Freitag, 26. April 2024, 02:01:28

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 36)

Über 1500 Kilometer zu siebzehn schottischen Brennereien - von Elgin zu Benriach

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Wir freuen uns, Ihnen jeden Sonntag ein Stück einer wunderbaren Geschichte über Schottland, Whisky und das Reisen vorstellen zu dürfen: Exklusiv auf Whiskyexerts präsentieren wir Ihnen Whisky Cycle, das neueste Buch von Uli Franz, als Fortsetzungsgeschichte.

Uli Franz lebt als Schriftsteller im Chiemgau und auf der dalmatinischen Insel Brac’. Von 1977-80 arbeitete er als Zeitungskorrespondent in Peking. Über China und Tibet veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen Radgeschichten und „Die Asche meines Vaters“ (Rowohlt Verlag).

Das Buch Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland (ca. 320 Seiten) ist momentan in der ersten Auflage vergriffen – über Neuigkeiten zu Bestellmöglichkeiten werden wir Sie natürlich rechtzeitig informieren.

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Die Radtour zu 17 schottischen Destillerien. Karte von Alba Collection

-hier geht es zur Folge 35-

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 36)

Elgin wirkte wie eine alte Dame, die gebeugt und altersschwach dem Gestern nachweinte und leider mit dem Jetzt nichts mehr anfangen konnte. Hätte ich kein Ziel vor Augen gehabt, ich wäre ratlos und betreten durch die Straßen gegondelt, nur auf der Suche nach einer Unterkunft für eine Nacht und einem Restaurant für den Abend. So kopflos war ich aber nicht unterwegs, mich trieb ein Plan durch die Gassen der Kleinstadt. Auf der Route nach Speyside wollte ich in Elgin ein bestimmtes Geschäft besuchen, das einiges mit dem Feinkostladen meines Vaters gemein hatte. So streunte ich nicht lange durch die menschenleeren Straßen um den Marktplatz, sondern suchte gleich die South Street auf.

Unter der Hausnummer 58-60 stand ein prachtvolles Eckgebäude, schon von weitem an tannengrünen Markisen mit den Initialen G & M zu erkennen – das Geschäft der Traditionsfirma Gordon & MacPhail. Im Erdgeschoss des viktorianischen Baus erwartete ein Feinkostladen betuchte Kunden. Im Verkostungsraum standen auf ausgedienten Fassdauben Whiskygläser für ein Tasting bereit. Um Himmels Willen, in diesem Laden Inventur machen! Es muss wohl Tage dauern, diese weit über tausend Flaschen Blends, Single Malts und Single Casks aufzulisten. Natürlich habe ich sie nicht gezählt, aber ein Verkäufer nannte mir diese gewaltige Zahl und ich glaubte ihm auf Anhieb. Ja, das Sortiment im G & M Schlemmerland brauchte den Vergleich mit Harrods in London und Lafeyette Gourmet in Paris nicht zu scheuen, was sein exquisites Angebot auf den Regalen anging. Außer Whisky fand der Kunde auf hölzernen Anrichten und in Vitrinen bunte Teedosen, Kaffee, lokale Käsesorten, französische und italienische Weine, handgeschöpfte Schokolade und Short Bread, jenes süß-sandige Mürbeteiggebäck in vielen Variationen, aber stets in Tartan Verpackung. In Vielzweckgläsern war für 6 Pfund die beliebte bittersüße Orangenmarmelade schottischer Rezeptur zu erwerben. Wie ich durch das Geschäft schlenderte und mir schon allein vom Umschauen das Wasser im Mund zusammenlief, musste ich immer wieder an den Feinkostladen meines Vaters denken.

Gordon & MacPhail in Elgin

Hätte er solch ein delikates Sortiment verkauft, ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre. Vermutlich wäre mein Leibesumfang über die Jahre von Größe M auf Größe XXL angewachsen, und meine Trinkfestigkeit wäre inzwischen nicht mehr zu überbieten. Oder eine Leberzirrhose hätte mich längst dahingerafft. Zu meinem Glück ist es ganz anders gekommen. Ich lebe noch und erlaube mir einen Blick in die Vergangenheit.

Die Firma Gordon & MacPhail entstand aus einem örtlichen Einzelhandelsgeschäft, das 1895 begann, Sherry und Portwein aus Spanien und Portugal fassweise zu importieren, um die weitgereisten Tropfen dann vor Ort in Flaschen abzufüllen. Eines Tages, so erzählte man mir, fragte James Gordon seinen Kompagnon John MacPhail: „Was sollen wir mit den leergetrunkenen Fässern tun?“ Die beiden Kaufleute berieten sich und kamen auf eine verblüffend einfache Geschäftsidee: das frische Destillat, den new make, aller möglichen schottischen Brennereien aufzukaufen und die gehorteten leeren Fässer mit eben diesen, recht unterschiedlichen Malts zu befüllen. Sie dann entweder gleich im Geschäft zu verkaufen oder über Jahre zu lagern – so lautete die geniale Geschäftsidee. Und aus einer Idee entstand das Geschäftsmodell des unabhängigen Abfüllers Gordon & MacPhail. Mit den Jahren wuchs der Fässervorrat eingekaufter Whiskys derart an, dass die Firma heute das weltweit größte und ausgefallenste Lager an Single Malts besitzt und seit 1993 auch die kleine, nahegelegene Brennerei Benromach[1]

Im Whisky Room staunte ich nicht schlecht, als ich Flaschen mit ehrwürdigen Tropfen entdeckte, gar ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich einen 43 % vol. Single Malt aus der Brennerei Strathisla[2] von 1953 für umgerechnet 1998 Euro die Flasche, weggeschlossen hinter Glas, erblickte. Nach Betrachtung der teuren Schätze fragte ich mich: hast du ein Geschäft oder ein Museum betreten? Allen Ernstes stellte ich mir diese Frage wie ich so in Radkluft neben Kunden im Tweed vor den raren Schätzen stand und die Etiketten wie Gemälde alter Meister studierte. Oh, wäre ich doch nur mit einem Lastenfahrrad und einer prall gefüllten Geldtasche nach Elgin gekommen! Aber einer wie ich, der so weit mit so wenig Gepäck geradelt ist, zeichnet sich nicht gerade durch kopfloses Einkaufen aus, zumal ich den Laden von Gordon & MacPhail wegen der frühen Ladenschlusszeiten schon bald wieder verlassen musste. 

Schimpfende Möwen in Scharen und bellende Hunde hinter Gartenzäunen begleiteten mich am nächsten Morgen beim Verlassen von Elgin. Noch erfüllt vom Besuch bei Elgins erster Adresse wandte ich mich nach Süden, nach Rothes, meiner ersten Station in Speyside.

Noch bevor ich die Herzkammer von Schottlands populärster Whiskyregion erreichte, stieß ich hinter einer Kurve auf eine Überraschung, die wie beiläufig am Straßenrand stand. Obwohl auf der A 941 die Neuzeit mit aller Gewalt herrschte, ruhte keine dreißig Meter neben der Hektik wie in einem Kokon der Zeitlosigkeit die Brennerei BenRiach[3].

Das burgartige Gebäude mit seinen schiefergrauen Spitzdächern war mit Patina überzogen, und jede der eingeschwärzten Fugen im Mauerwerk erinnerte an die Anfänge, als ein gewisser John Duff hier im Jahr 1897 mit dem Whiskymachen begann.

Der Kamin von BenRiach war nicht einfach ein rundgemauerter Schornstein, sondern ein eckiger Turm, den in luftiger Höhe ein spitzer Hut schmückte – das Pagodendach, Wahrzeichen aller schottischen Destillerien. Dieser Kupferhut, der mit seinen geschwungenen Graten einem fernöstlichen Tempeldach glich, saß auf vier Schlitzen und ließ den Rauch des Darrfeuers je nach Windrichtung entweichen. Zusätzlich verhinderte eine ausladende, vierseitige Dachtraufe, dass es bei Orkanböen zu Verwirbelungen im Inneren des Kamins kam.

Der geschwungene Dachhut namens Pagodendach wurde 1902 vom schottischen Architekten Charles Chree Doig entworfen und schmückt bis heute den Rauchabzug aller schottischen Brennereien. Als Landvermesser, der er ursprünglich war, hätte Doig das Pagodendach nicht entwerfen können, dafür musste er noch zusätzlich Architektur studieren. Zugute kam Doig bei der fernöstlich anmutenden Erfindung auch sein Drang, ständig Neuerungen baulicher, aber auch technischer Art zu entwickeln.

Ursprünglich saß anstelle des Pagodendachs auf dem Schornstein von Mälzereien eine blecherne Kegelhaube, die sich wie ein Segel in den Wind drehte. Diese „Bischofsmütze“, wie er die Kaminkappe spöttisch nannte, befand Doig für hässlich und mechanisch anfällig. So setzte er sich ans Zeichenbrett und entwarf das allseitig offene Pagodendach. Obwohl er nie den fernen Osten bereiste, war er ein später Bewunderer der Chinoiserie und entdeckte in ihrer Genremalerei die chinesische Pagode, an deren Dach mit den geschwungenen Graten er besonderen Gefallen fand. Als inzwischen diplomierter Architekt erlaubte er sich kühn, den antiken chinesischen Stil zu zitieren – und schon war das berühmte Pagodendach geboren.

Nun wird über der Begeisterung für das anmutige, eben fernöstlich anmutende Pagodendach gerne das Credo seines Schöpfers vergessen: nicht Fassadenprunk, sondern Funktionalität entscheidet letztendlich über die Form jeder Ästhetik. Ja, beim luftig anmutenden Dachhut ging es Doig nicht um eine exotische Optik, sondern um das Funktionale, wie überhaupt in seinem gesamten Lebenswerk. Bei ihm musste sich die Form immer der Funktion unterordnen, das beweisen seine schnörkellosen, blockischen Gebäude. Immerhin entwarf er nicht nur Elemente eines Ensembles, sondern eine Destillerie in ihrer Gesamtheit, das heißt: die Mälzhalle, das Fasslager, das Brennhaus, den Darrboden – wirklich, das ganze Ensemble von insgesamt 56 schottischen Brennereien entwarf dieser unermüdliche Geist. Bei all den vielen Entwürfen plante er immer auch als Techniker und konzipierte die Arbeitsprozesse in den Brennereien entsprechend den Gesetzen der Schwerkraft von oben nach unten. Selbst Feuerlöschsysteme gegen die stets drohende Explosions- und Brandgefahr vergaß er nicht. Niemand wundert es, dass Charles Chree Doig als der schottische Industriearchitekt in die Annalen einging. 

An der starkbefahrenen Autostraße in Richtung Speyside standen vor einem wolkenlosen Himmel die Gebäude von BenRiach gleich einer mittelalterlichen Theaterkulisse, einer Kulisse, vor der eine verwunderliche Darbietung aufgeführt wurde: Zwischen BenRiach-Werbefahnen tanzte als quirliger Hauptakteur groß und breit die Fahne stars & stripes. Beim Betrachten des Flaggentanzes fragte ich mich: was hat die Flagge der USA hier zu suchen? Machten sie hier mittlerweile Bourbon? Bei der Betrachtung des windigen Schauspiels konnte ich nur rätseln. So nahm ich mir vor, dem Fahnenspektakel auf den Grund zu gehen.

Als sich eine Lücke im fließenden Verkehr auftat, überquerte ich beide Fahrspuren der Autostraße und radelte die Auffahrt bis zum Bürogebäude hoch, wo auf dem geräumigen Vorplatz nur ein Audi SUV parkte. Damit das deutsche Prestige-Vehikel nicht so alleine dastand, parkte ich mein deutsches Fahrrad daneben.

Versunken im Fässermeer

Obwohl in allen Brennereien die Arbeit um 10.00 ante meridiem beginnt, herrschte bei BenRiach noch tote Hose. Danach sah es zumindest auf dem verwaisten Werksparkplatz mit einem abgestellten Audi und einem Fahrrad daneben aus. Nicht abgeschlossen – die Tür zum Büro. Trotzdem keine Menschenseele im Raum und auf dem Vorplatz nichts als Pflasterstein und englischer Rasen. Suchend schlenderte ich über den Hof, einen weißgetünchten Schornstein vor Augen.

Mein lieber Scholli, was lag denn da? Kaum war ich um die Ecke des Hauptgebäudes gebogen, lag unerwartet vor meinen Füßen etwas, das in den bisher besuchten Brennereien nur aus der Distanz zu betrachten war – Eichenfässer, jede Menge Eichenfässer! Zu meinen Füßen reihten sich dicht an dicht gut 200 Fässer wie ein regloser Gliederwurm auf dem Hofpflaster auf. Als ich gegen den Kopf des Gliederwurms trat, klang es hohl und dumpf wie beim Schlag auf eine Pauke – aha, die Fässer waren nichtssagend leer! Dafür war die Aufschrift auf ihren Köpfen vielversprechend. In schwarzen Lettern stand da „Kentucky BF, 2016“ auf weißem Grund. Sie stammten demnach aus dem US-Bundesstaat Kentucky, wo auch der Landkreis Bourbon liegt, von dem der Bourbon seinen Namen hat.

Es handelte sich hier offenkundig um frisch geküferte Fässer aus Weißeiche, die noch nie befüllt worden waren, das sah man an den hellen, sauberen Dauben und den glänzenden, rostfreien Fassbändern. Übrigens ist amerikanische Weißeiche grobporiger als europäische und vom Holz her heller, auch gehört es zu ihrer Eigenart, dass sie reichlich Vanille und Karamell Aromen an den Frischalkohol abgibt. In der Regel verwendet man Weißeiche, neu oder gebraucht, als Grundstock für die Fassreifung eines Single Malts oder Blends. Die gängige Fassreifung in frischer oder bereits befüllter Weißeiche ist sozusagen die Pflicht der ersten Jahre, auf die der Master Blender seine erhabene Aroma Kür, sein individuelles Finish, aufsetzt.

Benriach _ angelieferte Fässer. Bild: Uli Franz

Als ich die Fassschlange entlanglief, vernahm ich plötzlich Stimmen aus einem aufgeklappten Garagentor – aha, also war doch schon jemand bei der Arbeit. Im Schummerlicht eines fensterlosen Raums hantierten zwei Arbeiter in braungrünen Hemden und gleichfarbigen Hosen hinter einem Gabelstapler an einem bauchigen Fass. Der eine war ein älterer Schotte mit rasierter Glatze und Stoppeln am Kinn. Des Jüngeren kerniges Gesicht umrahmte hingegen eine Löwenmähne. Bei ihm spannte das braungrüne Hemd über beachtlichen Muskelpaketen, während es beim Blankschädel nur um den Bauch stramm saß. Ein rosa Schimmer lag auf dessen nacktem Scheitel, wie er erhöht auf dem roten Gabelstapler saß, während der mit der lockigen Mähne eine Tankpistole bediente, die am Ende eines giftgrünen 110er Schlauchs hing. Kurz sah es aus, als betankte er das Gefährt, auf dem sein Kollege saß, aber dann sah ich beim Nähertreten das bauchige Fass, in dessen Spundloch kristallklarer new make floss. Die beiden Arbeiter achteten sehr darauf, dass ja kein Tropfen daneben lief und den Spund versaute, obwohl das hochprozentige Destillat alles andere als ein kostbarer Single Malt war. Plötzlich machte es „klack“ und der Sensor an der Pistole schnappte zu, der Zufluss war verriegelt, das Hogshead vollgetankt. Erst jetzt trat ich nahe heran und begrüsste die beiden. Als sei ich ein Kumpel, vielleicht wegen der ähnlichen Frisur, rief mir der Glatzkopf auf dem Gabelstapler zu: „Frisch aus Kentucky angeliefert, wo unser neuer Boss seinen Geschäftssitz hat.“

Gemächlich drehte sich die Löwenmähne zu mir um und sagte: „Hey, guten Morgen! Ich bin Calm Purcell und das ist mein Kollege, Craftsman Phillip Thomson. Und wer sind Sie?“

„I’m Uli, cyclist from Germany.“

„You cycled all the way to here…“

„No, no, only from Edinburgh.“

Ohne zu unterbrechen, nur nickend, machte sich Calm an das Verschließen des Spunds. Dafür legte er ein viereckiges Läppchen Sisalgewebe über das Loch an der Oberseite des Fasses. Konzentriert griff er zu einem Holzhammer, mit dem er einen Holzstopfen mit drei Schlägen in das Spundloch trieb. Nun war das Fass auf den Hubgabeln des Staplers transportbereit. Gewiss würde es gleich zur Lagerung abgefahren.

Es war mein Glück, dass ich alleine so früh am Morgen gekommen war und das Duo auf dem richtigen Fuß erwischt hatte. Für uns drei war es ein guter Tag – kein Stirnrunzeln über das plötzliche Auftauchen und keine versteckte Kritik, dass der Fremdling so ohne Genehmigung auf das Betriebsgelände vorgedrungen war. Ja, mir begegnete an diesem sonnigen Morgen mal wieder die schottische Zuvorkommenheit und ließ mich hier gerne auf dem Rad und zwischendurch in Brennereien unterwegs sein.


[1] ben-ro-mack

[2]  strath-eye-la

[3] ben-ree-ack

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