Freitag, 26. April 2024, 13:25:15

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 22)

Über 1500 Kilometer zu siebzehn schottischen Brennereien - Besuch bei Arran

Wir freuen uns, Ihnen jeden Sonntag ein Stück einer wunderbaren Geschichte über Schottland, Whisky und das Reisen vorstellen zu dürfen: Exklusiv auf Whiskyexerts präsentieren wir Ihnen Whisky Cycle, das neueste Buch von Uli Franz, als Fortsetzungsgeschichte.

Uli Franz lebt als Schriftsteller im Chiemgau und auf der dalmatinischen Insel Brac’. Von 1977-80 arbeitete er als Zeitungskorrespondent in Peking. Über China und Tibet veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen Radgeschichten und „Die Asche meines Vaters“ (Rowohlt Verlag).

Das Buch Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland (ca. 320 Seiten) ist momentan in der ersten Auflage vergriffen – über Neuigkeiten zu Bestellmöglichkeiten werden wir Sie natürlich rechtzeitig informieren.

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Die Radtour zu 17 schottischen Destillerien. Karte von Alba Collection

hier geht es zur Folge 21

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 22)

Der Wirt vom Little Fox hatte mir vom Arran Whisky vorgeschwärmt und gemeint: „Wenn Sie schon in Claonaig sind, nehmen Sie doch für den Katzensprung über den Sund die Fähre nach Lochranza und radeln noch drei Kilometer bis zur Destillerie. Der Abstecher lohnt sich allemal, denn die machen einen feinen Malt.“

Noch heute bin ich ihm dankbar für diesen Tipp, den ich mit jedem Kilometer attraktiver fand. Je näher die Insel heranrückte und ich drüben Leben erspähte, desto mehr verfestigte sich der Entschluss, einen Abstecher über den Sund zu wagen, zumal das andere Ufer höchstens drei Seemeilen entfernt sein konnte. Als der Fährhafen zum Greifen nahe war, sputete ich mich und bereits am frühen Nachmittag ließ ich mein Steppenwolf auf dem Pier ausrollen. Eine Minute später und die Fähre nach Arran wäre mir entwischt.

„Hurry up, my friend!“, rief ein Matrose im gelben Friesennerz und winkte mich über die rutschglatte eiserne Klappe, die als Bug des plumpen Schiffrumpfs fungierte. Wirklich zuvorkommend, dachte ich und nickte dankbar lächelnd, während ich auch gleich das Fährgeld in seine lederne Bauchtasche bezahlte: umgerechnet sechs Euro für mich und null Euro für das Fahrrad. Kaum hatte ich das Rad an Bord geschoben, machten zwei Matrosen die Taue los und der Rumpf fing an zu zittern, als peitschte ihn ein gewaltiger Stromschlag. Schon wühlten die Schiffsschrauben das grüne Sundwasser auf und ganz langsam nahm die Caledonia Ferry Kurs auf Arran. Mein Rad war privilegiert, es durfte ganz vorne in einer Nische neben dem Steuerstand parken, die beiden PKW und ein LKW wurden dagegen stiefmütterlich behandelt und kosteten auch noch eine Stange Fährgeld. So war ich auch nach 30 Minuten als Erster wieder an Land, am Terminal Lochranza, wo ich sofort das Hinweisschild „Lochranza Distillery“ erspähte.

Ich habe sie nicht gezählt, aber es müssten an die zehn Golfplätze gewesen sein, an denen ich auf der bisherigen Strecke vorbeigekommen bin. Schon wieder passierte ich solch einen gepflegten Volkssportplatz mit weißroten Wimpeln. Auch er lag wie eine Lagune in einer Gartenlandschaft und sein getrimmter Rasen leuchtete absinthgrün wie von unten beleuchtet. Casual gekleidet zogen mehr Männer als Frauen mit ihren Caddies von Wimpel zu Wimpel und schwangen ihre metallic blitzenden Schläger aus der Hüfte, als winkten sie mir zu.

Nach drei Kilometern auf passablem Asphalt bog ich auf einen vollen Parkplatz inmitten von Weideland ein. Die parkende Blechansammlung mit ihren gelben Nummernschildern über der Stoßstange übersah ich beflissentlich. Es waren die Drillinge von kubischer Architektur, die meinen Blick bannten.

Auf den drei ausgezirkelten weißen Klötzen ruhten kantige, flachgeneigte Schieferdächer, auf deren Spitze, sozusagen Huckepack, ein kurzer Kamin mit Pagodendächlein thronte. Die Architektur der modernen Lochranza Destillerie provozierte, forderte heraus: passte diese kubische Form zu einer Brennerei oder war sie stilistisch überhöht, einfach zu extravagant für ein Fabrikgebäude in dieser ländlichen Gegend? Die Form der Gebäude signalisierte Purismus europäischen Stils, aber enthielt auch Zitate japanischer Architektur. Wie anders doch als Springbank oder die alten Islay-Brennereien standen die drei Gebäude vor den kahlen Grashängen eines Bergstocks, der sich 874 Meter erhob.

Als ich mein Fahrrad zwischen den dichtparkenden Autos hindurch zum Eingang des Visitors Centers schob, eilte mein Sehnsuchtsblick zu den Grashängen hinter den drei weißen Blöcken hinauf. Was für Hänge, welch eine Vision! Einfach ideal für Schwünge im Tiefschnee, dachte der Freerider in mir.

Die Brennerei wurde im Jahr 1995 auf der grünen Wiese von Harold J. Currie gegründet und produziert mittlerweile 1,2 Millionen Liter jährlich. Längst ist sie kein Newcomer unter den schottischen Brennereien mehr, im Gegenteil, sie floriert derart gut, dass eine Schwesterbrennerei in Kilmory an der Südspitze der Insel gebaut worden war. Die dortige Destillerie Lagg destilliert ausschließlich getorften Single Malt, während sich Lochranza auf ungetorften spezialisiert hat. Beide Brennereien gehören einem Konsortium von Whiskyliebhabern aus England, Schottland und Irland, die als betuchte Genussmenschen ihre Millionen entsprechend ihrer Neigung, gewinnbringend oder nicht, auf jeden Fall vorbildlich angelegt haben.

Washback By sebastian.b. – Isle of Arran Distillery, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=38443864

Aus dem Staunen kam ich nicht mehr heraus! Glasfenster über Glasfenster, rundum eine modernistische Verglasung. Und viele Besucher. So an die 100.000 pro Jahr sollen die moderne Brennerei besuchen, und das auf einer Insel, die nur mit der Fähre erreichbar ist. Viele von ihnen sind Wanderer, die den Goat Fell bestiegen haben und sich im Casks Café nun eine Auszeit gönnten.

Auf einer umlaufenden Galerie servierte das Café neben Whisky Flights eine delikate, französisch angehauchte Gastronomie von morgens bis abends. Kaum, dass ich mich in meiner Radkluft unter die zahlreichen Besucher, die mit Wanderstiefeln, bunten Käppis und Regenponchos zwischen den Glasvitrinen umherliefen, gemischt hatte, umwogte mich die heitere Atmosphäre eines Bazars.

Der hohe offene Raum mit den vielen Ballonlampen hätte auch als Saal für Varietés dienen können, so leicht und luftig erstrahlte sein Interieur. Bedienungen und Guides im grünbraun karierten Kilt eilten geschäftig durch die Menge und gaben Auskunft, wann die nächste Tour anstand. Ich wollte an diesem Nachmittag noch weiterfahren und verzichtete deshalb auf den Rundgang durch die Destillerie. Dafür investierte ich die zehn Pfund Tourgeld lieber in ein Sandwich, einen Capuccino und einen achtzehnjährigen Arran.

Auf der Galerie mit ihrer verglasten Brüstung stand ein freies Sofa, das enterte ich und belegte gleich zwei Plätze, weil ich im brandenden Trubel ein Fleckchen für mich alleine brauchte. Die Gepäcktaschen hatte ich vertrauensvoll am Rad belassen, die Schultertasche lag neben mir auf dem zweiten Sofasitz. Kaum, dass ich sass, kam ein Schotte im Rock vor meinen Platz und fragte respektvoll, was ich wünsche.

„Welchen Arran empfehlen Sie mir, Sir?“ fragte ich ihn und sah mit wachsender Bewunderung auf das braungrüne Karo des Hunting Tartan seines Kilts.

„Ich empfehle Ihnen unseren 18jährigen, ungetorft, nicht kühlfiltriert, in Cash Strength. Sollte er Ihnen zu stark sein, dann bringe ich Ihnen noch eine Karaffe Wasser, was übrigens bestes Quellwasser vom Berg hinter uns ist.“

Ich dankte ihm für diese Empfehlung, die mir sehr entgegenkam, denn an eine Wasserbegleitung hatte ich mich inzwischen gewöhnt. Auch wenn ich nur selten einen Cask Strength mit einigen Wasserspritzern zum Beleben des Aromas verdünnte, so trank ich doch gerne einen Schluck Wasser – als side sip. Unterwegs und in den Destillerien genügte Leitungswasser, denn allerorts war es von erstklassiger Qualität. Bevor ich mich auf eine neue Verkostung einließ, verlangte es meinen Magen nach einem Polster, einem Sandwich mit Ei, Ziegenkäse und Salat. Kaum war der schlimmste Hunger gestillt, widmete ich mich dem aufgetischten Dram, wobei ich wieder dem Vierfachschema folgte – Verkostung mit den Eigenschaften von Auge, Nase, Gaumen und Schlund.

Vom Augenspiel hätte man den 18jährigen Arran für gutgelagertes Rapsöl halten können. Heller als Eiche, aber dunkler als Bernstein, stand er im Glas und dokumentierte ehrlich seine 18 Jahre hinter Dauben. Dieses gute Öl liegt bekanntlich schwer im Glas. Ölig ja, aber nicht so dicht wie Rapsöl stand der alte Arran im Glas und beim Schwenken bildete er Schlieren, die sich wie glasige Würmchen an der Glaswand abwärts wanden. Dieser Malt machte einem nichts vor, das erkannte ich sofort an Farbe und Dichte. Auch war mir versichert worden, dass er natural coloured, also ohne Zuckerkulör, abgefüllt worden war.

Als nächstes war die Nase gefordert. Beim ersten Atemzug begrüssten mich im Nasendach viel Leder und Karamell, aber keine weiteren bemerkenswerten Aromen. Das war schade, denn es fehlten raffinierte Nuancen. Ich hätte mir einen Aromafächer mit mehr Variationen gewünscht. Die gradlinige Geschmacksarchitektur erinnerte mich an das blockische Gebäude, in dessen Café ich sass. Der erste Schluck brachte Bitterkeit auf die Zunge, gefolgt von Obstnoten und wieder Karamell. Ganz flüchtig schmeckte meine, zwischendurch mit Wasser beträufelte Zunge noch scharfen Ingwer und einen Anflug von Pfirsich heraus. Schließlich der Abgang – ein kurzes, nahezu rüdes bye bye, dem die harmonische Sanftheit fehlte, eben das Weiche, das nur entsteht, wenn knorriger Alkohol in saftigem Fruchtfleisch schwimmt. Zwar tauchte keine Sekunde ein medizinisches Geschmäcklein auf, aber das liebe Holz der Ex-Bourbon-Eiche diktierte den Abgang von Anfang bis Ende. So blieben im Schlund, wie ein Kloß, viel Holz mit Leder stecken.

Bei einer Fasslagerung von 18, 20 oder mehr Jahren gewinnen die Tannine mit jedem Jahr an Dominanz. Das führt dazu, dass zwar die auf Reifung angelegte Lagerung in getoasteten Eichenfässern die alkoholische Schärfe abbaut, dass sich gleichzeitig aber auch die Holznote verhärtet. Ja, sogar so dominant werden kann, dass sie zu einer Geschmackskeule ausartet. Im Bändigen dieser Keule liegt das Geheimnis eines gekonnten Wood Managements. Im Fall des 18jährigen Arran war diese Bändigung nur ungenügend erfüllt worden, so dass ich ihm nicht mehr als zwei Stützräder gab.

Im Casks Café hatte die Direktion nicht nur an den Gaumen, sondern auch an das geistige Wohl der Besucher gedacht. Entlang einer Stellwand verlockte eine kleine Handbibliothek zum Schmöckern. Beim Stöbern entdeckte ich in einem oberen Regal zwischen Fachzeitschriften ein Kleinod: das antiquarische Bilderbuch „The Art of Whisky“. Gleich nahm ich es zur Hand und beim Durchblättern entdeckte ich, dass es sich um einen Comicstrip handelte.

Auf 79 großformatigen Seiten hat der Autor Jim Murray unzählige historische Werbeposter in Fleißarbeit zusammengestellt und mit erklärenden Texten versehen. Die Plakatkollektion zeigte die Whisky-Reklame sehr vieler, inzwischen auch verschwundener Destillerien aus den Jahren 1898 bis 1910. In ihrer naiv-realistischen und farbigen Ausmalung waren die Plakate unverwechselbare Zeitzeugen der Gründerjahre und dokumentierten die erste historische Werbekultur, die um die Jahrhundertwende rund um den schottischen Whisky entstanden war. Alle Plakate zeichneten sich durch handgemalte Farbigkeit aus und hätten unter der Schlagzeile stehen können: vergnüglich trinkende Männer animieren Männer zum Trinken. Die Trinkanimateure auf den Plakaten trugen allesamt den traditionellen Kilt, den karierten Rock der Schotten. Stets waren die Mannsbilder alt, bärtig, lustig – und fest. Mal warben khakifarben uniformierte Offiziere, mal braungekleidete Benediktinermönche mit Tonsur für den Malt einer Destillerie. Aus heutiger Sicht wirkte das werbende Genre wie ein Schmunzelkabinett. So zeigte das Plakat der ehemaligen Stromness Distillery von Orkney einen Schotten mit Ballonmütze im Kilt, dem ein Porter auf einer Sackkarre eine übergroße Flasche Old Orkney Special vor die Füße rollte, salutierte und rief: „Your luggage Sir!“ 

Ein Mensch, besser ein Mann, ohne Whisky ist nur ein halber Mensch und nur mit einem Glas oder besser gleich einer ganzen Flasche kommt er in Schwung und hat Spaß am Leben – so naiv klang die Botschaft jedes Whiskyplakats im Bilderbuch der Poster. Ein Plakat aus dem Jahr 1898 dokumentierte schließlich noch eine Seltenheit im Rahmen der Kollektion. Farbig angemalt, flog eine schlanke Schottin im wehenden Kilt wie ein weiblicher Münchhausen rittlings auf einer gewaltigen Flasche „The Tartan Blend“ durch die Lüfte und überflog, gleich einer Luftwandlerin, den Schriftzug „Scotch Whisky, Poole & Anderson, London“.

Für einen Moment legte ich das Bilderbuch beiseite und schaute mir die modernen Labels der Arran Flaschen an, dabei überkam mich Enttäuschung. Verglichen mit dem Augenschmaus an Bildern einer Zeit, da Reklame gerade laufen lernte, waren die modernen Labels so sachlich und cool wie die Autos aus dem Windkanal, denen vor lauter Zweckmäßigkeit der Designschmelz der Oldtimer fehlt. 

Bevor ich in der nächsten Minute mit dem Bilderbuch auf dem Schoß einnickte, gab ich mir einen Ruck, bezahlte das 2-Stützräder-Dram und das Käsesandwich mit dem Capuccino und stakste mit harten Waden die Galerietreppe hinab. Auf dem Weg ins Freie musste ich mich erneut durch drängende Besucher in Wanderlaune schlängeln, die in lauten Gruppen den Shop belagerten. Vor den Regalen mit einem gewaltigen Merchandise-Sortiment hielt ich inne. Wäre doch schön, etwas Kleines als Souvenir mitzunehmen! Mein Blick wanderte die ansehnliche Parade an Produkten entlang. Vielleicht sollte ich ein Duschgel, aufgepimpt mit Arran Whisky, erwerben, um meine nächsten Duschkabinen-Abenteuer mit einer männlich herben Note zu würzen? Noch war ich offen für einen Scherz, aber als ich mir die Hochglanzverpackung genauer anschaute, entdeckte ich am Boden ein verschämt kleines, aufgeklebtes Preisschild. Nein und nochmals nein zu dieser mit Whisky durchsetzten Duschseife für den Preis eines Chanel Produkts. Statt am ganzen Körper nach Whisky zu riechen, roch ich doch lieber nach einem teuren Whisky aus dem Hals!

(Fortsetzung folgt)

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