Wir freuen uns, Ihnen ab diesem Sonntag jede Woche ein Stück einer wunderbaren Geschichte über Schottland, Whisky und das Reisen vorstellen zu dürfen: Exklusiv im Vorabdruck präsentieren wir Ihnen Whisky Cycle, das neueste Buch von Uli Franz.
Uli Franz lebt als Schriftsteller im Chiemgau und auf der dalmatinischen Insel Brac’. Von 1977-80 arbeitete er als Zeitungskorrespondent in Peking. Über China und Tibet veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen Radgeschichten und „Die Asche meines Vaters“ (Rowohlt Verlag).
Franz’ heimliche Liebe gilt Schottland und dem Wasser des Lebens. In Whisky Cycle entführt er den Leser auf ca. 280 Seiten nach Schottland, wo er in fünf Wochen 1.500 Kilometer auf dem Fahrrad zurücklegte. Seine Besuche in 17 großen und kleinen Destillerien waren verbunden mit Tastings und der Suche nach dem perfekten Schluck – the perfect dram.
Das Buch ist auch ein Stück Autobiografie. So steht am Anfang eine Jugendsünde, ein Vollrausch im Alter von siebzehn, den ihm der fahrlässige Umgang mit dem legendären VAT 69 einbrachte. Dieser Rausch hatte zur Folge, dass er zwanzig Jahre lang Whisky weder riechen noch schmecken konnte. Erst dann wich die Abscheu einer immer stärker werdenden Neugier. Auf der Radreise durch Schottland fand dann die endgültige Aussöhnung statt. Aus diesem Grund endet das Buch mit einer Verkostung des Jugendwhiskys VAT 69 an einem Ort, wo die schottische Whiskygeschichte ihren Anfang nahm.
Das Buch Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland (ca. 320 Seiten) erscheint am 01.02.2021 im Alba Collection Verlag GbR. Es kann bis zum 15.01.2021 zum Einführungspreis (Subskriptionspreis) von 16,- Euro hier vorbestellt werden.
Kommen Sie also mit auf eine Reise durch die Zeit – und zu 17 Brennereien in Schottland:
Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 1)
Jugendsünde
Ich starb mit siebzehn vor meiner kleinen Bar, die sich in einem Erbstück meines Großvaters versteckte. An einer hohen Dosis Lebenswasser, das bei uns Whisky und bei den Schotten uisge beatha[1] heißt, ging ich zugrunde. Stunden dauerte mein Sterben während einer grässlichen Nacht, heraufbeschworen durch den Überschwang der Jugend. Noch heute, nach mehr als einem halben Leben, befällt mich leichte Übelkeit, wenn ich an damals denke.
Der Nachmittag vor meinem frühen Tod hatte ganz harmlos angefangen.
Nach dem Mittagessen im familiären Kreis schlich ich in den Keller, wo mein Vater das Magazin seines Feinkostladens unterhielt. An der Tür zum Spirituosenlager steckte der Schlüssel im Vorhängeschloss und so konnte ich ungehindert zwischen die Regale treten und mich bedienen. Diesmal schob ich mir keinen Dujardin oder Doornkaat unter die Jacke, sondern eine Flasche Whisky, einen VAT 69.
Whisky war in den sechziger Jahren noch ein Exot, zumindest in meiner Heimat. Bundesweit sah es schon besser aus, da bedrängte er bereits die Weinbrände und wurde in deutschen Kinos als weltmännischer Drink zu einer Stuyvesant oder Luky Strike gefeiert. Was heute der Gin, war damals der Whisky! Nun wollte ich mich auch weltmännisch geben, auch wollte ich es den heimischen Spießern in ihren blank gewetzten Hosenträgerhosen zeigen. So landete der VAT 69 als eine Art Medizin gegen den schwäbischen Mief in meiner kleinen Bar, die ich in eine alte Holztruhe hineingebastelt hatte.
Wenn man den Truhendeckel hob, ließ das Sonnenlicht, das üppig in mein Jugendzimmer floß, den Barschatz und die Gläser überschwänglich blinken. Da Flaschen und Trinkgläser auf Spiegelglas standen, erlebte mein bescheidener Schatz jedesmal einen großen Auftritt. An jenem Nachmittag nun schaute mich die frisch stibizte Flasche so erwartungsvoll an, dass ich ernsthaft glaubte, sie lud mich ein, mir einen ganz Kleinen einzuschenken. Ja, mich für die Quälerei in Latein und Mathematik zu belohnen.
Der erste Schluck, der sich golden am Glasboden wiegte, war wider Erwarten nicht wirklich fein. Ehrlich gesagt, er roch und schmeckte ziemlich scheußlich nach Räucherschinken, sogar nach einem Hauch von Terpentin. Aber kaum war er über die Zunge in Richtung Zäpfchen geronnen, wurde mir wohlig warm und das alkoholische Brennen verschwand, ganz anders als bei einem kratzigen Dujardin oder einem hochprozentigen Obstler. Tief drinnen im Bauch machte sich alsbald eine Wärme breit, so wohltuend, als hätte mir meine Mutter eine Bettflasche aufgelegt.
Nach diesem Schluck, dem ersten Schluck Whisky überhaupt, war ich hin und her gerissen und unentschlossen wie selten zuvor. Sollte ich mir einen zweiten genehmigen oder das schottische Lebenswasser ein für alle mal vergessen? Aber einfach so kapitulieren, weil mir sein Geruch nicht gefiel, das wollte ich dann auch nicht, immerhin war er wohlig warm im Magen angekommen. Also schenkte ich mir nochmals ein – und staunte: dieser Schluck mundete. Süße, fruchtige Noten von Karamell, Vanille und Feigen schmeichelten dem Gaumen und verscheuchten die unfeinen Aromen. Plötzlich erlebte ich eine Veränderung wie zu Beginn einer Radtour: anfangs spürt man nur Mühsal, Kurzatmigkeit und harte Muskulatur. Doch nach der ersten Überwindung entspannen sich die Muskeln und eine angenehme Leichtigkeit durchströmt einen von Kopf bis Fuß.
Gerade als ich mit meinem Selbstversuch beschäftigt war, klingelte es unerwartet und mein Freund Mecki stand in der Tür, schelmisch grinsend, als triebe ihn ein Späßlein um. Mecki, sieben Jahre älter als ich, hatte eine gute Statur und ausgestattet war er mit Arbeitshänden, die ihm bereits ein angenehmes Leben erlaubten. Hingegen ich: Gymnasiast mit dürftigen Noten, schmalen Schultern, mal kleinlaut mal großspurig – eben ein Siebzehnjähriger, der seinem Vater noch auf der Tasche lag.
Mecki suchte bereits eine Frau zum Heiraten, während der Jüngling in mir nach einem Mädchen mit einschlägigen Erfahrung Ausschau hielt. Wir waren also ziemlich verschieden, gingen aber trotzdem jedes Wochenende gemeinsam aus. Da Mecki schon recht gut verdiente, besaß er eine schneeweiße Schönheit, einen Alfa Romeo Gulietta Spider, mit dem wir samstagabends am Scotch Club vorfuhren, was in unserer Kleinstadt mit ihren Volkswagen und Opeln für ziemliches Aufsehen sorgte. Mit stolzgeschwellter Brust saß Mecki am Steuer und ich, nicht minder aufgeblasen, daneben. Dass mir noch die Fahrerlaubnis fehlte, behielt ich in solchen Momenten gerne für mich.
Als mein älterer Freund jetzt grinsend in der Tür stand, um mit mir auf Pirsch zu gehen, hatte ich schon einen Klitzekleinen in der Krone. „Hallo Mecki, komm doch rein. Du siehst nach Unternehmung aus! Willst du wirklich bei dem Sauwetter in den Scotch Club fahren?“
Draußen regnete es in Strömen und ich besaß nicht mal einen Schirm. Unter diesen widrigen Umständen stand mir der Sinn nach Zuhausebleiben, nach Gemütlichkeit.
Mecki nickte und machte einige Tanzschritte, als wollte er auf jeden Fall ausgehen und aus heiterem Himmel fing er an zu singen: „When the night has come and the land is dark…“
„‚Stand by me’, klar, Beny King“, rief ich wie beim Quiz und musste lauthals über sein etwas schräges Geträller lachen. Immerhin war ich noch nicht so beduselt, dass ich unsere Ausgeh-Melodie nicht erkannt hätte.
Warum er so gut drauf war, wurde mir klar, als ich ihn sagen hörte: „Heute legt ein DJ aus London auf! Mensch Uli, das ist doch was, Soul von Welt bei uns im Kaff!“
„Jaaa, schon Mecki, aber schau mal raus, wie es pisst! Nein, da geh ich nicht vor die Tür, zumal ich für uns beide was echt Schottisches in der Hinterhand habe. Das ist nicht nur was für die Soul, sondern auch fürs Gemüt und deine trockene Kehle. Also, abgemacht, wir bleiben hier.“ Was ich Mecki nicht verriet, dass ich nicht die geringste Lust hatte, schon am ersten Wochenende mein Taschengeld für den halben Monat auszugeben. Immerhin war der Scotch aus meiner Truhenbar gratis und die Musik aus dem Kofferradio gab es ebenfalls umsonst.
Ohne sein Okay abzuwarten, stieß ich ihm freundschaftlich die Faust vor die Brust und nötigte ihn, auf dem braunen Cordsessel Platz zu nehmen. Uns beiden schenkte ich freizügig ein, der VAT 69 war ja in weitestgehendem Sinne eine Spende des Hauses. Mecki protestierte keinen Moment, sondern nickte mir auffordernd zu und hob das gut gefüllte Whiskyglas in meine Richtung. Wir prosteten uns zu und schnell waren Soul, Londoner DJ und Sauwetter vergessen. Schluck um Schluck entspann sich ein Gespräch über den nächsten Urlaub. Mit seinem wunderschönen, aber nicht hundertprozentig alltagstauglichen Cabrio und einem soliden Opel Caravan als Begleitfahrzeug wollten wir und drei Freunde nach Jugoslawien fahren.
Noch während wir Urlaubspläne schmiedeten, versuchte ich krampfhaft mein Wegnebeln vor meinem älteren Freund zu verbergen, so stand ich immer wieder auf und kramte Erdnüsschen und Salzstangen aus der Bartruhe hervor, wobei ich scherzte, mir komme es vor, als befänden wir uns schon im Urlaub auf der Adria, so schwankte mir bereits der Boden unter den Füßen.
Zu vorgerückter Stunde verabschiedete sich Mecki, er wolle noch im Scotch Club vorbeischauen. Nur noch stumm nicken konnte ich, so benebelt war ich bereits von unserem schottischen Abend. Vom Fenster aus sah ich wie er in sein weißes Cabrio stieg und mit matter Hand winkte ich ihm noch hinterher. Der getunte Alfa Motor heulte auf und weg war Mecki. Fahrtüchtig sei er noch allemal, hatte er mir versichert, aber das nahm ich ihm nicht ganz ab, weil ich meinen eigenen Zustand kannte.
Kaum war er aus der Tür, konnte ich nicht länger an mich halten. Ich warf mich aufs Bett und wie auf Kommando ging es los mit dem Karussell. Im Liegen nahm die Übelkeit schlagartig zu, ich musste rülpsen und der Magen krampfte in immer kürzeren Abständen. Der Whiskyrausch hatte, anders als frühere Wein- und Bierräusche, lange auf sich warten lassen, doch als er nun verzögert über mich hereinbrach, geschah dies mit unglaublicher Wucht. Zuerst spürte ich die Wirkung im Schädel. Die Hirnmasse, leider nicht die grauen Zellen, schien sich schlagartig zu potenzieren und mir kam es vor, als wäre sie von M auf XXL angewachsen.
Jetzt, da ich alleine war, erschien mir mein Zimmer und die aufgeklappte Truhe viel größer, aber auch schmaler, schlauchartig dehnte sich die ganze Einrichtung in eine Tiefe, die vor meinen Augen vibrierte wie unter Strom. Das Schlimmste aber sollte erst noch kommen. Der Magen ließ sich nicht mehr ruhigstellen, er rächte sich mit Übelkeit der widerwärtigsten Sorte.
Zum Glück war das Badezimmer mit der Kloschüssel nicht weit. Mühsam kam ich von der Matratze hoch und torkelte in Schlangenlinien durch einen Tunnel auf die Badezimmertür zu. Unendlich weit erschien mir der Weg, als ich zu würgen begann und spürte, dass der Magen auf dem nächsten Meter rebellieren würde. Gerade noch rechtzeitig schaffte ich es, mich über die Kloschüssel zu werfen, schon reiherte ich los, einen Schwall von saurem, gelblich grünem Brei erbrach ich mit rundgebeugtem Rücken. Die Erleichterung dauerte nur kurz, kaum, dass ich mich aufrichtete, musste ich mich schon wieder unter der nächsten Brechwelle krümmen. Der Kotzschwall stank entsetzlich nach Whisky, aber noch schlimmer nach galligen Säften. Zu zittern fing ich an und am ganzen Körper zu frieren. Kraftlos ließ ich mich vor dem Klo auf den Steinboden sinken und stemmte die Ellbogen auf die verspritzte Sitzbrille. Als ich versuchte, mich aufzurichten und den Kopf unter den Wasserhahn zu halten, knickten die Knie weg und ein Würgereiz beugte mir erneut den Rücken. Doch der Magen war jetzt leer, ausgeleert wie ein umgestülpter Eimer. Ich musste husten und trocken würgen, wodurch mir ekliger Speichel über die Lippen floss. Entkräftet sank ich auf den Fliesenboden nieder.
Noch nie in meinem Leben war ich derart abgestützt. Wie tot kam ich mir vor und in meinem Elend fing ich an zu schluchzen. Das entspannte immerhin ein wenig und lockerte den Druck in der Magengrube, wodurch der Brechreiz allmählich verschwand. Für kurze Zeit musste ich eingedämmert sein, denn als ich wieder zu mir kam, hatte die Übelkeit nachgelassen und ich verspürte einen gewaltigen Durst und ein Brennen im Schlund. Am Waschbecken zog ich mich hoch und drehte mit zitternden Händen den Hahn auf, dann schob ich den Kopf unter den kalten Wasserstrahl, um die Schmerzen hinter der Stirn und das Hämmern im Schädel zu lindern. Das kalte Wasser ersetzte die Eiswürfeltherapie und ganz langsam, mit kleinen Dämmerpausen, kam ich wieder zu mir und konnte mich zum Bett schleppen. Kaum, dass ich auf der Matratze lag, fuhr ich wieder Karusell und der Brechreiz kehrte zurück. Würgend lag ich in meinem Elend, keine drei Meter neben meiner kleinen Bar, die ich laut verfluchte.
Irgendwann musste ich vor Erschöpfung eingeschlafen sein. Auch wenn die körperlichen Qualen allmählich verebbten und ihr Schrecken ganz langsam verblaßte, grub sich die Erinnerung an jene tödliche Nacht tief ins Gedächtnis ein. Wie ein Tattoo ist sie in die Magenwand eingestochen und bis heute präsent.
Am nächsten Morgen war es mir nicht möglich, in die Schule zu gehen. Beim Frühstück log ich meinen Vater an, ich hätte an der Imbissbude eine verdorbene Wurst erwischt und die ganze Nacht gebrochen.
„Ich hab’s dir schon immer gesagt, geh nicht zu dieser billigen Würstchenbude, komm künftig gleich nach Hause zum Mittagessen“, sagte er gewohnt rechthaberisch.
Milder gestimmt, bereitete mir meine Mutter einen Haferschleim zu und als sie den Teller wortlos vor mich hinstellte, strich sie mir sanft durchs strubbelige Haar. Dankbar nahm ich die salzige Kost an, um wieder etwas Festes in den Magen zu bekommen. Doch die Genesung kam nur zäh voran, noch den ganzen Tag plagten mich mörderische Kopfschmerzen, nicht nur hinter den Schläfen, sondern die ganze Stirn entlang und über den Scheitel bis in den Nacken. Angeschlagen wie ich noch länger war, fand ich nur in Trippelschritten in die Normalität zurück. Und mit jedem dieser Schritte schwor ich mir, nie wieder einen Whisky anzulangen. Und wirklich: nie mehr sollte ein VAT 69 seinen Weg aus dem väterlichen Vorratskeller in meine Bartruhe finden.
Wie um den Komarausch auszublenden, band ich mir am Wochenende nach dem Whiskytod meine rotkarierte Schottenkrawatte um und schlüpfte in den schwarzen Blazer mit den Goldknöpfen, um mit Mecki, dem ich von meinem Absturz nichts erzählte, wieder im Scotch Club aufzulaufen.
(hier geht es zur nächsten Folge)
[1] gesprochen:üschke ba