Mittwoch, 24. April 2024, 22:37:55

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 16)

Über 1500 Kilometer zu siebzehn schottischen Brennereien

Wir freuen uns, Ihnen jeden Sonntag ein Stück einer wunderbaren Geschichte über Schottland, Whisky und das Reisen vorstellen zu dürfen: Exklusiv auf Whiskyexerts präsentieren wir Ihnen Whisky Cycle, das neueste Buch von Uli Franz, als Fortsetzungsgeschichte.

Uli Franz lebt als Schriftsteller im Chiemgau und auf der dalmatinischen Insel Brac’. Von 1977-80 arbeitete er als Zeitungskorrespondent in Peking. Über China und Tibet veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen Radgeschichten und „Die Asche meines Vaters“ (Rowohlt Verlag).

Das Buch Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland (ca. 320 Seiten) ist momentan in der ersten Auflage vergriffen – über Neuigkeiten zu Bestellmöglichkeiten werden wir Sie natürlich rechtzeitig informieren.

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Die Radtour zu 17 schottischen Destillerien. Karte von Alba Collection

hier geht es zur Folge 15

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 16)

Aileen übergab nun das Kommando an John und dieser entpuppte sich plötzlich als gesprächig und im Erklären geschult: „Mit seinen 82 % vol. brennt er nur höllisch und ist für meine Begriffe ungenießbar. Deshalb wird er nach der Fassreifung mit entsalztem, entmineralisiertem und deionisiertem Reinstwasser herunterverdünnt, für bestimmte Whiskys bis auf 40 %. Aber das sind feine Details, wichtiger als alles andere ist die Fassreifung! Erst sie macht den Feinbrand zum Whisky.“ Mit seiner schwieligen Arbeiterhand zeigte er auf das klare Bächlein, das in die dritte Glasschale floss und im Boden des Safes verschwand. Seinen weiteren Ausführungen musste ich höchst konzentriert folgen, denn John sprach mit gälischer Zunge: „Im spirit safe wird nicht nur die Dichte des Alkohols gemessen, sondern auch der Feinbrand überwacht, denn diesen kann man nicht in seiner Gänze verwenden. Er fließt in den drei Fraktionen aus dem Rohr: head, heart, tale. Um den Brand zu fraktionieren, messe ich seine Temperatur und ziehe laufend Proben. Die Kunst besteht darin, so sauber wie möglich den middle cut herauszuschneiden und nur diesen der Verwertung zuzuführen. Dafür muss ich im richtigen Moment den Fluss von der linken in die mittlere Schale umlenken. In meinem Job kommt es viel auf Erfahrung an. Ich arbeite jetzt schon dreißig Jahre hier und meine Nase ist inzwischen so gut wie die von einem Hund, ich könnte auch sagen: von einer Ratte.“ Todernst griff er zu diesem makaberen Vergleich und sprach gleich weiter: „Ja, aus der langen Erfahrung erschnüffelt meine Nase das Herz und auch den Schwanz und den Kopf. In diesen beiden sind viele Fuselöle enthalten, die das Eiweiß zersetzen und dabei einen Geruch erzeugen, den jeder Hundebesitzer vom naßen Fell seines Tiers kennt. Fuselöle sind ungenießbar, ja, in großer Dosis sogar extrem gesundheitsschädlich. Sie sorgen für den Brummschädel, weil unsere Leber die toxischen Stoffe nicht abbauen kann. Wie unappetitlich der Vorlauf ist, sehen Sie hier in der Glasflasche.“

Im vielfach erprobten Zusammenspiel mit John holte Aileen eine Flasche voll milchiger Flüssigkeit vom nahen Regal, schüttelte ihren Inhalt kurz auf und wartete einige Momente. Nachdem sich die schweren Schwebeteilchen abgesetzt hatten, war die Flüssigkeit oben milchig und unten dunkelgrün. „Diese Farbgebung“, erläuterte sie zum Glück wieder in astreinem Oxford Englisch, „stammt von den chemischen Ölen und den Kupferpartikeln im Destillat. Dieser unreine Alkohol in der Flasche enthält viel Methanol, das man früher Holzalkohol nannte, und aus dem Ameisensäure entsteht, was bei unmäßigem Genuss blind macht. Allerdings ist es wichtig zu wissen, dass die heutigen Hefestämme für die Gärung so gezüchtet sind, dass kein Methylalkohol mehr entsteht.“

Plötzlich kam Hektik auf. Mit einer schnellen Handbewegung griff John mit seinen breiten Händen durch das aufgeklappte Fenster der flachen Vitrine und legte den Metallschnabel des Zuflussarms um. Nun floss das frische Destillat in die rechte der drei Glasschalen. „Jetzt ist das Herz zu Ende, es folgt der Schwanz, den man feints nennt.“

Sehr passend dachte ich, denn übersetzt heißt feints: Finte, Täuschung.

John nickte unserem Guide zu und wieder meldete sich Aileen zu Wort: „Der Nachlauf wird mit dem Vorlauf zusammen nochmals destilliert. Auf keinen Fall wird er weggeschüttet.“

Jemand aus der Gruppe hob in Schulmanier den Arm und fragte: „Wie merken Sie, dass der Mittellauf zu Ende geht?“

„Erfahrungssache! Man riecht und schmeckt es. Zusätzlich habe ich immer dieses Hydrometer zur Hand.“ John hielt eine sehr schlanke Spindel mit roten und blauen Zahlen auf einer Skala über seinen Kopf und zeigte den gläsernen Stab in die Runde.

Wieder kam eine Frage aus der Gruppe: „Wofür braucht man eigentlich die dritte Brennblase?“

„Bei Springbank wird eine einzige Sorte dreimal destilliert, das ist der Hazelburn. Dadurch wird der Alkohol noch reiner, noch hochprozentiger. Für meinen Geschmack hat das aber keine allzu große Bedeutung, da der Malt ja vor der Flaschenfüllung mit Wasser auf 46 % verdünnt wird. Tatsächlich ist das Dreifachbrennen beim schottischen Single Malt die Ausnahme, in Irland hingegen die Regel. Böse Zungen behaupten, die Iren destillieren dreimal, weil sie vom Charakter her so misstrauisch sind und etwas erst beim dritten Mal glauben können“, erzählte John und in seinen braunen Augen zeigte sich der schottische Schalk. Doch nur für einen Augenaufschlag, schon entschuldigte er sich, er müsse nun weitermachen.

Uralte Maschinen bei Springbank. Bild Uli Franz

Bevor wir weiterzogen, klatschten wir im Chor und dankten John für seine Erläuterungen zum spirit safe. Mit Blick auf die Uhr, eilte Aileen vor uns aus dem still house über den Hof, vorbei an dem Farmtraktor, auf dessen Anhänger sich inzwischen sauer riechende Schlempe wie ein Haufen grobes Sägemehl türmte. Nach fünfzig Metern im Freien, betraten wir ein gedrungenes Backsteingebäude, wo in der Mittte ein blockischer Metalltank stand, in den über Rohrleitungen das Herz des Feinbrands gepumpt wurde. An einem Zapfhahn war ein armdicker Gummischlauch angedockt, an dessen Ende eine Tankpistole hing. Ja, im leeren Raum ging es zu wie an einer Tankstelle, mit dem feinen Unterschied, dass der gezapfte Kraftstoff der Gesundheit förderlich war. Ein Messfinger in der Pistole stoppte automatisch den Zufluss, bevor das Fass überlaufen konnte. Kaum machte die Pistole „klick“, wurde von einem Arbeiter das Spundloch mit einem Sisallappen bedeckt und über ihn ein Eichenspund mit einigen kräftigen Holzhammerschlägen in das Loch getrieben. Auf den seitlich liegenden Fasskopf pinselte nun eine geübte Hand mit Hilfe einer Schablone die Fassnummer, die Initialen des alten und des neuen Besitzers, das Jahr der Abfüllung und den Ort – alle Insignien in weißer Farbe.

Schon rollte leise summend ein Gabelstapler heran und nahm das volle Fass huckepack. Als wäre es federleicht, drehte die niedliche rote Maschine eine Pirouette und summte durch das offene Tor über den Hof ins hundert Meter entfernte Lagerhaus, wo der new make ab sofort für mindestens drei Jahre ruhen wird. Drei Jahre muss ein Malt reifen, bevor er sich schottischer Whisky nennen darf.

Auf leisen Sohlen verließ ich die Gruppe und machte einige Schritte auf das Rolltor des Lagerhauses zu, wo an der Wand in weißer Schrift „Customs Warehouse“ stand. Das dunkle Tor lockte mich an, weil ich bisher noch kein Fasslagerhaus von innen gesehen hatte. Kaum hatten sich meine Augen an das fahle Licht im hohen Raum gewöhnt, erspähte ich Tausende grauer, mit einer Staubschicht bepuderte Fässer, die wie Tiere im Winterschlaf auf dem nackten Boden lagen, so eng aneinander geschmiegt, als gehörten sie alle zu einer Familie. Die vielen Fässer lagen auf dem Kiesboden, zwar reglos, aber nicht wie tot. Sie atmeten. Der Atem, den sie verströmten, roch süß-säuerlich nach Apfelmost. Und als ich die Augen schloss und nur noch ihrer Spur in der Nase folgte, begierig schnüffelnd, ja, mit einer gewissen Erregung Aromen einsog, stand ich wie magisch entführt in einem Obstgarten, wo die Ernte reifer Früchte anstand.

Die Luft über den schlafenden Fasstieren war erfüllt vom unsterblichen Schluck für die Engel, bekannt als angels` share. Unglaublich dieses Geschenk für die Nase! Aber nicht nur die Nase wurde beschenkt, sondern auch das Gehör. Für meine Ohren wurde das Fasslager durch seine Stille zur Kathedrale. Diese Stille wäre vollkommen gewesen, hätte nicht der Regen ein Tropfenkonzert auf dem Blechdach gegeben. Doch der Campbeltowner Regen war keineswegs ein Spielverderber, im Gegenteil, er tat dem Hallenklima gut, denn er verwirbelte die Luft im hohen Lager.

Meine schweifenden Gedanken wurden vom Ruf „Sir, please…come!“ unterbrochen. Als ich die Augen wieder öffnete, zeichneten sich in der Toreinfahrt die schwarzen Umrisse von Aileens schlanker Figur gegen den grauen Regenhimmel ab. Mit ihrem Ruf und einer energischen Handbewegung signalisierte sie mir: sofort die Halle verlassen! Vermutlich war eine Besichtigung des Fasslagers im Tourenprogramm nicht vorgesehen und ich hatte mich ohne Erlaubnis von der Truppe entfernt. Auf jeden Fall hatte ihr Ruf bestimmend geklungen und ihre harte Handbewegung war alles andere als friedlich winkend wie man es vom Winke-Winke der englischen Queen gewohnt ist. Augenblicklich gehorchte ich und reihte mich wieder in der letzten Reihe ein. Als Kollektiv betraten wir nun die nagelneue Fill Hall.

Leere Fässer in der Destillerie Springbank. Bild Uli Franz

Während die Gruppe wartend und vom Hallenlärm bedrängt auf dem hellen Betonplatz  herumstand, kam wieder der rote Gabelstabler mit einem Fass auf den Hörnern herangesummt und stoppte vor einem eckigen Blechbecken, das verbeult und ölig glänzend am Boden stand. Auf seiner Zwillingsgabel lag ein großbauchiges Fass, ein Butt mit 500 Litern, mit dem Spundloch unten am Bauch. Schon trat eine junge, erstaunlich zarte Frau mit einem Spundöffner an das Fass heran, beugte ihren schmalen Rücken und bohrte die Schraubspirale des Öffners ins Spundholz. Als die Schraubspirale zur Hälfte im Holz verschwunden war, begann sie mit einem Metallring gegen das graubraune Fassholz zu schlagen. Es lärmte dumpf, als das Metall auf die alten Holzdauben traf! Aber es tat sich nichts, das Spundholz sass erstaunlich fest im Loch. Plötzlich passierte ein kleines Unglück: da das gealterte Holz des Spunds morsch war, zerbrach es durch das Schlagen und die Spirale des Spundöffners brach heraus. Erst beim zweiten, beherzteren Versuch gelang es der Frauenhand, das Spundloch zu öffnen. Augenblicklich schoss ein Schwall öliger Flüssigkeit in das Sieb über der untergeschobenen Blechwanne – goldbraun schoss jahrelang gereifter Single Malt ins Auffangbecken am Boden! Kaum war das Fass geleert, wurden der edle Tropfen mit einer Elektropumpe in einen drei Meter hohen Edelstahltank gepumpt. In diesem Tank, auf dem 9.151 Liter und VAT 2 stand, sammelte man in diesem Arbeitsprozess Whisky mit 63,5 % vol. Cask Strength vom gleichen Fassbestand, aber aus mehreren Fässern.

Spundloch öffnen, abgießen, umfüllen – auf diese Weise vollzog sich hier tagaus, tagein der Arbeitsprozess und keiner der Beteiligten empfand etwas Besonderes dabei. Ganz anders ich. Kometengleich schoss mir die Erkenntnis durch den Kopf: Hier wurde nicht einfach eine hochprozentige Flüssigkeit in ein Blechbecken, ein Becken, das auch für einen Ölwechsel in einer Autowerkstatt hätte herhalten können, gekippt und anschließend in einen monströsen Stahltank umgefüllt. Nein, so sah es nur an der Oberfläche aus. Im Kern wurde hier flüssiges Gold, das himmlische Aromen in sich barg, seiner letzten Bestimmung zugeführt. 

Erst nach Aileens Aufforderung traten wir einige Meter in die Halle hinein, wo das Förderband einer modernen Abfüllstraße lärmte und wo die Batterie vorwärts ruckender Flaschen klirrte und schepperte. Auf der sich schlangenförmig durch die Halle windenden Förderstraße wurden die in Reihe stehenden Flaschen befüllt, etikettiert und ihr durchscheinender Inhalt vor einer Lichtwand von wachsamen Augen kontrolliert. Die neue Anlage war bewusst nur halbautomatisch errichtet worden, denn zum Credo von Springbank gehörte die Bereitstellung möglichst vieler Arbeitsplätze für die Menschen vor Ort. So arbeiteten hier im Schichtbetrieb zehn Frauen und Männer, während vier weitere die etikettierten Flaschen zum Versand in alle Welt verpackten.

Der Kartonquader, der rasch in Richtung Decke wuchs, bestand nicht nur aus Springbank Kartons, sondern auch aus Kartons mit der Aufschrift Cadenhead’s. Ich zeigte auf dieses Label und zuckte fragend mit den Schultern, worauf Aileen den Lärm übertönend nahe an meinem Ohr rief: „Besuchen Sie den Cadenhead’s Shop gleich in der Nähe, wo auch die Verkostung stattfindet.“

Ich nickte ihr dankend zu und folgte der Gruppe über den Hof zum Ausgangspunkt unserer Tour, die nun zu Ende ging. Zum Abschied schüttelte sie jedem die Hand und gab allen einen Verkostungsgutschein bei Cadenhead’s im Laden. Dieser Coupon markierte das Ende unseres 10-Pfund-Rundgangs.

Für heute hatte ich genug gesehen, gehört – und gerochen. Das Erlebte wollte ich  verdauen. Auch wollte der Radler in mir neue Kraft akkumulieren. So entschied ich mich, den Coupon für ein Dram erst am nächsten Tag einzulösen. Damit war allerdings der Tag noch nicht gelaufen, denn zum Abendessen stand mir noch eine Einladung ins Dellwood Hotel bevor.

(Fortsetzung folgt)

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