Sonntag, 22. Dezember 2024, 13:53:17

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 48)

Über 1500 Kilometer zu siebzehn schottischen Brennereien - in Aberdeen, die Entdeckung des achten "perfect dram"

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Wir freuen uns, Ihnen jeden Sonntag ein Stück einer wunderbaren Geschichte über Schottland, Whisky und das Reisen vorstellen zu dürfen: Exklusiv auf Whiskyexerts präsentieren wir Ihnen Whisky Cycle, das neueste Buch von Uli Franz, als Fortsetzungsgeschichte.

Uli Franz lebt als Schriftsteller im Chiemgau und auf der dalmatinischen Insel Brac’. Von 1977-80 arbeitete er als Zeitungskorrespondent in Peking. Über China und Tibet veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen Radgeschichten und „Die Asche meines Vaters“ (Rowohlt Verlag).

Das Buch Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland (ca. 320 Seiten) ist momentan in der ersten Auflage vergriffen – über Neuigkeiten zu Bestellmöglichkeiten werden wir Sie natürlich rechtzeitig informieren.

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Die Radtour zu 17 schottischen Destillerien. Karte von Alba Collection

-hier geht es zur Folge 47-

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 48)

Dicht bei dem Schürzenmann stand eine sportlich schlanke Lady in schwarzem Jogging-Dress mit weißen Streifen. Der Singsang ihrer Stimmen klang fröhlich, vor allem das Lachen der Joggerin. Sie fuhr sich immer wieder durch die schwarze Haarpracht und strich sich widerspenstige Pony Locken aus der Stirn. Als sei er ihr Alter Ego, strich sich der Wirt über die hohe Stirn, aber da gab es nichts zu ordnen. Immer wieder lachte er über ihre Worte und zeigte tadellose Zähne. Schnell wurde offenkundig, die beiden mochten sich und flirteten wie Teenies. Doch kaum entdeckte der Wirt mein weißes Tourenrad, verlor die sportliche Dame schlagartig seine Aufmerksamkeit. Ganz dicht trat er an das Rad heran und musterte die Öldruckbremsen und das Ritzel. Ich hüllte mich in Schweigen und beobachtete nur gespannt wie er die Ausstattung meines Gefährts unter die Lupe nahm. Immer noch schweigend observierte er als nächstes den Umwerfer der Kettenschaltung. Erst nach einer halben Ewigkeit nickte er anerkennend und sagte trocken: „Gutes Rad!“

„Oh, Sie sprechen Deutsch!“

„Ein kleines wenig! Jeden Sommer fahren wir Rad in Deutschland…bye, bye, Jenny, see you…“, rief er dazwischen und wieder zu mir gewandt, fuhr er fort: „Ich bin übrigens Dave, kommen Sie doch rein.“

Gerne nahm ich das Angebot an, schüttelte die dargebotene Hand und stellte mich vor, während ich das Rad an der Hauswand neben der Tür abstellte.

Drinnen an der Theke erzählte er mir ausführlich, dass er seit zehn Jahren jeden Sommer mit seinem Stammtisch, der aus Rennradfahrern bestand, eine Woche in Deutschland radfahre. Letzten Sommer seien sie rheinaufwärts von Düsseldorf nach Basel gefahren. Dieses Jahr wollten sie Bayern erkunden.

Welch ein Geschenk, auf der Suche nach einem Mittagstisch, hatte ich einen Gleichgesinnten gefunden! Prompt erzählte ich ihm von meiner Whiskytour und wie unsere Gemeinsamkeit auf dem Tisch ausgepackt lag, gestand er mir seine Liebe, nein, nicht zu Jenny, sondern zum Single Malt.

Dave setzte mich an einen gedeckten Zweiertisch, reichte mir das Menü und entschuldigte sich, er müsse wieder in die Küche: dort warteten sie schon auf seine Instruktionen. Aus dem Mittagsmenü wählte ich eine Blumenkohlsuppe und einen Gemüse Burger. Zügig kam das Essen und während ich den feingewürzten Burger mit frischen Kräutern genoss, schaute ich mir die kolorierten Zeichnungen von Segelschiffen an den Wänden ringsum an.

Den abgegessenen Teller stellte ich beiseite, als sich Dave wieder zu mir gesellte, diesmal mit einer Flasche in der einen Hand und einem Glencairn Glas in der anderen. „Old Pulteney, zwölf Jahre alt, 40 % vol. Mein Lieblingswhisky“, sagte er, während er die Flasche entkorkte. „Bitte probier, ob er dir auch so mundet wie mir. Nun ja, du hast ja keinen schottischen Gaumen.“ Generös schenkte er mir ein, und gegen das Lampenlicht sah ich funkelnden Bernstein ins bauchige Glas rinnen.

„Aber einen, der in Schottland viel dazu gelernt hat“, erwiderte ich und prostete Dave zu.

Mein erster Pulteney! Eine Premiere. Unter Daves kritischem Blick, schauspielerte ich und übertrieb ein wenig: tief einatmend roch ich erst mal mit rechts, dann mit links. Ungemein fruchtig, der Zwölfjährige. Schon kitzelten Aromen von Apfel und Grapefruit am Nasendach und verlangten nach dem ersten Probeschluck. An der Zungenspitze tauchte wieder viel Süße auf, aber sofort gesellte sich eine feine Salzigkeit, eine leicht bittere Note hinzu. Nein, das war kein rauchiger Torf. Dieser leicht bitteren Würze fehlte das Medizinische und Speckgeräucherte. Beim zweiten Schluck schmeckte ich tiefer im Rachen noch stärker die feine Salznote – befremdend, aber interessant! Im ausgewogenen, nicht allzu langen Abgang war Vanille gebunden, auch Spuren eines kernigen Nussgeschmacks und Fruchtnoten exotischer Herkunft. Wie eine wärmende Schlafdecke legte sich am Ende eine dezente Holznote über den Alkohol. Der Pulteney gefiel mir außerordentlich gut und ich sagte zu Dave, der sich neben mich gesetzt hatte, und ebenfalls trank: „Danke Dave, eine tolle Empfehlung! Diese Balance zwischen süß, nussig und salzig bitter finde ich phänomenal. Ich habe keinen Torfrauch herausgeschmeckt und trotzdem diese leicht bittere Note. Täusche ich mich, oder schmeckte ich wirklich Salz im Kern der Fruchtnote?“

„Nein, du hast recht, das feine Salz kommt von der Meeresluft. Die Destillerie Old Pulteney, übrigens die nördlichste der Highlands, steht direkt an der Nordseeküste. So können die Fässer die Seeluft atmen. Es ist ja nicht so, dass nur Alkohol aus den Fässern entweicht, sondern von außen dringt auch Luft ein. Bei diesem Malt ist es die salzige Seeluft, deshalb sage ich immer, der Old Pulteney ist ein maritimer Malt.“

Der zwölfjährige Pulteney hatte mir ein ganz neues, bis dahin unbekanntes Geschmackserlebnis beschert – einen fruchtigen Malt mit einem salzigen Zünglein. Was hätte naheliegender sein können, als ihm das Prädikat perfekt und vier Stützräder zu geben. So kam es, dass ich the perfect dram Nummer 8 im Crees Pub von Aberdeen entdeckte.

Pulteney Destillerie, Foto von K. Schwebke, CC-Lizenz

Gegenüber Dave behielt ich die maximale Bewertung für mich. Vielleicht, weil mir die ganze Sache mit den Stützrädern doch zu privat war. Vielleicht weil mir in diesem Moment diese höchst persönliche Art von Bewertung gar kindisch vorkam. Auf jeden Fall verabredeten sich Dave, der Rennradfahrer, und Uli, der Tourenradfahrer, nach dem zweiten Glas Pulteney zu einer gemeinsamen Radtour durch Bayern.

Wir fachsimpelten noch eine ganze Weile über Radtechnik, Doping und den neusten Schnickschnack an Ausrüstung, blieben beim Du und tauschten noch unsere Email-Adressen aus. Nach einer sportlichen Umarmung schnappte ich mein Rad am Lenker, hob das linke Bein mit Schwung über das Oberrohr und bekam das hochstehende linke Pedal auch gleich zu fassen. Mit dem rechten Bein am Boden schob ich es schwungvoll an. Im Losfahren winkte ich noch Dave zu und fand, vielfach geübt, im zügigen Antritt schnell die Balance.

Wo alles begann

Die Granitstadt verließ ich unter einem Himmel, der grummelte als gefiele ihm mein Aufbruch nicht. Nun wäre ich gerne noch einen weiteren Bummeltag in Aberdeen geblieben, doch die Küste im Süden lockte mit Sonnenschein.

Nach 24 Stunden Rast war der Akku meiner Muskelkraft wieder geladen, und als ich am Morgen der Weiterfahrt das Fahrrad mit den Taschen belud, fühlte ich mich konditionell voll auf der Höhe. Was wollte ich mehr, das Wetter passte! Zwar grummelte der Himmel, aber mit Regen würde er mich nicht überschütten. Dafür begrüsste mich bereits an der Drehtür des Hotels ein tatkräftiger Wind so herzhaft, dass ich mich wie von einem alten Freund umarmt fühlte. Schon auf den ersten Metern wurde aus freudiger Überraschung Gewissheit: der alte Freund würde sich an meine Versen heften, und zwar mit langem Atem wie sich bald herausstellen sollte. Tatsächlich! Am Ende des Tages verdankte ich ihm, nicht meinen Beinen, den guten Schnitt, den ich bis zum Abend hingelegt hatte. Das waren immerhin 140 Kilometer.

Um 7 Uhr in der Früh fuhr ich im Duthie Park an einem Frauchen vorüber, das seinen Border Collie über Betonquader springen und rennen ließ. Ja, viele Male hin und zurück musste das Tier hetzen, um vermutlich schon in der Früh für den ganzen Tag ausgetobt zu sein. Als ich den hechelnden Hund erblickte, war ich froh, dass ich nicht unter Dressur gehalten wurde, sondern frei wählen konnte, wohin ich fuhr und mit welchem Tempo. Na ja, so ganz stimmte das nicht, denn die Ziele für diesen und die folgenden Tage waren abgesteckt und trugen die Namen Dundee, Fife und Edinburgh.

Doch schon kurz nach dem Aufbruch war mein schöner Plan Makulatur! Die Urbanität von Aberdeen erwies sich als vertrackt und machte mir einen Strich durch die Rechnung – gleich hinter dem Duthie Park verlor ich im Straßengewirr die Orientierung. Ein königsblaues Radschild war nirgendwo zu erspähen, nur riesengroß das blaugelbe Ikea-Logo, das die Gleichförmigkeit eines Industrieparks krönte. So musste ich, um den Weg aus dem Dschungel der wuchernden Großstadt zu finden, mal wieder richtungstechnisch improvisieren.

Am Himmel wurde der helle Fleck, den die Sonne auf die Wolkendecke malte, zum Kompass, der mir zumindest grob die Orientierung aus dem Industriegebiet hinaus gen Süden wies. Über Gehwege und Standstreifen von Autostraßen schaffte ich es schließlich, in ruhigere Gefilde vorzudringen. Hätte ich nicht den Zuspruch des Winds im Rücken gespürt, ich wäre verzweifelt, denn der lückenhaft beschilderte Straßenverlauf lenkte mich mal auf die stark befahrene Angus Coastal, mal ganz nahe an die zersägte Küste der Nordsee heran. Von Kilometer zu Kilometer wuchs meine Ungeduld – verdammt, so viele Umfahrungen, manchmal nur um zwei größere Areale von Feldern herum. Nach nervenzehrenden Umlenkungen wurde es mir schließlich zu bunt und ich entschied mich – königsblaue Beschilderung hin oder her – für eine individuelle Route durch die rollenden Hügel entlang der Nordseeküste.

Die Küste bei Aberdeen

Zu beiden Seiten des frei gewählten Feldwegs stand die Gerste bereits zwei Handbreit auf dem Halm und ihre weißgrünen Fruchtstände schwankten im Wind als verbeugten sie sich vor einem Verehrer, der ihren wahren Wert zu schätzen wusste. Stunden um Stunden ging es durch den unendlich weiten Gerstehain, solange, bis mich meine Blase zum Anhalten zwang. Bot sich jetzt nicht eine gute Gelegenheit, das windbewegte Korn aus der Nähe zu betrachten?

Die Haarspitzen der Ähren blinkten bereits zart silbern und ließen schon jetzt im Juni eine reiche Ernte erahnen. Ein heißer Sommer kündigte sich an, das spürte ich deutlich und auch der kühle Nordwind konnte diese Empfindung nicht stören. Schnell hatte ich mich erleichtert und eigentlich hätte ich gleich wieder in die Pedale steigen und weiterfahren sollen, doch urplötzlich überkam mich inmitten der jungen Gerste der verrückte Wunsch, mich im Umfeld dieser fruchtbaren Pracht auf den Boden zu legen und für immer hier zu bleiben. Was mich in diesem Augenblick überkam, war eine große Ruhe, gepaart mit einer tiefen Dankbarkeit dafür, dass ich über einen Zeitraum von fünf Wochen und über eine Strecke von 1.400 Kilometern das Wachsen des Whiskykorns in vielen Regionen miterleben durfte.

Kurz nach Mittag erreichte ich Dunnottar Castle. Wie ein kariöser Zahn stand die Burgruine vor graugrünen Meereswellen und unter regenschwangeren Wolken. Ihr Anblick drückte aufs Gemüt, zumal ich ihre Geschichte kannte. Getrieben von der Illusion der Unbezwingbarkeit, hatten vor acht Jahrhunderten die schottischen Könige und Klans die Festung auf einer vorgelagerten Felsklippe hoch über dem Meer erbaut. Doch in den Englischen Bürgerkriegen von 1651 war es ein Leichtes für die technisch überlegenen Kanonen von Oliver Cromwell, den Hort der schottischen Kronjuwelen, von Krone, Schwert und Zepter, bis auf die Grundmauern zu zerschießen.

Wieder einmal schaute mir an einem malerischen Ort Schottlands verzweifelter und blutiger Unabhängigkeitskampf ins Gesicht und stimmte mich traurig. An zu vielen Ruinen von Burgen, Schlössern, Klöstern und Kirchen war ich vorbeigekommen, an steinernen Zeugen von Niederlagen, die heute als Touristenspots dienten. Als ich auch noch die Korona bunter Reisebusse auf dem Parkplatz unter der Felsklippe entdeckte, entschied ich mich, ohne Halt weiterzufahren, zumal ich mir kurz zuvor an der Mole von Stonehaven ein Heißgetränk gegönnt und mir vorgenommen hatte, nun in einem Satz bis Dundee durchzufahren.

(Fortsetzung folgt)

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