Freitag, 26. April 2024, 07:36:18

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 31)

Über 1500 Kilometer zu siebzehn schottischen Brennereien - kurz vor Inverness

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Wir freuen uns, Ihnen jeden Sonntag ein Stück einer wunderbaren Geschichte über Schottland, Whisky und das Reisen vorstellen zu dürfen: Exklusiv auf Whiskyexerts präsentieren wir Ihnen Whisky Cycle, das neueste Buch von Uli Franz, als Fortsetzungsgeschichte.

Uli Franz lebt als Schriftsteller im Chiemgau und auf der dalmatinischen Insel Brac’. Von 1977-80 arbeitete er als Zeitungskorrespondent in Peking. Über China und Tibet veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen Radgeschichten und „Die Asche meines Vaters“ (Rowohlt Verlag).

Das Buch Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland (ca. 320 Seiten) ist momentan in der ersten Auflage vergriffen – über Neuigkeiten zu Bestellmöglichkeiten werden wir Sie natürlich rechtzeitig informieren.

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Die Radtour zu 17 schottischen Destillerien. Karte von Alba Collection

-hier geht es zur Folge 30-

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 31)

Unter dem Blätterdach von Birken, Espen und Eichen wand sich der Track bergauf und ich glaubte bereits, die Baumgrenze erreicht zu haben, denn die Landschaft wurde mit jedem Kilometer karger. Auf einer Hochebene erstreckte sich, inmitten von violett blühendem Heidekraut, ein geschotterter Parkplatz. Bis hierher und nicht weiter – zumindest für den Autoverkehr. Die planierte Abstellfläche ließ erahnen, wie es in der Saison hier zugehen musste.

Das Fahrrad schloss ich an einem solide gezimmerten Prospektständer an und studierte die dazugehörige Tafel mit ihren vielen Bildern. Der knappe Text schrieb bestimmend vor, einen Serpentinenweg zu einem Aussichtspunkt hochzusteigen. Gerne befolgte ich die Anweisung, weil ich mich inzwischen in einem Naturreservat befand, wo strenge Vorschriften herrschten. Auf keinen Fall sollten Wanderer die ausgewiesenen Wege verlassen. So kletterte ich über bemooste und grauschwarz verwitterte Platten aus Basalt zum Aussichtspunkt hinauf und vermied, das blühende Heidekraut niederzutrampeln.

Basalt, ein Eruptivgestein, vor Millionen von Jahren als glühendes Magma aus dem Erdinneren emporgeschleudert, hatte das weite Affric Tal mit seinem großen Wasserauge modelliert und erlaubte einen Einblick in die Erdgeschichte. Lange sah ich mich in alle Richtungen um und empfand das Panorama vor mir als Bild einer gewaltigen Leere. Nicht im Sinne eines Nichts, sondern im Sinne von Weitläufigkeit, von Einheitlichkeit, von Klarheit und schier endloser Tiefe. Die einfassenden Hügel und Berge, von denen der höchste Càrn Eige heißt und dessen Gipfel noch schneebestäubt emporragte, lagen braun unter einer grauen Wolkendecke, so braun wie das Zottelfell jener Hochlandrinder, die in keinem Schottlandbuch fehlen dürfen.

Schon wollte ich dem Tal den Rücken kehren, da tat sich was am fernsten Horizont: weit hinter dem Massiv des Càrn Eige eroberte im Bruchteil einer Sekunde die Sonne das fellbraune Bergland und übergoss die große Weite mit gleißendem Licht. Ein Wunder durfte ich erleben! Wie auf der Palette von William Turner mischten sich nun zwei Töne – das Lagunenblau von Loch Affric mit dem Lichtblau des aufgerissenen Himmels. Im Himmelslicht zeigte sich das Grün der Pinien, Kiefern und Eichen wie frisch genährt, und das Fellbraun an den Hügelhängen war zu Goldschimmer aufgebrochen.

Die uralte Vegetation, die nur noch in schütteren Kolonnien die Ufer säumte, hatte in der Vergangenheit viel durchmachen müssen. Jetzt endlich hatten die Überreste von caledonia silva ihren Frieden unter Naturschutz gefunden. Nun lag es an ihnen, zu mahnen und die Besucher des Naturreservats zu lehren: Lasst Gnade walten! Gnade mit den römischen Eroberern, den Wikingern und all den nachrückenden Siedlern, die in großem Stil und über Jahrhunderte brutalen Holzraub an ihren Vorfahren betrieben hatten. Ja, Gnade und Verständnis für die alten Völker, für unsere Vorfahren, sollten wir uns aneignen, denn Rache und Verbitterung verhindert die Aussöhnung, die heute so dringend gebraucht wird. So interpretierte ich das sprießende Grün der uralten Bäume. Und wirklich! Dieses stille Flehen der Baumveteranen um Vergebung vermochte meine Wut über den Umgang mit dem blauen Planeten zu mildern, weil ich in ihnen Überlebende einer Tragödie sah. Ich konnte es kaum glauben, aber sie vermochten tatsächlich meinen Zorn auf vergangene Naturfrevel zu mildern. Als ich über dem Talgrund stand und für kurze Zeit die Augen schloss, spürte ich, dass die alten Bäume, aber auch die Hügel und Berge und der See, ganz Glen Affric, in einer Zeitlosigkeit verharrten, die die Zeitspanne eines Menschenlebens federleicht werden ließ.

Ein Regentropfen tippte mir auf die Stirn, ein weiterer auf die Schulter. Zweimal ein klares Signal: zurückfahren! Widerwillig riss ich mich vom großen Panorama los und lief leichten Schritts den Aussichtshügel hinab, um wieder aufs Rad zu kommen.

Downhill ging es in einem Satz, 16 Kilometer am Stück, bis zum Parkplatz vor dem Spar Laden. Aus den Händen der hilfsbereiten Kassiererin, die sich bereits ihres weißen Kittels entledigt hatte, weil es schon auf 7.00 p.m. zuging, erhielt ich die behüteten Gepäcktaschen zurück. Für die Betreuung meiner Sachen bedankte ich mich nochmals herzlich und fragte bei der Gelegenheit auch gleich noch nach einem Nachtquartier.

„Ein B&B“, erhielt ich zur Antwort, „gibt es vorne an der Kreuzung.“

„Ich weiß, dort habe ich schon geläutet, aber keiner hat aufgemacht. Vermutlich war niemand zuhause.“

„Tja, dann weiß ich auch nicht weiter….Ach ja, versuchen Sie es doch mal auf dem Campingplatz.“

Ich bedankte mich, kaufte nochmals eine PET-Flasche Wasser, die ich gleich wieder umfüllte und ihr leer zurückgab.

Der Tipp mit dem Campingplatz sollte sich als goldrichtig erweisen.

Dort an der Schranke zeigte der Platzwart auf mein Rad und wollte neugierig wissen, woher und wohin. Bereitwillig gab ich Auskunft. Aber als er mich fragte: „Bist du mit dem Fahrrad von Deutschland gekommen?“, musste ich ihn enttäuschen. Vermutlich war er an autonome Radler gewöhnt, denn gleich deutete er auf die beiden Taschen und runzelte die Stirn: „Aber wo ist denn dein Zelt?“

„Mein Zelt? So was habe ich nicht, das wäre mir zuviel Gewicht!“ erwiderte ich etwas kleinlaut, weil ich mir unter seinem forschenden Blick wie ein Nackter am Eingang zu einer Umkleidekabine vorkam.

„Mmh, was machen wir dann in deinem Fall?“ Er runzelte die Stirn und dachte laut nach: „Kein Zelt, da bleibt wohl nur die Hütte. Du hast Glück, die ist frei.“

Der gertenschlanke, gut gebräunte Platzwart, der schon jetzt in kurzen Hosen herumlief, geleitete mich wie einen Novizen in den inneren Zirkel seines Reichs – er voraus, ich mit meinem Drahtesel brav auf seinen Fersen. Wir liefen über einen blitzsauberen Platz zwischen Tannen und Birken, wo wenige Wohnmobile parkten. Kurz vor einem Maschenzaun stoppte er und zeigte auf ein hölzernes Hüttchen in ovalem Zuschnitt, das in seiner Dimension einem Guinessbuch-der Rekorde-Whiskyfass glich. „Schau, hier ist deine Unterkunft, der Schlüssel steckt, drinnen liegen zwei Matten…“

„Aber ich habe weder eine Decke noch einen Schlafsack dabei.“

„Kein Problem, ich kann dir eine Decke und ein Kopfkissen leihen.“

„Danke, das ist ja super!“ Das Rad stellte ich ab, und wir liefen wieder zurück zu seinem Büro, wo er auf dem Schrank eine nachtblaue Decke zusammengerollt aufbewahrte. Der Bezug war zwar nicht mehr ganz frisch, aber das Nachtblau der schweren Decke war gewiss traumfördernd. 

Tatsächlich! Wir beide, mein Rad und ich, passten in die Fasshütte, in der gerade genug Platz für einen Stell- und einen Liegeplatz vorhanden war. Noch nie hatte ich ein Fahrrad zum Kleiderständer umfunktioniert, aber in dieser Nacht wurde diese Idee geboren, und Oberrohr, Lenker und Sattel wurden zum Trocknen und Lüften aller Klamotten benutzt.

Als ich nachts raus musste, erschrak ich – knochenweißes Licht ließ den mucksmäuschenstillen Campingplatz als Traumlandschaft erstrahlen, als eine kalte Kulisse, vor der sich selbst die nachtaktiven Tiere still verhielten und wo die leuchtend weißen Wohnmobile vor den Tannen wie übergroße Pilze standen. Beim Geschäft im nahen Gebüsch wurde ich Zeuge wie der Erdtrabant in seiner ganzen Sattheit das Firmament belebte. Erstaunlich! Die runde Frau Luna wohnte dort oben nicht allein. Eine einzige Wolke, dünn wie ein Strich, leistete ihr Gesellschaft. Und auch ihr Kind, der Morgenstern.

Die Vollmondnacht unter der fremden Bettdecke war ohne böse Überraschungen verstrichen – ohne Flohstiche, Jucken und Kratzen. Nach einer schnellen Augenwäsche und Zähneputzen mit eiskaltem Wasser über einer blechernen Rinne im Waschraum, packte ich routiniert meine paar Sachen – die Regenkleidung nach oben, die Abendkleidung auf den Gepäcktaschenboden. Noch schliefen die allermeisten Camper in ihren geräumigen Mobilen, nur die Hundebesitzer führten bereits ihre Vierbeiner aus, als ich so leise wie möglich aufbrach.

Der Spar Laden mit der netten Frau in Weiß hatte noch geschlossen und sonst gab es im ganzen Weiler keine Gelegenheit, wo ich ein Frühstück hätte bekommen können. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als meinen Wunsch auf ein schottisches Frühstück zu vertagen und mich mit einem Schluck Wasser zu begnügen. Bis nach Glassburn, den nächsten größeren Ort, müsste ich wohl fahren.

Unter einem pelzgrauen Wolkenhimmel gondelte ich den Glass Fluss entlang, gondelte mal von der einen zur anderen Talseite, weil dieser kleine Fluss in eigenwilligen Schleifen und seichten Verwirbelungen inmitten von Schilf durch das enge Tal floss. Was sollte ich anderes tun, als ihm zu folgen, denn die Straße tat es ja auch. Es wurde eine vergnügliche, ganz sachte abwärts führende Fahrt, die wenig Beinarbeit erforderte. Leider, leider führte sie geradewegs auf eine Enttäuschung zu – auf einen Flecken ohne Frühstücksgelegenheit. Die paar grauen Cottages von Glassburn lagen ausgestorben in der grünen Landschaft und schienen leerstehende Ferienhäuser zu sein. Diesen traurigen Zustand vermittelten zumindest die zugezogenen Gardinen. So musste ich den Morgenhunger zähmen und weiterfahren, weiter bis Beauly, wo ich nicht nur belohnt, sondern mit einem Platz an der Sonne beschenkt wurde.

Im Sonnenschein standen blinkende Aluminium Stühle vor dem Schaufenster eines Cafés und schienen nur auf mich gewartet zu haben. Entzückt parkte ich das Rad in Tischnähe und bestellte mir drinnen ein gesundes Frühstück mit Früchten, Joghurt, frischgepresstem Saft und Vollkorn-Müsli sowie Rührei an Toast.

Das Café war in einem ehemaligen Textilgeschäft in 1a Lage untergebracht und von einem Team junger Leute zu einem Bistro-Café umgemodelt worden. Der mit den Rastazöpfen musste die Welt bereist und viel gesehen haben. Gewiss hatte sich auch das schlanke Mädchen mit dem goldenen Stecker im Nasenflügel schon in Asien umgesehen. Mit einem Lächeln wie auf einem Retreat für Achtsamkeit servierte sie mir den Milchkaffee nicht in der Tasse, sondern in der Schale und stellte zum Süßen Kokosblütenzucker bereit. Die jungen Leute ließen dem Gast die Wahl zwischen Körnersemmeln und veganen Croissants, goldbraun gebacken ohne Butter und Milch, und deutschem Müsli in Demeter Qualität.

Auf dem Marktplatz von Beauly, wo der urbane Raum seine Enge verlor und die dörfliche Weite an Einfluss gewann, in einer Region, wo sich ländliche und städtische Strukturen vermischten, hatte ich im Vorbeiradeln eine Esskultur entdeckt, die das Nahrhafte der Landwirtschaft mit dem metropolen Raffinement verwob und ökologisch neu definierte. Wirklich spannend war dieser Mix, und beim zweiten Milchkaffee stellte ich mir die Frage: birgt dieses Zusammenspiel nicht die Chance, das Stadt-Land-Gefälle zu überwinden und Nachteile wie dörfliche Verödung und Landflucht einerseits und städtische Unwirtlichkeit und übermäßige Siedlungsdichte andererseits zu überwinden?

Noch Stunden hätte ich auf dem Marktplatz von Beauly in der Sonne sitzen und den Enthusiasmus der jungen Unternehmer bewundern können, doch nur wenige Kilometer entfernt lockte die City von Inverness mit neuen Überraschungen.

(Fortsetzung folgt)

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