Freitag, 19. April 2024, 08:54:20

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 15)

Über 1500 Kilometer zu siebzehn schottischen Brennereien

Wir freuen uns, Ihnen jeden Sonntag ein Stück einer wunderbaren Geschichte über Schottland, Whisky und das Reisen vorstellen zu dürfen: Exklusiv auf Whiskyexerts präsentieren wir Ihnen Whisky Cycle, das neueste Buch von Uli Franz, als Fortsetzungsgeschichte.

Uli Franz lebt als Schriftsteller im Chiemgau und auf der dalmatinischen Insel Brac’. Von 1977-80 arbeitete er als Zeitungskorrespondent in Peking. Über China und Tibet veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen Radgeschichten und „Die Asche meines Vaters“ (Rowohlt Verlag).

Das Buch Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland (ca. 320 Seiten) ist momentan in der ersten Auflage vergriffen – über Neuigkeiten zu Bestellmöglichkeiten werden wir Sie natürlich rechtzeitig informieren.

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Die Radtour zu 17 schottischen Destillerien. Karte von Alba Collection

hier geht es zur Folge 14

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 15)

Wieder bewegten wir uns von einem Gebäude ins nächste und Aileen erklärte mit lauter, gegen den Maschinenlärm ankämpfenden Stimme den weiteren Produktionsablauf: „Also, die Gerste wurde gemälzt und es entstand Grünmalz, was dann gedarrt wurde und jetzt Malz oder gemälzte Gerste heißt. Das Malz wird als nächstes gemahlen, dafür gehen wir jetzt in einen neuen Raum, wo ein Oldtimer von Schrotmühle steht. Wohlgemerkt, Springbank bezieht auch gemälzte Gerste von den modernen Großmälzereien Port Ellen und Roseisle. Wenn es mal eng werden sollte, auch von Crisp Malting, Buckie Maltings und Glen Ord Maltings. In diesen Mälzereien wird die Gerste in riesigen Trommeln getrocknet und dann vollmechanisiert geschrotet und zwar entsprechend dem Mahlgrad, den jede Brennerei bevorzugt. Das ist wichtig für einen guten Brand, denn das Schrot darf nicht zu grob sein, sonst löst sich nicht der gesamte Zucker heraus. Ist es zu fein, verklebt es und der Zucker kann ebenfalls nicht zu 100% in heißem Wasser gelöst werden.“

Zügig ging unsere Tour weiter über den verregneten Hof, vorbei an triefend naßen Backsteinfassaden, dann durch ein offenes Tor und wieder eine steile Gitterrosttreppe empor. Beim steilen Treppensteigen mussten die älteren Gruppenmitglieder echt kämpfen, denn die verzinkte Stahlkonstruktion ruhte in einer Höhe von sieben Metern im hohen Raum und umschloss sechs gewaltige Holzbottiche. Die dschungelwarme Luft hätte man schneiden können, die hohe Feuchtigkeit machte uns alle regelrecht schlapp. Das alte englische Paar zückte bereits die Taschentücher und wischte sich über die Stirn, selbst die Jüngeren begannen zu schwitzen. Als wir uns um eine Luke im gewaltigen Deckel des vordersten, enorm großen Holzbottichs scharten, hörten wir Aileen sagen: „Hier wird der zuckerhaltigen Flüssigkeit, welche wir wort und nicht beer nennen, Hefe zugesetzt. Während die Würze fünf Tage und Nächte hier drin im Bottich gärt, verwandeln die zugesetzten Hefebakterien den Malzzucker in Alkohol. Aber, und das darf nicht vergessen werden, nicht nur in Alkohol, sondern auch in das Gas Kohlendioxid, was gefährlich geruchlos ist. Sobald die Gärung abgeschlossen ist, hat sich der wort in den dünnflüssigen wash verwandelt und weist einen Alkoholgehalt von 6 bis 9 % auf. Dieser wash kann jetzt der ersten Brennung zugeführt werden, der in der wash still stattfindet. Zur Gärung muss ich noch ergänzen, bei uns ist sie sehr langandauernd, wie ich schon sagte, bis zu 120 Stunden braucht es, bis aus dem sämigen wort der dünnflüssige wash entstand ist. Die lange Gärdauer ist wichtig für dichte Aromen und überhaupt die Qualität des Destillats.“ 

Spirit Receiver von Springbank. Bild: Uli Franz

Während unser Guide die Funktion des wash back erläuterte, stapfte in Gummistiefeln eine schwarzgekleidete Arbeiterin mit einer vollen Plastikflasche die Eisentreppe empor, öffnet die Luke des zweiten Gärbottichs und spritzte in hohem Bogen eine tüchtige Ladung einer milchigen Flüssigkeit in die wabernden und Blasen werfende Flüssigkeit. Schnell war sie gekommen und schnell war sie wieder weg, als wollte sie ihr Tun vor uns Fremden verbergen. Ihr Tun hatte meine Neugierde geweckt und ich wollte wissen, wofür das gut sei. Guide Aileen schmunzelte und auf ihren rosigen Wangen zeigten sich Grübchen. Schon musste sie lachen über meine neugierige Frage.

„Einige Spritzer Flüssigseife!“, sagte sie. „Zwar ist diese Zutat nicht gerade nahrhaft, aber auch nicht schädlich! Der milchige Saft ist aus Natriumsalzen, die verhindern, dass der wash nicht zu heftig aufkocht und über den Bottichrand und durch die Luken herausquillt.“ Aber nun weiter im Text: „Die Bottiche sind aus Lärchenholz, dem Pilze nichts anhaben können. Allerdings sind sie nur mit größtem Aufwand zu reinigen. Ist der wash abgelassen, müssen Arbeiter über Leitern von oben gut fünf Meter in den Bottich hinabsteigen und mit einem Hochdruckschlauch und Reinigungsmitteln das Innere säubern, bevor der Bottich wieder befüllt werden kann. Um diesen Aufwand zu reduzieren, setzen sich in der Branche immer mehr Edelstahltanks durch.“ Sie nickte uns auffordernd zu und zeigte auf die Eisenrosttreppe. „Bitte folgen Sie mir jetzt in die nächste Halle. Achtung beim Runtergehen, die Stufen sind schmierig und extrem rutschig.“ 

Rasch notierte ich ihre letzten Sätze über die Abschaffung der hölzernen Gärbottiche, klappte mein Notizbuch zu und folgte der Gruppe die Treppe hinab. Mir stockte der Atem, als wir in eine verräucherte, von dröhnendem Lärm erfüllte Halle traten, wo drei gewaltige Skulpturen das Zentrum beherrschten. Als wir den freien Platz vor ihnen passierten, fuhr ein Gabelstabler mit summendem Motor von hinten an uns vorbei, Stimmen riefen laute Kommandos und die Düsen der Befeuerung im Boden unter den hohen Skulpturen verursachten einen Lärm wie hundert zischende Druckkochtöpfe. Wüsste man nicht, dass hier Whisky entsteht, man könnte das ganze Werken und Schaffen auch für die Herstellung von Flüssigseife oder Waschmittel in einer chemischen Fabrik halten. Der Lärm war ohrenbetäubend und stand im krassen Gegensatz zur optischen Anmut der drei Skulpturen von Brennblasen.

Hätte die Haut dieser gewaltigen Brennblasen nicht rötlich-metallisch geschimmert, man hätte sie von ihrer Form her für Riesenbirnen halten können, deren fleischig verdickte Bäuche satt auf dem Boden ruhten, während sich ihre Stängel schlanker werdend nach oben reckten – vier, fünf Meter hoch, bis sie ganz oben abknickten und sich zu Rohren verengten, die sich schließlich vor lauter Kraftlosigkeit an der rückwärtigen Wand abzustützen schienen. Diese Metallskulpturen waren aus Kupfer getrieben und werden still genannt. In ihrer monumentalen Standfestigkeit glühen sie rötlich, auch noch nach vielen Jahren, denn ihre Kupferhaut ist lackiert, damit das weiche Metall nicht oxidieren und schwarz werden und womöglich gar Grünspan ansetzen kann.

Viele Zeilen wurden schon über ihre anmutige Schönheit verfasst. Zurecht, denn ihr ausladender barocker Bauch und ihre filigran endende Spitze üben einen ästhetischen Reiz auf jeden Betrachter aus. Besucher, die fernöstliche Länder bereisten, vergleichen die Brennblase einer schottischen Destillerie mit einer buddhistischen Stupa und wirklich, diesen Vergleich kann man nicht von der Hand weisen. Bei allen Lobgesängen auf die Erhabenheit ihrer Form ist die Gestalt genau genommen aus der Banalität ihres Nutzens entstanden, nämlich aus dem Gesetz der Verdampfungslehre.

Eingeschüchtert durch den Umtrieb im still house, der Brennhalle, sammelten wir uns abseits einer Gruppe schwarzgekleideter Arbeiter, acht an der Zahl, und reckten die Hälse, als Aileen nach oben auf das schlanke Kupferrohr über der Brennblase zeigte und laut „lyne arm“ in die Lärmkulisse rief. Lyne arm oder Schwanenhals sind die beiden gängigen Begriff für das Kupferrohr, in dem sich der verdampfende Alkohol abkühlt und zum Kondensator draußen auf dem Hof gelangt. Obstbrenner, die zum Brennen statt einer Blase eine Säule verwenden, sprechen in diesem Fall vom Geistrohr. Mir persönlich gefällt die Bezeichnung Giraffenhals viel besser als Schwanenhals, denn oft erhebt sich über dem ausladenden Kupferbauch ein schlankes und mehrere Meter kerzengerade nach oben ragendes Rohr, das sich erst in der Höhe krümmt. Deshalb finde ich den Vergleich mit einem stabilen Giraffenhals stimmiger als mit einem scheinbar knochenlosen Schwanenhals.

„Schauen Sie mal genau auf den lyne arm“, rief Aileen und zeigte in Richtung Decke, „die Länge und die Krümmung beeinflussen die Seele des Destillats. Ein kurzes Rohr mit einer starke Krümmung nach unten bringt einen wilden Brand hervor, denn je geringer der Rückfluss aufgrund der Rohrkrümmung in die Rohbrandblase ist, desto qualitativer, aber auch leichter der Rohbrand. Je stärker hingegen der Rückfluss in die Feinbrandblase ist, desto hochprozentiger und besser die Qualität des zweiten, reinen Brands.“

Ein junger Engländer mit rotem Basecap und tätowierten Armen, die aus einem Karo Blouson hervorschauten, wollte wissen: „Wofür sind die verglasten Luken in der Blase, bei der hier ist sogar eine Plombe dran?“

„Also die Plombe ist vom Zoll, weil jede Brennerei staatlich überwacht wird. Sie sehen die große Kladde dort auf dem Tisch, darin muss jeder frische Brand protokolliert werden. Jeder destillierte Liter wird entsprechend seines Alkoholgehalts besteuert und mit der Plombe wird kontrolliert, dass kein unversteuerter Tropfen heimlich abgezweigt wird. Soweit zu Ihrer Frage“, meinte Aileen und schaute uns der Reihe nach an, nicht examinierend, sondern freundschaftlich überlegt. Als alle stumm nickten, fuhr sie fort: „Nun noch einige Worte zur Destillation. Wir stehen hier vor der Brennblase für den Rohbrand, sie heißt wash still. Das Erhitzen des flüssigen, aber immer noch sämigen wash erfolgt heutzutage indirekt durch extrem heißen Wasserdampf, der durch spiralförmige Röhren im Blaseninneren geleitet wird. Früher geschah dies durch die Befeuerung mit Kohle oder Gas von außen am Boden der Blase und ganz früher durch ein Torffeuer, was in einem Ofen unter der Blase beheizt wurde. Bei der Außenbefeuerung musste die Bodenschale der Blase mindestens 16 Millimeter dick sein und selbst bei dieser Stärke war ihre Haltbarkeit auf fünfzehn Jahre begrenzt. Heute ist das Kupfer nur noch halb so dick und überdauert fünfundzwanzig Jahre bis der Kessel der Brennblase erneuert werden muss. Ich gebe zu, das klingt alles ziemlich kompliziert, vielleicht sollte ich eine Pause einlegen.“ Aileen schaute jeden der Gruppe fragend an. Als sie nur Kopfschütteln erntete, spornte das ihren Elan an und eifrig erklärte sie interessante Einzelheiten. „Okay, also weiter. Ab einer Temperatur von 78°C beginnt sich der Alkohol zu verflüchtigen, noch lange bevor das Wasser seinen Siedepunkt erreicht hat. Die Alkoholdämpfe gelangen über den lyne arm in den Kühler am Ende des Rohrs, wo sich der aufgestiegene Alkoholdampf wieder verflüssigt. Am Ende dieses Durchgangs haben wir einen geklärten Rohbrand mit einem Alkoholgehalt von 20 % vol. Sie erinnern sich noch an den wash in den Bottichen, der zwar dünnflüssig, aber noch immer sämig war. Aus ihm gewinnt man einen Rohbrand, der schon ziemlich klar ist, aber noch nicht glasklar. Demnach muss in der Brennblase etwas zurückgeblieben sein. Die Rückstände nennt man pot ale. Damit diese Masse nicht am Boden anpappt, rotiert im Inneren der Blase ein Kettenlaufwerk, das auch zum Lärm in der Halle beiträgt.“

Wir gingen einige Meter weiter in die Halle hinein und noch im Gehen erklärte Aileen, deren Wissen unerschöpflich schien: „Aus diesem Edelstahltank vor uns werden die 3.500 Liter Rohbrand, für die ganze 17.500 Liter wash notwendig waren, in die zweite Brennblase gepumpt, die spirit still heißt. Hier wird der 20 % vol. Rohbrand zum zweiten Mal destilliert, bis sein Alkoholanteil verdampft ist. Jetzt hat man nach der Abkühlung einen Feinbrand von 82 % vol. Alkohol. Bitte treten Sie näher, ich will Ihnen jetzt John vorstellen. John ist für die Kontrolle von Roh- und Feinbrand zuständig. Hello John! John! Joooohhnnn!“

Aileens energisches Rufen drang nicht bis zu John durch, zu laut ging es inzwischen in der Halle zu. Das Zischen der Gasfeuerung, das Schlagen der Ketten, das Hämmern eines Kompressors und das Fauchen der mechanischen Pumpen hatten noch zugenommen. Unserem Guide blieb nichts anderes übrig, als zu dem schwarz gekleideten Arbeiter hinzugehen, ihn am Ärmel zu zupfen und zu uns herüber zu bugsieren. In respektablem Abstand von den stills standen wir nun im Halbkreis um einen goldglänzenden, verglasten Kasten – den spirit safe.

Der gläserne Kasten mit dem Messingrahmen funktioniert etwa so wie unser Althirn, das unser Handeln lenkt, aber sich dieses nicht ausdenkt. Denken musste der stillman, in diesem Fall: John. Erst wenn John dachte, kam der spirit safe mit seinen Leitungen und Hebeln ins Spiel, die er zu bedienen hatte, um den Brand zu kontrollieren und zu lenken.

Durch die Glasscheiben des Messingkastens konnte man drei flache Glasschalen sehen. In zwei der Schalen stand der kristallklare Alkohol, während er in die dritte aus einem mit Flecken von Grünspan besetzten Rohr floss. Grünspan! Ist doch giftig, dachte ich. Nun ja, Alkohol desinfiziert bekanntlich. Auch wenn der Anblick nicht gerade appetitlich war, so duftete es doch köstlich aus dem aufgeklappten Fenster des Kastens.

Brennmeister John musste ein gemütlicher Schotte sein, auf den der Spruch zutraf, er trägt eine Kugel vor sich her, um immer was zum Spielen dabei zu haben. Er sah uns an, nickte freundlich, aber sagte nichts. Dafür forderte er uns mit einer einladenden Handbewegung auf, den Finger in die Schale mit dem fließenden Alkohol zu dippen. Gern folgte ich seiner Aufforderung, probierte – und musste sogleich husten, denn was so klar und harmlos aus dem Kupferrohr in die flache Glasschale floss, war ein hochprozentiger new make.

„Schmeckt man schon den Whisky?“, wollte der englische Senior wissen, der jetzt ohne seine Frau, dafür naseweis ganz vorne stand, aber dem der Mut fehlte, mit dem Finger den scharfen Brand zu probieren.

„Nein, ziemlich geschmacksneutral. Man könnte ihn für einen Korn oder bestenfalls für einen Wodka halten“, kommentierte der Basecap-Träger mit den tätowierten Armen, der sich kostmutiger gab.

(Zur nächsten Folge)

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