Deutschland und der deutsche Sprachraum haben eine aktive, vielfältige und interessante Whiskyszene. Persönlichkeiten in der Industrie, im Handel und unter den Whiskyfreunden haben sie geprägt und ihren Weg bestimmt.
Auf Whiskyexperts wollen wir in der kommenden Zeit in lockerer Abfolge diese Personen zu Wort kommen lassen, um so ein umfassendes Bild dieser Szene zu entwerfen. Den Anfang möchten wir mit einem Mann machen, der für viele so etwas wie das „Gesicht“ des Whiskys in Deutschland ist: Horst Lüning. Der ehemalige Luft- und Raumfahrttechniker ist Marketing- und IT-Manager im The Whisky Store (whisky.de), der von seiner Frau Theresia Lüning gegründete und geleitete größte deutsche Onlinehandel für Whisky. Auch die Domain whisky.com gehört seit einiger Zeit nach einem Millionen-Ankauf zum Lüning-Imperium.
Man kennt Horst Lüning für seine profunden Verkostungsvideos über Whisky, seinen Channel Unterblog und seine Begeisterung für aktuelle Technik. Wenn Horst Lüning spricht, sprechen 30 Jahre Erfahrung mit Whisky und der Whiskyszene – wie in diesem Interview:
Whiskyexperts: Jeder von uns hat ja auch eine Geschichte vor dem Whisky. Wie würden Sie die Ihre beschreiben, welche Meilensteine, welche prägenden Momente sind für Sie darin wichtig?
Horst Lüning: Für Whisky habe ich mich eigentlich schon seit meiner Jugend interessiert. Nach dem obligatorischen Zusammenstoß mit einer ‚unangenehmen‘ Flasche Blend war dann erst einmal für einige Jahre Schluss. Meilensteine in meinem Leben gibt es reichlich. Zu viele, um davon zu erzählen. Wichtig an dieser Stelle sind vielleicht das Versenden der ersten E-Mail im Jahr 1989 und der Aufbau der ersten Webseite für The Whisky Store im Jahr 1994. Ich habe – wie es im englischen Sprachraum so schön heißt – ‚Rocket Science‘ studiert. Also Luft- und Raumfahrttechnik. Damit gehöre ich zu den Menschen, die sich stark für High-Tech interessieren.
Wie und wann haben Sie den Whisky als Genussmittel entdeckt? War es Liebe auf den ersten Blick oder eine wachsende Beziehung?
Nach dem ersten Zusammenstoß mit der Blend-Flasche dauerte es eine ganze Weile, bis mich ein Freund zu Beginn der 80er Jahre auf den wahren Single Malt Whisky aufmerksam machte. Ab da wuchs das Interesse an den verschiedenen Aromen beständig.
Dass eine Leidenschaft zum Beruf wird, ist ja zumeist eine Lebensentscheidung, die man selbst treffen muss. Wie war das bei Ihnen? Haben Sie sich kopfüber in das Abenteuer gestürzt oder geschah das mit Bedacht, mit Planung?
Was oft von unseren Kunden und Interessenten nicht verstanden wird, ist die Aufteilung der Arbeit zwischen meiner Frau und mir. Meine Frau betreibt The Whisky Store. Es ist ihr Baby und sie hat es alleine aus der Taufe gehoben und in die erste Wachstumsphase gebracht. Ich habe nur einen Computer installiert, eine Webseite erstellt und abends ein paar Programme geschrieben. Als meine Frau den Whisky dann richtig zum Fliegen gebracht hatte, war es für mich ein Leichtes, meinen damaligen Job in der IT-Industrie als Outsourcing Manager aufzugeben.
In der Zeit, in der Sie sich auch beruflich mit Whisky beschäftigen: Wie hat sich Ihrer Beobachtung nach die Whiskyszene in Deutschland verändert? Wo sehen Sie die Vorteile der Popularisierung von Whisky, wo die Nachteile?
Mit über 30 Jahren Whisky-Erfahrung und 20 Jahren in der Szene, die meine Frau erheblich mitgestaltet hat, blicke ich auf eine tolle Entwicklung besonders für Deutschland zurück. Früher gab es nur guten Whisky für eine kleine Gruppe an Eingeweihten. Die fühlten sich als etwas Besseres. Sie mussten sich aber selbst auch mit einem deutlich begrenzten Angebot abfinden. Mittlerweile hat sich das Angebot ausgeweitet und fast jeder Getränkemarkt bietet ebenfalls Single Malt Whiskys an. Viele aus der Szene beschweren sich über diese allgegenwärtige Konkurrenz. Doch am Ende profitieren wir alle davon. Wo immer sich ein Einsteiger in einem Getränkemarkt eine Flasche kauft, steigt auch die Wahrscheinlichkeit an, dass er sich im Netz – und auch bei Whisky.de – nach besserer Ware umsieht und so der Szene hilft, sich weiterzuentwickeln.
Dass die Hersteller diesen einsetzenden Boom nicht verstanden haben und nun einige Brennereien unter Versorgungsengpässen leiden, steht auf einem anderen Papier.
Handel und Produzenten leben ja nicht nur in einer Symbiose, sondern stehen auch ständig in einem gewissen Spannungsfeld. Wie hat sich die Position des Handels verändert, wird es leichter oder schwerer, mit den Produzenten umzugehen? Vergleichen Sie mal den Status jetzt mit dem vor fünf Jahren. Und welche Rolle sehen Sie für den Handel über den Verkauf hinaus?
Die Produzenten sind über die Jahre viel professioneller geworden. Ging früher Vieles auf Zuruf und über ‚Vitamin B‘, regiert heute der Markt. Angebot und Nachfrage bestimmen Preise und Lieferfähigkeiten. Das ist die gute Nachricht.
Der große Nachteil liegt im Unverständnis der Konzern-Manager ob der Reifeprozesse des Whiskys. Wenn ein Manager kürzere Zeit im Job sitzt als Whisky zum Reifen benötigt, dann sind Fehlentscheidungen vorprogrammiert. Hat man beim Wodka und Gin mit kurzfristigen Modeerscheinungen Erfolg, ist so ein Vorgehen beim Whisky fatal. Dies ist auch der Grund, warum heute mehr und mehr Flaschen ohne Altersangaben auf den Markt kommen. Die Manager schielen auf ihren Bonus und müssen mit frischem ‚Sprit‘ kurzfristig den Absatz erhöhen. Wenn er dann Erfolg hat, wird er befördert und macht vielleicht bei Wodka oder Gin weiter.
Der Handel kennt diese Probleme mittlerweile zur Genüge. Es hat ein Ausweichprozess begonnen, der das Anpreisen von unbekannteren Whiskys mit Altersangaben beinhaltet. Die bisherigen Stars tun sich damit schwerer und schwerer, die Genießer weiterhin zu begeistern. Die Konzerne tun, was in ihrer Macht steht, um die Umsätze hoch zu halten. Das kostet viel Geld für Werbung und Marketing und treibt die Whiskypreise weiter nach oben. Dies zeigt aber leider nur begrenzte Wirkung. Hauptverkaufsmerkmal ist und bleibt neben der Güte des Fasses halt das Alter. Da gibt es kein Wenn und Aber.
Schauen Sie doch mal mit Ihrem Wissen ein wenig in die Zukunft. Wie wird es mit Whisky weitergehen? Welche Trends zeichnen sich ab? Welche Chancen und Gefahren sehen Sie für den Markt in der Zukunft.
Der Whiskymarkt wird sich segmentieren. Das hat schon begonnen. Es wird Whiskys ohne Altersangaben in der breiten Fläche geben. Der Fachhandel wird dagegen vermehrt die teureren Whiskys mit Altersangaben anbieten. Im Windschatten der konzerngebundenen Brennereien entstehen gerade in Schottland rund 30 neue Brennereien. Überlebt man als unabhängiger kleiner Brennereibetreiber 10 Jahre Anlauf, so kann man sich mit einer kleinen, spezialisierten Malt-Whiskybrennerei eine goldene Nase verdienen. Denn all das Geld, das für teures Marketing bei den Großen ausgegeben wird, kann der Kleine ‚einsacken‘, so er denn preiswerte Wege findet, seinen Whisky den Genießern anzudienen. Es gibt zahlreiche kleine, private Brennereien, die das heute schon schaffen.
Deshalb machen sich ja so viele Verfolger auf den Weg. Das wird mittelfristig zu einem Überangebot und zu sinkenden Preisen führen. Man wird sich um den Kuchen streiten. Am Ende werden auch die Konzerne unter Druck geraten und die Preisschraube lockern müssen. Mehr Vielfalt steht uns gleichzeitig ins Haus. Bis dieser kommende Whisky richtig alt ist, müssen wir von unseren Vorräten leben. Sich heute eine Sammlung für den Genuss in den kommenden 10 bis 20 Jahren aufzubauen, macht Sinn. Wir sehen derzeit vermehrt Megabestellungen im fünfstelligen Bereich auf Whisky.de. Die Eurokrise wird uns bald dazwischen kommen und manche Menschen halten es für höchste Zeit, ihr angespartes Geld in Reales wie Whisky zu tauschen.
Horst Lüning ist nicht ausreichend beschrieben, wenn man nicht seine Affinität zu neuen Medien und neuer Technologie kennt. Sie waren in diesen Dingen Pionier (zum Beispiel mit den Verkostungsvideos), Sie sind es immer noch (zum Beispiel mit der App für Sony TV-Apparate oder Ihrer Begeisterung für das wohl fortschrittlichste Elektroauto, Tesla). Woher kommt diese Lust am Neuen, und ist sie zielgerichtet oder experimentell?
Wie ich eingangs sagte, bin ich Ingenieur. Und ein Ingenieur erschafft ständig Neues. Als Ingenieur ist man in der Regel auch ein ‚Early Adopter‘, d.h. man interessiert sich für alles Neue. Ich bin finanziell in der glücklichen Lage viel zu experimentieren und berichte darüber auch in meinem UnterBlog (Unternehmer Weblog) auf YouTube, wo ich mit aktuell 750 Videos 17.000 Abonnenten aufgesammelt habe. Im YouTube-Videochannel von The Whisky Store sind es mit 1.245 Verkostungsvideos mittlerweile 22.000 Abonnenten.
Beide Kanäle befruchten sich gegenseitig. So habe ich im UnterBlog bereits Videos über Genussmittel und Lifestyle, aber auch Alkoholsucht oder Cannabis gedreht. Das breitgefächerte Feedback aus beiden Kanälen hilft uns im The Whisky Store sehr, unser Bild von der Welt da draußen ständig anzupassen und zu verbessern. Wer heute noch den sogenannten ‚Qualitätsmedien‘ glaubt, der würde sich ängstlich in sein Schneckenhaus zurückziehen und Handel und Wirtschaft den Konzernen überlassen. Der direkte Kontakt mit den Kunden ist uns wichtig. Es macht keinen Sinn zwischen sich und den Kunden auf der einen Seite die Medien mit ihren eingebetteten Journalisten zu stellen und auf der anderen Seite das Marketing mehr oder weniger wissenden Agenturen zu überlassen. Das alles wird mit Marketing 1.0 bezeichnet. Das funktioniert immer schlechter. Der UnterBlog ist faktisch unser eigener Fernsehkanal. Wer kann so etwas neben ‚Mein Haus, mein Auto, mein Pferd …‘ schon vorweisen ;-).
Whisky.de ist wohl die mit Abstand größte Website und der größte Webshop in Deutschland. Ihre Neuerwerbung Whisky.com wird mittlerweile laufend gepflegt und steigt in den Zugriffszahlen rasant an. Welches Geschäftsmodell ist eigentlich dafür vorgesehen? Ein dahinterliegender internationaler Webshop wird es wohl nicht sein, oder? Womit soll Whisky.com die Kosten einspielen?
Whisky.com ist eine sogenannte generische Domain. Jetzt nicht nur für Deutschland wie Whisky.de, sondern für die ganze Welt. Auch wenn die Domain zum Kaufzeitpunkt dem Beobachter teuer erschien, so war damals der Euro noch stark und damit die Ausgaben für uns überschaubar. Ab und zu wird uns vorgeworfen, dass wir den Whisky in Deutschland als Marktführer künstlich verteuern würden, um damit die Whisky.com Domain zu finanzieren. Das stimmt aber nicht. Hinter Whisky.com steht ein eigenes Unternehmen, das extrem solide finanziert ist und mit Whisky.com eine Langfriststrategie verfolgt.
Es ist richtig, dass die Zugriffszahlen von Whisky.com genauso wie der dazugehörige YouTube-Kanal mit derzeit 425 Videos gewaltig ansteigen. Wir leben, wie ich es immer sage, in exponentiellen Zeiten. Was wir heute sehen, ist im Vergleich zu dem, was auf uns zukommt, derzeit nur ein kleines Pflänzchen. Schon 2016 wird mein englischer YouTube-Kanal selbst meinen mit 14 Millionen Aufrufen recht erfolgreichen deutschen Kanal schlagen. Global ist hochwertiger Whisky im Aufschwung. Eine Webseite wie Whisky.com kann man dabei mit einer Whiskybrennerei vergleichen. Man zahlt eine Menge Geld für eine stillgelegte Brennerei oder für einen Neubau. Dann gilt es viele Jahre bis Jahrzehnte beständig zu arbeiten und den Lagerbestand zu mehren. Wer wirklich langfristig denkt, der legt sein Geld nicht in Staatsschulden oder Fonds mit mickriger Verzinsung an, sondern investiert langfristig ins eigene Unternehmen. Da sind die Renditen am höchsten.
Neben meinem Wesen als Ingenieur bin ich gleichzeitig auch privater Unternehmer und denke damit sehr langfristig. Was aus Whisky.com werden wird, ist derzeit noch offen. Es ist ein klassisches Startup, wie man es sonst nur in Asien oder USA findet. Damit gibt es keine Szenarien, bis wann wir welches Geld verdienen müssen. Lassen Sie Whisky.com wie einen guten Whisky länger reifen. Ob man die Flasche anschließend selbst öffnet und genießt oder ob man sie später an einen Sammler verkauft? Wer weiß das heute schon 😉
Zum Abschluss unsere Standardfrage an alle unsere Interviewpartner: Wenn Sie selbst ein Whisky wären, welcher wären Sie da und warum?
Wenn Sie mich so fragen, dann glaube ich … bin ich etwas schizo 😉 Auf der einen Seite bin ich schon lang gereift, sehr komplex und auch reichlich teuer. Auf der anderen Seite entdecke ich aber immer wieder an mir neue, jugendliche Facetten. Auf einen Jahrgangswhisky möchte ich mich nicht festlegen. Man ist vielmehr so alt, wie man sich fühlt.
Nach Ihrer Frage muss ich mich aber wohl doch auf einen festlegen. Und da fallen mir zwei ein. Von der privat geführten Brennerei Glenfarclas gibt bzw. gab es den Chairman’s Reserve, der Whisky aus vier unterschiedlich alten Fässern beinhaltet, die zusammen 175 Jahre Alter ergeben. Alternativ ist mir auch der Tomatin Decades eingefallen, der fünf Fässer aus den letzten fünf Dekaden bis zurück zu 1967 enthält. Am Ende habe ich diese Flasche aber verworfen, weil an mir ein ‚höherer‘ Preis steht.
Lieber Herr Lüning, danke für Ihre Zeit und Ihre Antworten.