Freitag, 26. April 2024, 21:45:04

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 37)

Über 1500 Kilometer zu siebzehn schottischen Brennereien - bei Benriach

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Wir freuen uns, Ihnen jeden Sonntag ein Stück einer wunderbaren Geschichte über Schottland, Whisky und das Reisen vorstellen zu dürfen: Exklusiv auf Whiskyexerts präsentieren wir Ihnen Whisky Cycle, das neueste Buch von Uli Franz, als Fortsetzungsgeschichte.

Uli Franz lebt als Schriftsteller im Chiemgau und auf der dalmatinischen Insel Brac’. Von 1977-80 arbeitete er als Zeitungskorrespondent in Peking. Über China und Tibet veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen Radgeschichten und „Die Asche meines Vaters“ (Rowohlt Verlag).

Das Buch Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland (ca. 320 Seiten) ist momentan in der ersten Auflage vergriffen – über Neuigkeiten zu Bestellmöglichkeiten werden wir Sie natürlich rechtzeitig informieren.

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Die Radtour zu 17 schottischen Destillerien. Karte von Alba Collection

-hier geht es zur Folge 36-

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 37)

Natürlich war ich zu BenRiach nicht nur gekommen, weil die Brennerei direkt an der Speyside Route lag, sondern weil sie für beträchtlichen Wirbel in der Fachwelt gesorgt hatte. So fragte ich wenig später die Löwenmähne: „Stimmt es, dass BenRiach für 300 Millionen Pfund den Besitzer gewechselt hat?“

„Genauer gesagt, 285 Millionen Pfund waren den Amerikanern diese denkmalgeschützten Gemäuer wert“, antwortete Calm frank und frei und zeigte dabei auf die Garagenwand, an der uralte Schaufeln und allerlei Werkzeuge lehnten.

Plötzlich sah ich wie sich in Phillip ein Gedanke regte. Er hob den Arm und deutete auf das Fass vor ihm auf den Gabeln des Hubstaplers. „Calm, du vergisst unsere Schätze, die auch denkmalgeschützt sein könnten.“

„Ja“, Calm nickte zustimmend und ergänzte, „unsere Lager sind randvoll, das sind Schätze, auf die es die Bourbonmacher abgesehen hatten. Deshalb bezahlten sie auch dieses nette Sümmchen für BenRiach und zwei kleinere Destillen.“

„Darf ich mal einen Blick auf eure Schätze werfen?“

„Klar, aufgesessen! Ich hoffe Sie sind nüchtern!“, sagte Phillip mit einem Augenzwinkern.

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und stieg auf den erhöhten Beifahrersitz. Leise schnurrend drehte sich das elektrische Gefährt wie ein Pirouettentänzer um die eigene Achse, dann schnurrte es aus dem Garagenraum ins Freie, wo der Gliederwurm noch immer wie tot in der Sonne lag. Vorsichtig schaukelnd näherte sich unser Gefährt mit dem Hogshead der Rampe zum Lagerhaus Nummer 13. Am grauen Eisentor stoppte Phillip und zog die Handbremse fest. Geübt ließ er sich vom zerschlissenen Sitzpolster gleiten und fingerte den Schlüsselbund aus der Hosentasche. „Immer gut abschließen, hat uns die neue Chefin eingebläut.“

„Ihr habt eine Frau als Destillery Master?“

„Ja, seit Billy Walker weg ist, hat sich viel getan. Vor allem sind wir keine schottische Destillerie mehr, sondern gehören jetzt zu einem amerikanischen Unternehmen…“

„Ach, deshalb die amerikanische Flagge über der Einfahrt…“

„Genau, wir wurden an Brown Foreman verkauft. Seit neuestem gehören wir zur Familie von Jack Daniels“, sagte er mit einem Seufzer, „aber was willst du machen, wer will schon seinen Arbeitsplatz verlieren? Calm und ich sorgen hier noch so gut wir können für den Fortbestand der Walker-Ära. Kollege Lindsay ist mit unserem alten Chef mitgegangen, er wurde quasi abgeworben. Sie müssen wissen, Billy Walker hat mit dem vielen Geld eine neue Brennerei gekauft. Mal sehen, wie es hier weitergeht, ob unser neuer Lady-Chef klarkommt. Immerhin bringt sie viel Erfahrung mit, sie war früher Master Blender bei Bowmore.“

„Kann ich sie eventuell sprechen? Das gibt’s ja selten, eine Frau als Master Blender.“

„Ja, sie ist wohl die einzige Frau in dieser Position in Schottland soweit ich das beurteilen kann. Aber Rachel Barrie, so heißt die Dame übrigens, zu treffen wird sicher schwierig, sie kommt selten hierher, die meiste Zeit arbeitet sie in Edinburgh in der Zentrale. So, jetzt wollen wir aber mal voran machen.“ Phillip steckte den Schlüssel in das klobige Vorhängeschloss und schob das Rolltor auf.

Benriach

Kaum, dass sich die Eisentür einen Spalt geöffnet hatte, verschlug es mir den Atem. Ein Schwall süßer Luft sprang mir ins Gesicht, umhüllte mich wie schweres Parfüm und fuhr mir prickelnd in die Nase. Was für ein Empfang! Ja, als wir in das Dunkel der Halle hineinfuhren, kam es mir vor, als würden wir in die Tiefe eines alchimistischen Labors vordringen. Der Hubstapler rollte die Fassstraße entlang und schon entfaltete sich über uns ein Baldachin aus mostig-süßen Aromen, die sich mir trotz ihrer Flüchtigkeit auf die Bronchien legten. Wohlgemerkt, auf die Atemwege eines Fernradfahrers, der sich den ganzen Tag an der frischen Luft bewegt. Selbst die süßesten alkoholischen Ausdünstungen kamen mir inzwischen stickig vor und ich fühlte mich in diesem Augenblick in einen muffigen Keller versetzt. 

Anders als Wasser ist hochprozentiger Alkohol so ätherisch, dass in einem Jahr aus einem 250-Liter-Fass fünf Liter entweichen. Hochgerechnet verdunsten in einer Reifezeit von 20 Jahren aus einem solchen Hogshead ganze 100 Liter Alkohol. Außerdem verliert der Alkohol in dieser langen Zeitspanne 15 % seiner Dichte – also ein ziemlicher Verlust, der sich zurecht im hohen Preis eines alten Whiskys niederschlägt.

Nun redet die ganze Welt von angel’s share und selbst eine britische Kinokomödie hat die Engelsgabe mit Witz sozialkritisch thematisiert. Im Gegensatz zur Engelsgabe ist der Teufelsschnitt kaum bekannt. Hierbei handelt es sich um nichts Bösartiges, hierbei verliert sich auch kein Tröpfchen Alkohol in irgendwelchen höllischen Sphären, nein, beim devil’s cut wird der reifende Whisky von außen geschmacklich geimpft. Durch die Eichenporen dringen Sauerstoff und Luftteilchen ins Fassinnere ein und sorgen dafür, dass sich die äußeren Umstände im Inneren niederschlagen – so schmeckt ein direkt am Ufer der Nordsee gelagerter Pulteney[1] leicht salzig nach Meeresluft und in der Nase offenbart sich eine maritime Note.

Soweit das Auge reichte, lagerten am Boden der feuchtkalten BenRiach-Halle Fässer neben Fässern, gewiss dreitausend an der Zahl. Im hinteren Bereich waren sie sogar übereinander gestapelt. Die staubgrauen Fassleiber mit ihren rostbraunen Bandagen lagen nicht wie Holzgefäße nebeneinander, sondern eher wie Gefäße aus Stein, die allesamt über Jahre und Jahrzehnte mit einer gleichmachenden Patina überzogen worden waren. Wie sie so steingrau und in der Masse dalagen, sahen die vorbelegten Fässer unappetitlich aus, rostig ihre Eisenreifen, abgewetzt und fleckig die graubraunen Dauben. Je länger ich auf sie schaute, desto unheimlicher kam mir das so tot daliegende Fasslager vor.

Benriach Warehouse

Und plötzlich war sie da, die Erinnerung an den Thunfischmarkt von Tokio. Vor 35 Jahren streifte ich mit gemischten Gefühlen durch eine eiskalte Auktionshalle, wo zu Füßen bietender Japaner die tiefgefrorenen Rümpfe der Thunfische, denen Köpfe und Schwanzflossen fehlten, zu Hunderten und Aberhunderten auf dem Boden lagen. Staunend lief ich durch die Reihen der geköpften Großfische und schaute mir mit einem gewissen Schaudern das laute Spektakel an. Jetzt schauderte mir wieder, als mich in der Lagerhalle von BenRiach die Vergangenheit einholte, und völlig überraschend ein vergessen geglaubtes Erlebnis aus der Tiefe des Bewusstseins hochkam. Durch diese Erweckung begriff ich, dass zwar Erlebtes abtauchen kann, aber niemals stirbt, genauso wenig wie die Vergangenheit niemals sterben kann. Alles, was wir erleben, begegnet uns wieder, sobald wir in den Spiegel des Lebens schauen.

Auf dem Gabelstapler fuhren Phillip und ich die betonierte Fassstraße entlang und stoppten kurz vor dem Ende der fensterlosen Halle, ganz dicht an der mit einem samtigen Belag rußschwarz überzogenen Wand. Vom Boden bis zur Decke war die Wand von Kulturen des Whiskypilzes Baudoinia überwuchert.

Im Jahr 1872 hatte der französische Apotheker Antonin Baudoin den rußigen Film an den Wänden der Häuser von Cognac entdeckt und examiniert. Unter dem vergrößernden Auge eines Mikroskops fand er heraus, dass sich der später nach ihm benannte Pilz von den alkoholischen Dämpfen ernährte. Auch wenn man bei Baudoinia vom Whiskypilz spricht, muss man wissen, dass er sich allzu gerne auch in den Räumen von Bäckereien und Weinkeltereien als lebende Kultur ansiedelt.

Vorsichtig wurde unser frisch befülltes Fass abgeladen und auf zwei Holzbalken am Kiesboden platziert. Anschließend rollte es Phillip mit meiner Hilfe neben ein zweites Fass, wobei er darauf achtete, dass das Fass mit dem Spundloch obenauf zu liegen kam. „Die nächsten zehn Jahre wird es nicht mehr bewegt, allerdings ziehen wir jedes Jahr eine Probe, um seine Reifung zu kontrollieren.“

„Gibt es auch Fässer, die lecken?“

„Oh ja, deshalb müssen wir immer nach naßen Flecken im Holz Ausschau halten.“

„Ehrlich gesagt, so richtig appetitlich sehen die Fässer ja nicht aus“, warf ich ein.

„Das ist nur der äußere Schein. Vor der Befüllung wird jedes Fass gereinigt, repariert und über einem Gasfeuer kurz getoastet, so dass alle Bakterien aus früheren Belegungen abgetötet sind und sich im Inneren eine feine Aktivkohleschicht an den Wänden bildet.“

„Verzeih’ Phillip, aber auf mich wirkt das ganze Lager ein bißchen wie ein aufgelassener Friedhof.“

„Wirklich?! Das ist ja nicht gerade schmeichelhaft für unsere Schätze. Nun ja, die eingestaubten Fassrücken wirken schon irgendwie eintönig wie sie so daliegen. Aber schau dir mal die Köpfe an, die bieten doch Abwechslung für das Auge, da gibt es weiße, grüne und blaue mit Zahlen und Buchstabenkürzeln und manchmal auch Signaturen, das ist doch was anderes als die Inschriften auf Grabsteinen.“

Da mochte Phillip recht haben! Die Beschriftung der Fassdeckel ist eine Philosophie für sich. Vom Gesetzgeber wird vorgeschrieben, dass jedes frisch befüllte Fass eine eigene Nummer erhält, die zu einer Abfüllserie gehört. Ebenfalls vorgeschrieben ist der dokumentierte Nachweis von Brennerei, Ursprung und Fülldatum. Spezielle Abfüllungen werden gerne vom Master Blender signiert, um ihre Orginalität zu dokumentieren und ihren Wert zu erhöhen. Zusätzlich, um das Rätsel perfekt zu machen, steht auf dem Fasskopf auch noch der Name des Erstbefüllers und der Name des Fasseigentümers, denn oft kommt es vor, dass unabhängige Abfüller ihre namentlich gekennzeichneten Fässer, obwohl ihr Eigentum, in einer Vertragsbrennerei für die Reifezeit einlagern.

Auch am urigsten Fasslager ist die Digitalisierung nicht spurlos vorbeigegangen, und aus diesem Grund werden die Fässer mit einem nüchternen Barcode-Etikett zur Laserkennung ausgezeichnet, das nicht mehr aufgepinselt, sondern nur noch aufgeklebt wird. Allerdings wird damit die Vita einer Abfüllung auch nicht transparenter und für den Laien verständlicher. So kommt es seit neuestem wieder vor, dass Kleinbrennereien aus Werbegründen zur altbewährten Methode zurückkehren. Um dem Gesetz zu genügen, kleben sie den Barcode unscheinbar klein neben die traditionelle Schablonenschrift.

Als ich die graubraunen Fassrücken genauer betrachtete, fiel mir auf, dass sie unterschiedlich gewölbt waren. Klar, wie bei jedem Bierbauch hängt die Ausprägung der Rundung von seiner Größe ab. Beim Whiskyfass gibt allerdings die Auswölbung nicht nur Aufschluss über das Volumen, sondern auch über die geschmackliche Ausprägung des Inhalts. So kennt das Holzmanagement folgende Faustregel: kleines Fass starke Holznote, großes Fass schwache Holznote.

Entsprechend seines Fassungsvermögens hat ein Whiskyfass eine eingeführte und traditionell feststehende Namensgebung: Ein Quarter Cask fasst 125 Liter, ein Barrel 180 Liter, ein Ex-Sherryfass Butt 500 Liter und ein Ex-Portweinfass 650 Liter. Das Hogshead von Amerikanischem Standard (A.S.B) ist mit 250 Litern die gängigste Form aller Fassgrößen. Ein frisches Hogshead darf nur einmal mit Bourbon befüllt und dann in den USA nicht wieder verwendet werden, so will es das amerikanische Gesetz. Ein Bourbonfass ist immer aus Weißeiche. Diese weiche, wenig Gerbsäure enthaltende Eiche, deren Holz große Poren aufweist und deshalb den Whisky gut atmen lässt, und für Vanille und Karamell Aromen sorgt, wächst vor allem auf dem Ozark-Plateau im US-Bundesstaat Missouri. 

Wie gesagt, Bourbonfässer dürfen nur einmal benutzt werden, deshalb verschifft man sie nach der Nutzung nach Schottland oder Irland, wo sie als refilled casks eine erneute Verwendung finden. Früher wurden die Eisenbänder abgenommen und das Daubenbündel aus Platzgründen für den Seetransport geöffnet, um dann in örtlichen Küfereien wieder zusammengesetzt zu werden. Doch in Zeiten des Containertransports erspart man sich immer häufiger diesen Aufwand.

Gebrauchte oder neue Weißeichefässer dienen als Fundament der ersten Reifung eines Malts, die mindestens drei Jahre dauert. Erst danach kommt die Stieleiche aus Nordspanien, Frankreich, Deutschland und dem Baltikum ins Spiel. Europas quercus robur ist feinporiger und tanninlastiger und braucht 100 bis 150 Jahre um auszuwachsen, während Nordamerikas quercus alba nur die halbe Zeit braucht, um Baumhöhe zu erreichen.

„Phillip, kannst du mir sagen, wieviel ein gebrauchtes Bourbonfass kostet?“

„Ohne die Transportkosten kommt ein Ex-Bourbonfass auf 70 Pfund. Ein ausgedientes, aber noch nicht müdes Sherryfass, das noch fünf bis zehn Liter Sherry in den Poren versteckt hält, kostet weitaus mehr, so um die 300 Pfund. Klar, es ist ja auch größer, aber man muss nochmals dieselbe Summe für den Transport aus Spanien hierher einkalkulieren“, antwortete er fachkundig.

Vor meinen Augen verschwammen allmählich die dicht gedrängten Fässer zu einem Fässermeer, in dem ich zu versinken drohte. Zu lange hatte ich den Blick von diesem zu jenem und weiter über die vielen, vielen Rücken schweifen lassen. Bevor mir vom Sehen schwindelig werden konnte, brauchte ich eine Pause. Wie ein Kunde, der hungrig vor einer appetitlich angerichteten Feinkost-Theke steht, verlangte es mich nun nach einem flüssigen Happen.

Phillip schien meine Gedanken zu erraten und sagte zu mir gewandt: „Ich würde dir ja gerne eine Probe ziehen, aber dazu ist inzwischen nur noch unsere neue Chefin berechtigt.“

„Nun ja, dann schau ich mal rüber ins Büro, dort ist jetzt sicher jemand, der meinen Durst löschen kann. Vielen Dank für die Mitfahrgelegenheit Phillip, vor allem aber danke für die vielen Informationen und deine Offenheit.“ Bevor ich mich über eine Trittstufe vom Sozius des Gabelstaplers schwang, schüttelte ich noch seine schwielige Hand und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.


[1] poolt-ni

(wird fortgesetzt)

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