Freitag, 19. April 2024, 23:45:05

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 18)

Über 1500 Kilometer zu siebzehn schottischen Brennereien

Wir freuen uns, Ihnen jeden Sonntag ein Stück einer wunderbaren Geschichte über Schottland, Whisky und das Reisen vorstellen zu dürfen: Exklusiv auf Whiskyexerts präsentieren wir Ihnen Whisky Cycle, das neueste Buch von Uli Franz, als Fortsetzungsgeschichte.

Uli Franz lebt als Schriftsteller im Chiemgau und auf der dalmatinischen Insel Brac’. Von 1977-80 arbeitete er als Zeitungskorrespondent in Peking. Über China und Tibet veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen Radgeschichten und „Die Asche meines Vaters“ (Rowohlt Verlag).

Das Buch Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland (ca. 320 Seiten) ist momentan in der ersten Auflage vergriffen – über Neuigkeiten zu Bestellmöglichkeiten werden wir Sie natürlich rechtzeitig informieren.

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Die Radtour zu 17 schottischen Destillerien. Karte von Alba Collection

hier geht es zur Folge 17

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 18)

Punkt 10 Uhr machte Cadenhead’s auf. Punkt 10 Uhr trat ich durch die Tür und wurde von einer Duftwolke begrüsst, von der ein Barbetrieb nur träumen konnte. Peinlich nur, dass meine Sneakers nasse Tapser auf dem gefegten Dielenboden hinterließen.

Der altertümliche Whiskyladen bestand aus zwei nüchternen Räumen. Im vorderen bauten sich tannengrüne Holzregale entlang der Wände auf, hier befand sich die Heimat Hunderter lokaler Whiskys der Marke Cadenhead’s. Aromen von Vanille und Karamell bestimmten die Raumluft und sofort war der Miesepeter in mir verschwunden, das unwirtliche Draußen vergessen. Hier kannst du einen guten Tropfen in aller Ruhe verkosten, signalisierte der Bartisch mit den grünen, locker verkorkten Flaschen getorfter und ungetorfter Provenienz.

In Edinburgh hatte ich gleich am Tag nach meiner Ankunft Cadenhead’s urigen Kioskladen am unteren Ende der Royale Mile aufgesucht, um auf schottischem Boden meinen ersten Single Malt zu verkosten und ein putzig kleines, tulpenförmiges Glencairn Glas für die Reise zu kaufen. Zehn Tage waren mittlerweile vergangen, Edinburgh lag hinter dem Horizont, gefühlte 500 Meilen entfernt, als ich nun wieder in einem Cadenhead’s Laden stand und mich erneut fragte: schauen die Profis, die hier Whisky verkaufen, auch gerne ins Glas? In Edinburgh hatten sie bereits zur Mittagszeit eine schwere Zunge und hier, das stellte ich mit einer gewissen Heiterkeit fest, bereits um 10.30 Uhr. Schmunzelnd schlenderte ich erst einmal von Regal zu Regal und studierte die Etiketten – stocknüchtern tat ich dies, aber zunehmend irritiert. Ja, Verwirrung machte sich breit, weil alle Etiketten auf den ersten Blick gleich aussahen. Erst als ich die Lesebrille aufsetzte und die Aufschriften unter dem einheitlichen Cadenhead’s Logo studieren konnte, wurde mir klar, warum alle Flaschen so uniform auf den Regalböden standen.

Cadenhead’s, im Jahr 1842 in Aberdeen gegründet, gehört seit 1969 zu Springbank und vermarktet nicht nur Springbank Marken, sondern auch die Whiskys anderer Destillerien, die namenlos bleiben. Außerdem ist Cadenhead’s als selbstständiger Abfüller authorisiert, eigene Blends zu vermählen und diese Blends sind sehr zu empfehlen; alle in Fassstärke von 58 bis 46 % vol. auf die Flasche gezogen, was mir persönlich besser gefällt als das gesetzlich vorgeschriebenen Minimum von 40 %. Je nach Tageszeit und Stimmung kann ich so selbst entscheiden, ob ich mein Dram mit Wasser verdünnen oder pur genießen will, um das Bouquet gefälliger und meiner Stimmung angepasst zu formen.

Wohlgemerkt, Cadenhead’s vertreibt nicht nur Whiskys, sondern auch Gin, Rum, Grappa, Absinth, Cognac, Sherry und Portwein aus eigener Abfüllung. Nun weiß der Insider, dass man bei Cadenhead’s auch Sammlerstücke von geschlossenen Brennereien wie einen einundvierzigjährigen Carsebridge zu vertretbaren Preisen findet. Allein schon wegen der nostalgischen Etiketten sind Cadenhead’s Collections unter Sammlern äußerst beliebt.

Versonnen verließ ich die Heimat der lokalen Malts und schlenderte über einen knarzenden Holzboden in den offenen Nebenraum. Dort entdeckte ich zwei hüfthohe Eichenfässer, die aufrecht in einer Nische standen. Handelte es sich hierbei um eine urige Dekoration oder waren sie befüllt? Die beiden 250-Liter-Fässer, Hogsheads werden sie von den Küfern genannt, waren tatsächlich befüllt und mit niedlich kleinen Zapfhähnen versehen. Nach den leeren, etikettlosen Flaschen auf dem seitlichen Regal zu urteilen, konnte jeder Kunde seinen eigenen Whisky hand filled zapfen und zwar zu einem verdammt günstigen Preis.

Vor einer Glasvitrine mit silbernen Springbank-Manschettenknöpfen und versilberten, zweihenkligen Trinkschalen machte ich kurz Halt, weil diese Artikel ausgefallener als das bisherige Gros ewig gleicher Werbeprodukte waren. Schnell hatte ich mir einen Überblick über die käuflichen Gegenstände verschafft – das reichte wieder einmal, ich brauchte nichts aus der Auslage. Vielmehr zog es mich mit Macht an den Verkostungstisch, wo mehrere entkorkte Flaschen bereits auf mich warteten. Noch hatten wir Vormittag, doch ein Dram war dem Fußgänger erlaubt. Auch der Blick durch das Schaufenster nach draußen kam einer Trinkerlaubnis gleich – es regnete in Strömen. Warum also nicht im Trockenen ausharren und sich mit dem Coupon der gestrigen Tour das fröstelnde Herz erwärmen?

Der Hafen von Campbeltown. Photo credit: whiper via Visualhunt.com / CC BY-SA

Mittlerweile war ich nicht mehr der einzige Besucher. Der Laden füllte sich stoßweise mit Gruppen, die hier Tickets für die Springbank-Tour kauften oder ihre Coupons für einen Drink einlösten. Drängeln war inzwischen ein Muss, wahrlich unangenehm!Zwischen Leuten in tropfnassen Anoraks und Mänteln hindurch musste ich mich drängen, um zum Verkostungstisch, auf dem auch die Kasse stand, zu gelangen.

Der Reihe nach studierte ich die Flaschen mit dem uniformen Cadenhead’s Label, die sich nur im Kleingedruckten, im Jahrgang und der Fasslagerung unterschieden. Nach einigem Zögern entschied ich mich für den 15jährigen Springbank, einfach deshalb, weil mich die blockische Schrift auf dem smaragdgrünen Etikett ansprach. Aus optischen Gründen und ganz ohne Vorwissen traf ich meine Auswahl des kostenlosen Dram. Nun ja, vielleicht auch, weil mir die Brennerei mit ihren liebenswerten Arbeitern und Angestellten inzwischen ans Herz gewachsen war. Wie diese Schotten in Handarbeit Whisky produzierten, das beeindruckte mich doch sehr, zumal ich diese Kunstfertigkeit in keiner der bisher besuchten Destillerien so engagiert erlebt hatte. Als mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, musste mir wie von selbst ein Lächeln übers Gesicht gehuscht sein. Prompt wertete der Verkäufer das unbewusste Lippenspiel als Aufforderung, mir tüchtig einzuschenken. Ich dankte ihm und zog mich in eine ruhige Ecke im Nebenraum zurück. Da mich niemand und nichts drängte und es draußen immer noch wie aus Kübeln goss, widmete ich mich dem Springbank, aged 15 years, Campbeltown Single Malt Scotch Whisky, 46 % vol.

Als Tribut an das Augenlicht schwenkte ich das halbvolle Glas in der Hand und ließ das hellbraune, mich an meinen Nougat-Riegel erinnernde Dram im Glas kreiseln. Gegen das Licht rannen ölige Schlieren in Bahnen die Glaswand hinab, Schlieren, die auch Tränen hätten sein können. Tränen der Freude, die Gaumenfreuden versprachen. Die Nase konnte es kaum erwarten, sie schnüffelte bereits und forderte ebenfalls Beachtung. Beide Nasenmuscheln kamen ins Spiel, kaum, dass ich die Mundatmung auf Nasenatmung umstellte. Die ätherischen Düfte aus der verengten Öffnung es handlichen Glases sog ich erst durch das rechte, dann durch das linke Nasenloch ein. Wieder einmal erwies sich der linke Nasenflügel als der bessere olfaktorische Detektiv. Karamell und Mandeln waren vorrangig zu riechen. Nein, kein Torf! Dafür begegnete mir trockenes Eichenholz und zwar mit Ellenbogengewalt. Erst jetzt kam der Gaumen, der sich lange hatte gedulden müssen, zum Zug. Aber nur im vorderen Zungenbereich benetzte ich die Mundhöhle. Viel Vanille zum Auftakt, umspielt von Zitrus, Feige und Marzipan – eine prächtige Komplettierung der fruchtigen Aromen. Als ich den Springbank einlud, den Gaumen weiter öffnete und auch die Backtaschen, setzte der Speichelfluss schnell und heftig ein und dämpfte das Brennen der dichten 46 %. Beim Kauen registrierte ich eine versöhnliche Milde und nicht lange dauerte es, bis das unvermeidliche Brennen in wärmendes Wohlgefühl umschlug. Mehrmals kaute ich diesen und einen zweiten Schluck, bevor ich mich dem Nachklang widmete. Dieser erfolgte lang anhaltend, von Eiche und Feige, auch von dunkler Schokolade geprägt. Plötzlich schmeckte ich Torf, aber schon überlagerte eine cremige Milde das alkoholische Brennen und ich war mir ganz sicher, einem Malt der Extraklasse begegnet zu sein. Ohne lange zu zögern, bewertete ich den fünfzehnjährigen Springbank mit vier Stützrädern und – frohlockte, hatte ich doch soeben meinen zweiten perfekten Schluck aufgespürt.

Apropos Stützräder! Diese unsinnige Hilfskonstruktion gegen das Umfallen, in der Regel an Kinderrädern montiert, hätte ich jetzt tatsächlich gebrauchen können, denn das vortrefflich gefüllte Glas erfüllte langsam aber sicher seine Wirkung. Das deftige Frühstück war längst verdaut und beschwipst signalisierte der Magen: Mittagszeit. Leicht schwankend kämpfte ich mich durch eine Gruppe von Neuankömmlingen, die im Pulk die Ladentür versperrten, ihre nassen Schirme abklopften und diese aus Platzmangel vor meinen Füßen zusammenfalteten. Bevor mich Ärger über ihr gieriges Drängen zur Theke übermannen konnte, suchte ich das Weite – zum Glück zu Fuß.

Der asphaltierte Gehsteig fühlte sich unter meinen wattigen Schritten wie eine rutschige Gummimatte an, als ich sachte schlingernd Richtung Hafen lief. Keine fünfzig Meter war ich gelaufen, da kam es mir vor, als wirkte die herbe naße Luft wie ein Striptease, der die Hüllen des kleinen Rauschs fallen ließ. Zweifellos hatte ich einen in der Krone, das war inzwischen offenkundig. An der Beinarbeit merkte ich es, weil ich mehrmals über Risse im Asphalt stolperte. Das halbe Glas Springbank war für einen nüchternen Magen zwar kein Problem, doch zweifelsohne eine Herausforderung. Zum Glück bewegte ich mich auf zwei Beinen und nicht auf zwei Rädern. Mit dem Fahrrad hätte ich vier Stützräder für die Strecke zum Hafen gebraucht.

Dank eiserner, wenn auch verwurschtelter Beinarbeit schaffte ich es zur Promenade, wo ich mir im Café Bluebell eine schnelle Tomatensuppe und ein Salat-Sandwich bestellte. Für ein gemütliches Mahl, vorzugsweise fish & chips, fehlte die Zeit, denn ich wollte den Nachmittag sinnvoll nutzen. Das Ausnüchterungsmahl schlang ich hungrig in mich hinein und spülte mit viel Kaffee nach. Nicht weil es feuchtkalt zwischen den Resopal-Tischchen zog, beeilte ich mich mit dem Essen, sondern weil ich mir für den Nachmittag noch einen Besuch bei Glen Scotia vorgenommen hatte. 

Glen Scotia. By Lirazelf – Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=62323489

In den guten Jahren, als in Campbeltown noch in 37 Brennereien die Blasen befeuert wurden und Whisky nur so floss, hinüber ins nahe Irland und nach Schottland und England sowieso, war Glen Scotia ein großer Name. Als aber im Jahr 1929 die Weltwirtschaftskrise hereinbrach und die örtlichen Kohleminen schlossen, musste auch die ehrwürdige Destillerie dicht machen. In den späteren Jahrzehnten erlebte Glen Scotia ein trauriges Weitergereichtwerden von Eigentümer zu Eigentümer aus reiner Geldmacherei – ein großer Namen war zum Futter für Heuschrecken geworden. Schließlich begann eine halbherzige Zeit. Mit Leiharbeitern von Springbank wurde destilliert und produziert, aber diese Notlösung regelte nur das Allergröbste, um eine Insolvenz abzuwenden. Aktuell profitiert Glen Scotia von der Zentralisierung in der schottischen Whiskyindustrie und so fand das Waisenkind eine neue Familie. Die Brennerei gehört heute zur Loch Lomond Gruppe, die auch die Brennereien Loch Lomond und Littlemill besitzt. Allerdings blieb nach einem verheerenden Brand von Littlemill nur noch der Name und ein geringer Fassbestand übrig.

Das Tropfenkonzert in den Straßen und auf der Uferpromenade von Campbeltown war verstummt, eine unwirkliche Stille war nach dem Regen eingetreten. Selbst der Meerwind riss nicht mehr an den Falten und Laschen meines Anoraks und das Flattern hatte ein Ende. Es schien, als hielte der Himmel über der Stadt den Atem an. Mit leichtem Befremden lief ich an der Bucht entlang und bog am hinteren Ende in die Dalaruan Street ein, wo ich nach einigen hundert Metern die grauweiße Fassade eines Fabrikgebäudes erblickte. Das musste Glen Scotia sein! Allerdings vermisste ich den typischen Mostgeruch im Dunstkreis einer Destillerie. Befremdend!

Aus keinem der zahlreichen Fenster drangen Arbeitsgeräusche und auf der regennaßen Straße rauschte es nur ab und zu, wenn mich ein Auto überholte. Auch hier lag eine lähmende Stille in der Luft zwischen den Häusern. Am Ende des Blocks öffnete sich der Blick auf einen Hof, den mehrere hohe Gebäude umstanden – und augenblicklich verschlug es mir den Atem: hinter einem rostigen Maschendrahtzaun streckten mir mächtige Kirschbäume ihre Äste entgegen und diese Äste waren von Millionen und Abermillionen von rosaroten Flocken bestäubt. Kirschblüte in Schottland! Die Blütenpracht im Hof von Glen Scotia hätte jeden Japaner entzückt, so überwältigend schön blühten die beiden Bäume zwischen den tristen Fassaden. Und das im Mai! Auch noch an diesem Wind- und Regenort! Die Quelle der Pracht musste die Wärmepumpe des atlantischen Golfstroms sein, sagte ich mir und zückte mein Handy, um das Gemälde auf den Chip zu bannen.

(weiter zu Folge 19)

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