Montag, 04. November 2024, 19:02:33

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 45)

Über 1500 Kilometer zu siebzehn schottischen Brennereien - weiter nach Huntly

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Wir freuen uns, Ihnen jeden Sonntag ein Stück einer wunderbaren Geschichte über Schottland, Whisky und das Reisen vorstellen zu dürfen: Exklusiv auf Whiskyexerts präsentieren wir Ihnen Whisky Cycle, das neueste Buch von Uli Franz, als Fortsetzungsgeschichte.

Uli Franz lebt als Schriftsteller im Chiemgau und auf der dalmatinischen Insel Brac’. Von 1977-80 arbeitete er als Zeitungskorrespondent in Peking. Über China und Tibet veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen Radgeschichten und „Die Asche meines Vaters“ (Rowohlt Verlag).

Das Buch Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland (ca. 320 Seiten) ist momentan in der ersten Auflage vergriffen – über Neuigkeiten zu Bestellmöglichkeiten werden wir Sie natürlich rechtzeitig informieren.

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Die Radtour zu 17 schottischen Destillerien. Karte von Alba Collection

-hier geht es zur Folge 44-

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 45)

Unsere Tour war inzwischen im Fasslager angelangt. Kaum hatte unser Guide die Holztür zu der weißgetünchten Lagerhalle geschlossen, drängten wir uns dicht an dicht ins abgedunkelte Innere. Unser Guide, die junge Schottin mit den brünetten Zöpfen und einem lebendigen Gesicht voller Sommersprossen, war uns vorausgegangen, wobei sie unsere Gruppe andauernd mit sachten Entschiedenheit zum Weitergehen animierte. Jetzt hob sie den rechten Arm und ihre Hand, an deren Finger roter Nagellack glänzte, zeigte auf ein großes Fass hinter einem Eisengitter. Resolut winkte sie die Letzten unserer Gruppe in das duftende Engelsheim, dann erklärte sie voller Respekt in der Stimme: „Hier haben wir noch etwas ganz Besonderes für Sie!“ Auf dem Kiesboden trat sie ganz nahe an das verschlossene Gitter heran und zeigte auf ein Fass, das Prinz Charles am 4. Juni 2010 signiert hatte. „Seine Majestät verbrachte den Sommerurlaub auf Schloss Balmoral, das ja ganz in der Nähe liegt. Eines Tages kam er überraschend zu einer Besichtigung bei uns vorbei!“

Misstrauisch wie ich inzwischen war, hätte ich gerne mit dem Fingerknöchel auf den Rücken des Prinzenfasses geklopft und gehört, ob überhaupt noch etwas Flüssiges vom 20 Jahre alten Edelstoff im Verborgenen übrig war. Aber das Hogshead war ja weggesperrt und auch die anderen Schätze des Fasslagers konnten nur aus der Distanz erschnuppert werden. Leider waren auch sie – wie der Bereich des einsamen Kontroll-Ingenieurs – durch eine rotweiße Plastikkette vom Besuchsbereich getrennt. So musste ich mich mit Vermutungen zufrieden geben. Aber eins war spätestens jetzt glasklar: die 10-Pfund-Tour bei The Glenlivet war wirklich eine strikte und überaus verschlankte Tour, die im Saal unter dem Konterfei des Gründers endete. Ein gewisser George Smith gab anno 1824 das Schwarzbrennen im nahen Drumin auf und erwarb eine staatliche Brennlizenz, die ihm die Gründung der Brennerei erlaubte. Für diesen Wechsel in die Legalität wurde George Smith von seinen ehemaligen Schwarzbrand-Kollegen im Livet Tal bis zum Äußersten bedroht – sie drohten ihm mit Erschießen. Nun musste George Smith einen eisernen Charakter gehabt haben, denn seine Antwort war radikal: der bärtige Gründer bewaffnete sich mit zwei Pistolen, die er stets im Halfter am Gürtel trug und nur zum Schlafen neben sich auf dem Nachtkästchen ablegte. Zum Glück ist von all der Härte jener frühen Pioniertage am Ende des Rundgangs nichts mehr zu spüren. Ein in Öl gemalter George Smith blickt gütig wie ein Lamm auf die 120.000 Besucher herab, die pro Jahr im 30-Minuten-Takt durch die Vorzeigedestillerie von Pernod Ricard geschleust werden.

Für unsere und all die vielen Gruppen standen im großen Saal auf einem Buffettisch zur freien Verkostung zwei kühlfiltrierte The Glenlivets bereit. Ein Fünfzehnjähriger, der im Abgang derart brannte, dass ich ihm nur zwei Stützräder gab und ein Achtzehnjähriger, der dank seines finalen Sanftmuts immerhin drei Stützräder verdiente.

* * *

Den Abstecher ins Tal von Livet hatte ich unternommen, weil mich der Duft eines ganz bestimmten Single Malts angelockt hatte, zugegeben eines exklusiven Malts, der bei einer regulären Tourverkostung nicht vorgesehen ist. So entfernte ich mich auf leisen Sohlen nach dem inkludierten Tasting aus dem Ahnensaal und schlenderte hinüber in den Verkaufsraum, um dort den eigentlichen Anreiz meines Abstechers ausfindig zu machen.

Auf dem Regal hinter dem Tresen standen zwei Flaschen von The Glenlivet, Archive, 21 years, 43 % vol., von dem das Dram acht Pfund kosten sollte. Doch als ich dem jungen Bartender den Grund meines Besuchs im Plauderton mitteilte und er mir ebenfalls im Plauderton gestand, dass er Maschinenbau-Student von der Uni Glasgow sei und hier nur zur Aushilfe arbeite, schenkte er mir das Nosing Glas halb voll, ohne auch nur ein Sterbenswörtchen übers Bezahlen zu verlieren.

Goldbraun stand der Single Malt aus dem berühmten Fassarchiv von The Glenlivet im Glas. Als ich ihn kreiseln ließ, legte er sich wie Gelee ans Kristall. Den Gesetzen der Schwerkraft folgte er nur zögerlich und hinterließ beim Abwärtsfließen dicke Tränen. Meine Nase konnte es kaum erwarten, die sofort präsenten Fruchtaromen aus nächster Nähe kennenzulernen. Tief sog ich die Blume mit dem rechten, dann mit dem linken Nasenloch ein und schon erlebte ich ein Prickeln, ein heiteres Kitzeln. Voller Erwartungen atmete ich den Duft von Zitrus und Rosinen ein. Der erste Schluck war nicht minder lecker. Im Gleichklang ergossen sich Gewürznoten und auch eine Spur Lakritze über die Zunge und in den Backentaschen schmeckte ich dunkle Schokolade und Malz. Wie erwartet, war die Holznote nur ein schüchterner Begleiter und schwang sich dezent über das Gaumenzäpfchen bis in den Schlund, wo sie ein warmes Wohlgefühl erzeugte. Das Finale war exotisch süß und changierte mit einer trockenen alkoholischen Wärme, in der sich Spuren von Nüssen versteckten. Dieser Single Malt entspannte und beruhigte meine Nerven und ihm gelang, was weder Baldriantropfen noch Kamillentee gelungen wäre – die Enttäuschung über den streng regulierten und getakteten Rundgang rasch verblassen zu lassen. Guten Gewissens gab ich ihm vier Stützräder, bekanntlich das Prädikat der Superlative meiner Gaumenwahl. Nun war ich zufrieden, der Abstecher hatte sich allemal gelohnt, immerhin hatte ich soeben den perfekten Schluck Nummer 6 aufgespürt.

Vor dem Verlassen des Barraums schaute ich nochmals das Gemälde mit dem Kampf um das Whiskyfass an: Um Himmels Willen, waren das noch Zeiten des Kampfes auf Leben und Tod gewesen! Wie zahm, wie geordnet geht es doch heute in Schottland und in seinen berühmten Brennereien zu. Von wegen wildes, unentdecktes Land, dachte ich mir und öffnete die gläserne Schwingtür ins Freie, wo mich die Sommerfrische in Empfang nahm und ohne langes Zaudern mit all ihrer Sanftheit umarmte.

Doch in der lieblichen Umarmung schwang auch eine Warnung mit. Wie ein erhobener Zeigefinger mahnte mich der Luftsauerstoff: Vorsicht altes Haus, du hast drei Drams intus und gleich fällt die Straße tüchtig ab. Gewiss! lenkte ich beschwichtigend ein und versuchte mein Gewissen zu beruhigen. Die Einsicht besiegte den Überschwang und half mein Mütchen zu kühlen.

Wer so lange auf dem Rad unterwegs ist – inzwischen waren vier Wochen ins Land gegangen – braucht sich nichts mehr zu beweisen. Und aus Erfahrung wusste ich, dem harten Asphalt zu nahe zu kommen, ist nicht so schön und kann schnell böse enden. Bedachtsam und in Intervallen abgebremst, überwand ich das heftige Gefälle ins Tal, wo ich wenig später am Wasser des Livet eintraf. An der keltischen Brücke stoppte ich kurz und blickte nochmals hinauf zu den weißen Bauten. Der Blick vom Talboden hinauf zu jenem gewaltigen Malt Castle war der letzte Blick auf eine zentrale Highland Destillerie. Ohne Halt lenkte ich ab jetzt das Rad zurück durch Dufftown und über die Whisky- Metropole hinaus in die Weiten des Ostens.

Fündig im Osten

Der Osten zeigte sich nicht als Freund, zumindest nicht bei unserer ersten Begegnung. Über Stunden wehte eine steife Brise von vorn, so stark, dass der Whiskyradler den Eindruck gewann, die Küstenregion wolle ihn mit Macht zurück in die Hügel der Highlands schieben. Aber er ließ sich nicht kleinkriegen, denn nahe der Nordsee gab es noch einiges zu entdecken.

Nach Huntly kam ich am späten Nachmittag echauffiert und überaus durstig. Aber immerhin hatte ich wie geplant die Kleinstadt nordwestlich von Aberdeen erreicht und nicht versagt, unterwegs nicht das Handtuch geworfen. Zugegeben, über dem stundenlangen Pedaltritt war die antrainierte Wadenkraft zu einem jämmerlichen Häuflein zusammengeschmolzen.

Huntly, das ich ziemlich spät erreichte, hatte sich in Mausgrau gehüllt. An Camouflage von Arbeitslosigkeit und Armut dachte ich beim Rundblick auf dem Marktplatz. Selbst die Schlossruine mit ihren toten Augen, einst Fenster und Türen, schaute traurig zwischen dem Grün alter Eichen hervor. Huntly, die ländliche Kleinstadt litt unter Anämie. All diejenigen, die einer Arbeit nachgingen, waren frühmorgens in ihre Autos gestiegen und in die umliegenden Industriestandorte gefahren. Erst spät abends kamen sie wieder und brachten das Leben zurück. Die Dagebliebenen waren allesamt ohne Arbeit oder in Rente. In Huntly wie in vielen Kleinstädten lebten die Bewohner von der Substanz, Rücklagen zum Renovieren der Häuser fehlten, der ganze Monatsverdienst, die Stütze und natürlich auch die Rente gingen für den Lebensunterhalt drauf.

Eine aufgelassene Eisenbahntrasse hatte die Regierung in einen Radweg umgewidmet – na immerhin! Aber der nutzte nur den Jungen, die noch auf ein Fahrrad steigen konnten. Den Alten diente die kleine Modernisierung wenig. Ihnen fehlte die Schienenanbindung, sie konnten jetzt nur noch den lokalen Bus in die größere Stadt nehmen. Selbst das Postamt war längst aufgegeben, die Türen waren verrammelt und mit Werbung überklebt. Stattdessen kam jeden zweiten Tag die Post auf vier Rädern, auf deren Chassis sich in einem rotrostigen Kasten der Postschalter befand, für eine Stunde auf den Marktplatz gerollt.

Am Marktplatz fuhren die Einheimischen am Geldautomaten vor, sprangen bei laufendem Motor aus ihren Autos und zogen nach Preisgabe ihrer Geheimnummer ein, zwei, höchstens drei Scheinchen aus dem Schlitz des Bancomaten. Hatte der Schalter das Bargeld ausgespuckt, verschwanden sie gleich wieder mit aufheulendem Motor. Wenig später entdeckte ich die tätowierten Jungs mit ihren Mädels gegenüber meiner Unterkunft in der örtlichen Frittenbude. So günstig wie beim Selfservice fisch & chips, für umgerechnet 10 Euro, bekam man sonst nirgendwo ein warmes Abendessen geboten. Da auch ich meinen Abendhunger auf der anderen Straßenseite mit Schellfisch im frittierten Teigmantel und Kartoffelstäbchen stillte, wusste ich über das Treiben der Jugend von Huntly Bescheid. Mehr sollte ich über Huntly erfahren, als es mich nach dem Verzehr des öltriefenden Fischgerichts nach einer süßen Nachspeise gelüstete.

Ziellos schlenderte ich durch den Ort und landete im Cost Cutter, einer Kette, die Lebensmittel und vieles mehr supergünstig auf abgeschabten Regalen verkauft. Der Laden an der 14 Gordon Street hatte leider nur eine bescheidene Eisauswahl, dafür entdeckte ich hinter der Kasse ein reichhaltiges Whiskysortiment, das dank zahlreicher Sonderangebote viel günstiger als in anderen Spirituosengeschäften war. Als meine Augen die Whiskyschachteln auf dem Regal abscannten, erlebte ich einen Lichtblick – im Bruchteil einer Sekunde war ich hellwach und der Süßhunger vergessen. Hinter dem Verkäufer, auf dem untersten Regal, entdeckte ich eine unverpackte Flasche meines Jugendwhiskys – einen Vat 69 und daneben denselben Scotch als Miniatur, als dunkelgrünes Fläschchen mit der großen weißen Zahl 69 auf dem kleinen Etikett.

Kaum, dass ich den VAT 69 erblickte, bestürmte mich die Erinnerung, der Absturz in der Jugend und der Vorsatz, nie wieder einen Whisky anzurühren. Wie hypnotisiert starrte ich auf die dunkelgrüne Flasche mit der weißen Schrift und überlegte ernsthaft, ob ich sie kaufen sollte? Doch meine beiden Gepäcktaschen waren randvoll und der Preis von umgerechnet 20 Euro war überzogen, denn im Internet war er bereits für 14 Euro zu haben. Aus Vernunftsgründen sah ich vom Erwerb der 0,7-Flasche ab und entschied mich für das Flaschenkind. Die VAT 69 Miniatur wollte ich mir zum gegebenen Zeitpunkt zur Brust nehmen. Aus diesem Grund kaufte ich sie für kleines Geld. Mit meinem Schicksalswhisky en miniature in der Jackentasche und einem Eis am Stiel in der Hand verließ ich den Billigladen und schlenderte lutschend in Richtung Marktplatz, wo zwei blinkende Bankautomaten sogar des Nachts den Rachen aufsperrten.

Aus einer Gasse drang plötzlich Geschrei an mein Ohr. Mein Schlenderschritt hatte mich zu einer stadtbekannten Kneipe gelenkt. Hier flutete durch eine Schwingtür Menschenlärm auf die Gasse und weckte meine Neugier auf das Geschehen hinter der Tür. Erlebte ich gleich eine Schlägerei? Wurde ein Fußballmatch im Fernsehen übertragen? War eine Party im Gang? Geätzte Milchglasscheiben und Gardinen im Straßenfenster verwehrten den Blick ins Innere. Kurzentschlossen zog ich die rotlackierte Kneipentür an goldblinkenden Messinggriffen auf und betrat The Golden Crown Pub.

Im hohen Schankraum schwirrte und summte ein Schwarm gälischer Laute durch die Luft. Der kehlige Singsang lud zum Nähertreten und gemütlichen Trinken ein. Sogleich fühle ich mich angezogen, denn dieser Pub rief die Erinnerung an meinen ersten London Aufenthalt zu Studienzeiten wach. Abend für Abend zog es mich damals in einen Pub wie diesen, eingerichtet im viktorianischen Stil mit einem Billiardtisch mit mintgrünem Filz, einem erloschenen Kamin und uralten Reklameschildern für Temment’s Lager und Glenfiddich an den verrauchten Wänden. Der Altar war auch hier ein Bartresen aus falschem Mahagoni, hinter dem sich eine verspiegelte Regalwand voller Whiskyflaschen mit bunten Etiketten bis zur Decke aufbaute. Der Goldkronen-Pub musste das Wohnzimmer des lokalen Fußballclubs sein, vermutlich auch die örtliche Trinkstube für alleinstehende Männer. Als einzige Frau erspähte ich hinter der Theke eine rothaarige, schrill bebrillte Dame, die in die Jahre gekommen war. Männer, junge mit großflächigen, schwärzlichen Tätowierungen an Armen und im Nacken, und ältere mit mächtigen Bäuchen, belagerten die Barhocker und schauten gen Decke, wo ein älterer TV-Kasten eine Fußballübertragung ausstrahlte. Wieder einmal musste ich über die Tätowierung der Leute staunen, nahezu jeder trug Ornamente und Bilder auf Händen, Armen und am Hals. Inzwischen hatte ich allerdings gelernt, dass das Stechen von Tattoos eine sehr, sehr lange Tradition in Schottland hat. Bereits die Vorfahren der Schotten, die Pikten, tätowierten sich am ganzen Leib, diese Vorliebe belegt der Name Pikten, was „Bemalte“ heißt. Den Namen Pikten gaben sich die Einheimischen nicht selbst, sondern die Römer, die im 3. Jahrhundert die Provinzen Britannia und Caledonia besetzt hielten.

(Fortsetzung folgt)

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