visier, sondern eine für die gesamte Branche auch unserer Meinung nach sehr wichtige Zielgruppe, die momentan aber erst ansatzweise gut bedient wird: Es geht um Menschen, die Whiskey über Mixgetränke kennenlernen und ihre Genussgewohnheiten auch in dieser Schiene kultivieren. Wichtig sind sie deshalb, weil sie sozusagen den Nachwuchs darstellen, und auch geänderte Konsumgewohnheiten repräsentieren.
Wie man dem bei und mit Roe & Co begegnet, dazu etwas später mehr. Nun aber folgen wir unserem Guide Wayne Devlin in den ersten Stock über eine Brücke quer durch den Still Room. Die Brennblasen, die Wash Backs und den Mashtun kann man nämlich aus Sicherheitsgründen nur von dort betrachten – hat aber dafür einen fantastischen Ausblick auf die Gerätschaften:
Oben ist die Wash Still „Vision“ mit 14.000 Liter, hier wird der Alkohol auf 21% destilliert. Nachfolgen die Intermediate Still „Virtue“ mit 6.600 Liter. Der Cut erfolgt bei 50-80% Alkoholstärke.
Wem die interessante Brennblasenform aufgefallen ist: Der obere Teil ist eine umgebaute Tanqueray Gin-Brennblase.
Die dritte Still „Valor“ hat eine Kapazität von 4000 Liter und produziert Alkohol mit einer Stärke von 80-84%:
Hier noch mal alle drei Schönheiten gemeinsam:
Auch interessant ist der Blick auf den Spirit Safe – der übrigens schon in der Destillerie Teaninich gearbeitet hat:
Ein kurzer Blick nochmals über die Brennblasen hier im nachfolgenden Video:
Auch auf den Mash Tun und die Washbacks werfen wir noch einige Blicke von der Brücke aus. Übrigens: Alle Kupferteile wurden in der Diageo-eigenen Werkstatt der Abercrombie Coppersmiths gefertigt.
Für am Technischen und dem Produktionsablauf Interessierte erzählt Wayne in den nachfolgenden beiden kurzen Videos mehr darüber:
Wir haben ja schon erzählt, dass der Whiskey von Roe & Co für die Whiskyfreunde gedacht ist, die ihm vor allem in Bars und in Mixgetränken kennenlernen. Dementsprechend hat sich Master Blender Caroline Martin auch bemüht, den Whiskey so zu komponieren, dass er in Cocktails gut zur Geltung kommt, ohne sie zu dominieren. Wie viel Arbeit hinter so einem Bemühen steckt, hat man bei Roe & Co in einem eigenen Raum dokumentiert.
In der nun zu sehenden Bottle Wall sind alle Schritte dokumentiert, die letztendlich zur Roe & Co Abfüllung geführt haben:
Über 100 Komponenten wurden von Caroline Martin ausprobiert, verworfen, neu zusammengestellt – und als man mitten im Prozess erkannte, dass der gewünschte mixfähige Whiskey besser 45% Alkoholstärke haben sollte als 40%, hat man nochmals auf Anfang gestellt, weil ein einfaches Hochleveln des Alkoholanteils natürlich nicht funktionierte.
Der Raum lässt den Besucher auch sehr gut die Hauptaromen von Roe & Co anhand eines kleinen Tasting Sets erkennen, ebenso wie die Hauptbestandteile der Malt- und Grainkomponenten:
Der Bezug zum Mixen wird bei Roe & Co auch in einem kleinen Mixkurs, den man im Rahmen des Besuches machen kann, nochmals deutlich herausgestrichen. Dazu kommt man in einen eigenen Raum, wo man zunächst aus den fünf Hauptgeschmacksrichtungen seine bevorzugte herausfinden kann.
Danach mixt man einen Cocktail mit dieser Hauptrichtung, kostet ihn, und fügt dann Roe & Co hinzu. Und tatsächlich ist Roe & Co ein Whiskey gelungen, der alle Geschmacksrichtungen unterstreicht, ohne sie zu verändern oder zu überdecken.
Im oberen Bild sieht man nochmals, aus welchen Zutaten hier die Geschmacksrichtungen komponiert werden.
Zum Abschluss besuchten wir noch die Bar in der Destillerie, die hinter dem Stillroom liegt und nochmals Ausblicke auf die Anlage gewährt:
Zur anderen Seite sieht man in einen unveränderten Raum des ehemaligen Kraftwerks, und hinaus auf die Anlagen von Guinness. Im leeren Raum lebten einst 1000 Tauben, jetzt vor allem eine Fuchsfamilie, die unter den Tauben ordentlich aufgeräumt hat.
Die Bar selbst ist stilvoll und modern eingerichtet.
Wir haben in ihr nochmals den Distillery-Whisky sowie zwei Einzelfassproben, die unverkäuflich sind, verkosten können.
Auch wenn Roe & Co sich an das Bar-Publikum richtet, muss man den Whiskeys, egal in welcher Ausprägung, dennoch auch sehr beeindruckende Trinkbarkeit als „Solo-Vergnügen“ attestieren. Einem guten Whiskey ist es egal, wofür er gedacht ist – er macht Freude.
Später am Abend kommen wir noch einmal an der Destillerie an der James‘ Street vorbei, und am St. Patrick’s Tower, dem letzten Überbleibsel der letzten Blüteperiode irischen Whiskeys in den Liberties in Dublin.
Sollten Sie also einmal nach Dublin kommen (und das zahlt sich allein der Stadt wegen immer aus), dann planen Sie einen Besuch bei Roe & Co unbedingt ein. Die Brennerei ist nicht nur sehenswert, sondern auch in unmittelbarer Nachbarschaft anderer sehenswerter Brennereien wie Pearse Lyons, Teeling – von der Brauerei Guinness ganz zu schweigen….