Freitag, 22. November 2024, 05:54:38

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 14)

Über 1500 Kilometer zu siebzehn schottischen Brennereien

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Wir freuen uns, Ihnen jeden Sonntag ein Stück einer wunderbaren Geschichte über Schottland, Whisky und das Reisen vorstellen zu dürfen: Exklusiv auf Whiskyexerts präsentieren wir Ihnen Whisky Cycle, das neueste Buch von Uli Franz, als Fortsetzungsgeschichte.

Uli Franz lebt als Schriftsteller im Chiemgau und auf der dalmatinischen Insel Brac’. Von 1977-80 arbeitete er als Zeitungskorrespondent in Peking. Über China und Tibet veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen Radgeschichten und „Die Asche meines Vaters“ (Rowohlt Verlag).

Das Buch Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland (ca. 320 Seiten) ist momentan in der ersten Auflage vergriffen – über Neuigkeiten zu Bestellmöglichkeiten werden wir Sie natürlich rechtzeitig informieren.

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Die Radtour zu 17 schottischen Destillerien. Karte von Alba Collection

-hier geht es zur Folge 13-

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 14)

Springbank hat aus der Krise von 1979 gelernt und verzettelt sich nicht mehr mit einem breit gefächerten Sortiment an Blends, sondern produziert heute nur noch Single Malts. Außerdem verwendet die Brennerei nur noch schottische Gerste aus Kintyre oder Aberdeenshire. Damit unterscheidet sie sich von den Großdestillerien, die Gerste nach den günstigsten Weltmarktpreisen von überall her beziehen, vor allem aus Australien.

Ja, Gerste ist nicht gleich Gerste, sowohl was die Qualität als auch die Unterschiede angeht. Die Landwirtschaft kennt über dreißig Sorten – von der Mittelgerste Adlerhorst über die äthiopische Schwarzgerste bis zur russischen Nackten. Im Jahr 1819 wurde in der englischen Grafschaft Suffolk eine besonders eiweißhaltige Wildgerste entdeckt, die nach ihrem englischen Entdecker Chevallier benannt ist. Chevallier erlebt gerade eine Renaissance in der Braukunst von organic craft, weil diese urwüchsige Gerste eine große Palette von Aromen bietet. 

Leider herrscht bei den großen Whiskyerzeugern noch immer der Glaube vor, dass Hybride außer einem höheren Ertrag auch eine größere Robustheit aufweisen. Ihr Liebling heißt Golden Promise und ist eine Sommergerste mit zweizeiligen Ähren, die auch im Winter wächst und den Farmern zwei Ernten ermöglicht. Golden Promise und die jüngeren Hybride Triumph und Chariot entstanden durch die Kreuzung von Inzuchtlinien, was den Vorteil brachte, dass sie sich gegenüber den alten Liniensorten durch einen höheren Ertrag und eine höhere Standfestigkeit bei rauhem Klima auszeichnen. Doch diese Züchtungen sind eben nicht frei von schweren Nachteilen. Da Hybride in flächenfressender Monokultur angebaut werden, schränken sie die Artenvielfalt und die freie Entfaltung von Fauna und Flora immer stärker ein. Weiterhin muss ihr Saatgut immer wieder erneuert werden, denn es wird von Ernte zu Ernte anfälliger und schwächer. Schließlich ist ein permanenter Pestizid-Einsatz bei diesen hochgezüchteten Spezialgersten zwingend. Golden Promise, Chariot und Triumph sind, wie alle künstlich gekreuzten oder genveränderten Getreidesorten, zwar immun gegen alte Blattkrankheiten wie Zwergrost und den schwarzen, schlauchartigen Mutterkornpilz Ergot, aber die Anfälligkeit für neue, durch Mutation entstandene Krankheiten nimmt zu und fordert den Einsatz von immer neuen härteren und krebserregenden Pestiziden.

Tour bei Springbank. Bild Uli Franz

Gewappnet mit diesen Vorkenntnissen schloss ich mich einer zehnköpfigen Besuchergruppe zum Rundgang durch Springbank an. Der Tourstart war am Fuß einer rostigen Eisentreppe, die in den zweiten Stock eines altertümlichen Ziegelbaus hinaufführte. Das ältere Ehepaar aus England hatte große Mühe beim Treppensteigen und stand schließlich schweratmend auf dem oberen Mälzboden, dem malting floor,wo wir uns geduldig um unseren Guide versammelten und schweigend der Dinge harrten, die nun auf uns zukämen. 

Unser Guide, eine blond gelockte Schottin mit blitzenden blauen Augen, die in ihrer Jugendlichkeit hübsch anzuschauen war, wirkte sehr routiniert und bestens informiert. Das Oxford Englisch, das perlend über ihre Zunge floß, schmeichelte den Briten in der Gruppe. Zu unserem Glück sprach sie sehr laut, zumal ihre Erklärungen vom Schlagen der entriegelten Fensterläden gestört wurden. Mit einem gewinnenden Lächeln begann sie die Tour: „Willkommen bei Springbank, ich bin Ihr Guide für die nächste Stunde, mein Name ist Aileen. Bei unserem Rundgang durch die Destillerie will ich Ihnen eine Einführung in die Herstellung von schottischem Whisky geben, damit sie das Tasting nach unserer Tour auch wirklich genießen können, denn bei uns gilt der Spruch ‚Nur was der Kopf verstanden hat, versteht auch der Gaumen’. Zögern Sie nicht mit Fragen und auch für kritische Anmerkungen bin ich Ihnen dankbar. So, dann wollen wir mal beginnen.“ Ihre Lippen öffneten sich zu einem breiten Lächeln und sofort sprang ihre Freundlichkeit wie ein Funke auf uns über und wir lächelten zurück, als sei sie eine gute Freundin. Durch die Bank waren alle von ihrem freundlichen Wesen angetan und alle lauschten ergeben. Die folgende Einführung, die sie mit lebhaften Handbewegungen untermalte, war von grundlegender Natur: „Für die Herstellung von schottischem Whisky verwendet man ausschließlich Gerste. Das Verarbeiten von Getreidesorten wie Roggen, Weizen und Mais zu Whisky ist in Schottland nicht erlaubt, deshalb sprechen wir auch von Single Malt. Aber erst einmal möchte ich etwas Grundlegendes zu unserem Ausgangsprodukt Gerste erläutern. Gut getrocknet kann sie im Silo bis zu zehn Jahren lagern. Unabhängig davon muss das Korn bestimmten Normen wie Dichte, Feuchtigkeit, Stärkegehalt, Keimfähigkeit und Stickstoffgehalt entsprechen. Nur dann erlaubt unser Kontrolleur die Annahme der Farmergerste aus der Gegend hier und aus dem schottischen Osten. Die Stichproben-Kontrolle der angelieferten Gerste ist überaus wichtig, denn Gerste kann bei zu hoher Feuchtigkeit leicht schimmeln und vom Kornkäfer Grain Weevil befallen sein. Soweit das Grundlegende, nun zum Arbeitsprozess vor uns. Hier sehen sie gleich eine Seltenheit.“ Aileen hielt kurz inne und schaute von einem zum anderen, um die Wirkung ihrer Worte in unseren Gesichtern zu überprüfen. Sie sprach so engagiert, akzentuiert und mit untermalenden Gesten, dass ich an ein Coaching in Achtsamkeit denken musste.

Unsere Mienen schienen Aileen zu ermutigen und mit Feuereifer sprach sie weiter: „Hier im gewaltigen Eisenzuber vor uns wird die Gerste mit Wasser aufgegossen und fünf Tage lang eingeweicht. Das nennt man steeping. Dem trockenen Gerstenkorn wird so vorgetäuscht, es hätte geregnet und nun sei der richtige Zeitpunkt zum Keimen gekommen. Also bricht das Korn auf und ein Sproß schiebt sich aus der Spitze des winzigen Schiffchens. Sie kennen doch die abgepackten Sojasprossen im Kühlregal des Supermarkts, ja, so ähnlich sieht das aufgeplatzte Gerstenkorn mit dem glasigen Spitzlein jetzt aus. Sobald der zarte Keimling zwei Drittel der Länge seiner Mutter erreicht hat, ist aus seiner eingelagerten Stärke Zucker geworden. Eigentlich möchte nun die ‚Mini-Fabrik‘ Gerstenkorn den Zucker in Cellulose umwandeln, damit ein Keimling mit Wurzeln und Blättern wiedergeboren wird, so zumindest hat es die Natur vorgesehen, aber das erlauben wir nicht! Nach fünf Tagen wird das aufgebrochene Gerstenkorn, das man nun Grünmalz nennt, erneut getäuscht, indem man das Keimen stoppt. Übrigens, bevor ich es vergesse, um modrige Stockfeuchte, Schimmel und das Verhaken der Keimlinge zu vermeiden, muss der Gersteteppich auf dem Mälzboden vor uns immer wieder gewendet werden. Wie Sie sehen, stehen die Fenster bei klarem Wetter Tag und Nacht offen, damit der Raum gut durchlüftet wird. Ist eine Restfeuchte von vier Prozent erreicht, wird die Trocknung des Teppichs in der Regel nach sechs Tagen gestoppt.“

Routiniert erzählte sie weiter von der Größe und dem hohen Alter der Malzscheune, während ich an einer der Gusseisensäulen ein Klemmbrett mit einem bedruckten Blatt Papier entdeckte, worauf folgendes stand:

Arbeitsplan für die Sonntagsschicht:

8 – 10.30 Bearbeitung und Wenden

Nässen der aufgehäuften Reihen

16 – 20.00 die Hälfte des vorderen Teils des unteren Mälzbodens zum Ofen schaffen und den oberen Boden wenden

21-22 Uhr Mälzboden umschichten

signiert: Findlay Ross, Generalmanager & Head of Production,

Springbank ist eine Destillerie von Weltruf, 8. November 2016

Aileen, die bei Springbank wohl nur saisonal angestellt war, nahm es sehr genau mit den Fakten und erklärte im einzelnen wie der zehn Zentimeter hohe Gersteteppich in zeitlich festgelegten Abständen von Hand, mit dem Mälzrechen oder der Mälzschaufel gewendet werden müsse. Eine verdammt harte Arbeit, die früher bei den Arbeitern häufig zu einer einseitigen Belastung mit Verformungen von Muskulatur und Skelett geführt habe. Übrigens finde man diese Berufskrankheit in den Medizinbüchern unter der Bezeichnung monkey shoulder, erklärte sie mit anteilsvoller Miene. Erstaunlich, was die junge Frau mit der angenehmen Ausstrahlung und dem hübschen Mundwerk so alles wusste! Vermutlich studierte sie in Glasgow oder Edinburgh, ich hätte sie eigentlich fragen müssen. 

Unsere Gruppe war bereits weitergeeilt, ein Stockwerk tiefer versammelte sie sich auf dem zweiten, 300 Quadratmeter großen Mälzboden, der über einen Wurfschacht mit dem oberen verbunden war. Hier konnten wir den Gersteteppich auf dem Betonboden genauer in Augenschein nehmen. Die Frische, die der ausgebrachten Gerste entströmte, verlockte mich, die Knie zu beugen und die akuraten Reihen gehäufelter Körner aus nächster Nähe zu betrachten und ihre Würze zu riechen. Wie das viele Korn in parallelen, säuberlich gerechten Reihen dicht vor mir ausgebreitet lag, glich der Teppich dem gerechten weißen Kies eines japanischen Zen-Gartens.

Nachdem ich mir die Erklärungen zum Mälzen notiert hatte und der Gruppe hinterher geeilt war, wurde immer offensichtlicher, dass es bei Springbank noch so urig und handarbeitsmässig zuging wie vor hundert Jahren. Und als ich wenig später an der Schrotmühle eine Metallplakete mit der Aufschrift „Royal Patent Portens Patent, Malt Mill“ und am Trafo vom Heizluftgebläse die Jahreszahl 1920 entdeckte, fragte ich mich: Ist Springbank ein Museum?

Nun ja, zumindest eine museale Fabrik, in der auch in digitalen Zeiten die Handarbeit im Vordergrund stand. Zwölf Tage später sollte ich bei Glenlivet das krasse Gegenteil erleben. Auf einem Rundgang durch eine vollautomatisierte Destillieranlage sollte ich mit eigenen Augen sehen, wie nur noch wenige Hände ganz unsinnlich und technizistisch kalt ein trinkbares Produkt herstellten.

Dass bei Springbank der Produktionsablauf funktionierte, war der Improvisation zu verdanken. Die unzähligen Rohre, durch die die einzelnen Sektoren und Fertigungen miteinander verbunden waren und in denen alle möglichen Flüssigkeiten flossen, hätten nach deutscher DIN-Norm und deutschen Lebensmittelbestimmungen alle ausgetauscht und erneuert werden müssen. An vielen Stellen waren die Rohre mit blauen Ummantelungen, die wie riesige Wundverbände wirkten, geflickt und alte Leckagen notdürftig repariert. In ihrer verschlungenen Streckenführung, ihrem schon artistisch anmutenden Durcheinander, erinnerte mich die ganze Installation an die amorphe Außenhaut des Centre Pompidou in Paris. Ganz zu schweigen von den Wänden und Decken der Fabrikationshallen, die über Jahrzehnte vom Russ des Torffeuers eingeschwärzt waren. Sie alle hätten längst mit Hochdruckreinigung von ihrer Patina befreit und gemalert werden müssen.

Wie unsere Gruppe über den Hof ins nächste Gebäude spazierte, wurde uns vor Augen geführt, dass die Verarbeitung der Gerste in vielen Arbeitsschritten ein anspruchvolles Hand-Werk erforderte, bei dem mit viel Aufwand sonntags wie werktags hingelangt werden musste.

Als nächstes versammelten wir uns vor dem Ofen des Darrfeuers, dessen Gusseisentür der Feuertür eines Krematoriums ähnlich war. Wegen des Feuerlärms standen wir nun dicht an dicht und Aileen erläuterte mit lauter Stimme den Prozess, der vor uns ablief: „Das noch feuchte Malz wird auf einem Trocknungsboden oberhalb dieses Feuers ausgebracht. Die Decke ist durchlässig und besteht aus einem Flechtwerk von Drähten, das zwar die Hitze an die feuchten Körner ranlässt, aber so engmaschig geflochten ist, dass diese nicht durchfallen können. Die heiße Abluft des Darrfeuers wird durch den Malzteppich geleitet und entzieht dem gemälzten Gersteteppich die Feuchtigkeit, die über die Kamine mit den Pagodendächern ins Freie entweicht. Ein Darrboden ist fast nicht zu betreten, wenn darunter das Feuer brennt. Große Hitze und eine extrem hohe Luftfeuchtigkeit verschlagen einem sofort den Atem. Der Ofen vor uns wird durchschnittlich mit 45-65 Grad Celsius gefahren und zwar für den Hazelburn mit 30 Stunden heißer Luft, also neutral, für den Springbank mit sechs Stunden Torfrauch und 30 Stunden heißer Luft und für den Longrow mit 48 Stunden Torfrauch. Die unterschiedliche Rauchigkeit eines Malt hängt also davon ab, wie lange das Malz über dem Torf- oder normalen Feuer darren durfte.“

Torfhaufen bei Springbank. Bild Uli Franz

Der fette, schwarzbraune Torf, der in großen Haufen vor dem Ofen und auf dem Hof lagerte, stammte aus örtlichen Mooren, wo er über die Jahrtausende durch die Verrottung von alten, stark verfilzten Pflanzen und ihrem Wurzelwerk entstanden ist. Diese verlandeten Moore sind nach dem Verschwinden der Gletscher die einzigen Überbleibsel der fünf schottischen Eiszeiten und liegen in den Senken und Mulden der Hügellandschaft, die über Jahrmillionen durch den Thermokarst geformt wurden. Die Moore können noch lange abgebaut werden, so gewaltig sind die Vorkommen. Aber Torfstechen ist ein mühsames Geschäft und die Lufttrocknung dauert sehr lange, bis aus dem naßen Schwarztorf brennbarer Trockentorf geworden ist, der im übrigen nicht sonderlich gut, geschweige denn ergiebig brennt. Er qualmt so beizend, dass selbst ein Kettenraucher husten muss. Wie er auf dem verregneten Hof als großer hingeworfener Haufen lag, hätte man ihn für einen Misthaufen halten können. Aber im Gegensatz zu vergorenen Fäkalien riecht Torf angenehm erdig, ja, schon beinahe wie ein vertrockneter Blumenstrauß. In der Geschichte Schottlands wurde Torf über Jahrhunderte, aus Mangel an Holz und Kohle, zum Heizen und Kochen verwendet und fand schließlich auch seinen Nutzen im Befeuern des Darrbodens und der Brennblasen. 

(zu Folge 15)

1 Kommentar

  1. Kleiner Tippfehler: Die Malzmühle ist von Porteus aus Leeds, nicht Portens

    Nach meinem Kenntnisstand sind die meist verwendeten Sorten Concerto und Odysee, Golden Promise war vor längerer Zeit der Favorit.

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