Wir freuen uns, Ihnen jeden Sonntag ein Stück einer wunderbaren Geschichte über Schottland, Whisky und das Reisen vorstellen zu dürfen: Exklusiv auf Whiskyexerts präsentieren wir Ihnen Whisky Cycle, das neueste Buch von Uli Franz, als Fortsetzungsgeschichte.
Uli Franz lebt als Schriftsteller im Chiemgau und auf der dalmatinischen Insel Brac’. Von 1977-80 arbeitete er als Zeitungskorrespondent in Peking. Über China und Tibet veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen Radgeschichten und „Die Asche meines Vaters“ (Rowohlt Verlag).
Das Buch Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland (ca. 320 Seiten) ist momentan in der ersten Auflage vergriffen – über Neuigkeiten zu Bestellmöglichkeiten werden wir Sie natürlich rechtzeitig informieren.
Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 35)
Obwohl der junge Arbeiter wie ein Security ausschaute – schwarzer Overall, Sicherheitsweste in Neongrün, weißer Schutzhelm, Arbeitsausweis am Revers – raunzte er mich nicht befehlend an, sondern fragte wie ein Arzt einen unangemeldeten Notfall-Patienten: „Wie kann ich Ihnen helfen?“ In seinen blauen Augen blitzte sogar Neugier auf, als er mein Fahrrad erblickte.
Klar, mein Gegenüber erwartete eine fundierte Erklärung für mein Eindringen, das sah ich sofort an seiner leicht gerunzelten Stirn, also beantwortete ich brav seine Frage: „Ich würde gerne einen Blick in die Brennhalle werfen.“
„Ok, aber Sie wissen schon, dass wir hier kein Visitors Center haben und auch keine Führungen durch die Destillerie veranstalten.“
Kurz jagte mir der Gedanke durch den Kopf, mich dumm zu stellen und zu antworten: „Nein, das wusste ich nicht.“ Aber warum den freundlichen Arbeiter, der wie ein kluger Ingenieur aussah, anlügen? Das wäre doch lächerlich. So blieb ich bei der Wahrheit: „Ja, aber ich schreibe über Whisky und Ihre Arbeit hier ist mir wichtig. Ich heisse übrigens Uli und komme aus Deutschland.“
„Angenehm, Colin, ich bin hier der zweite stillman.“
Gewiss musste Colin die strikten Anweisungen der Geschäftsleitung befolgen, aber er war kein Rosinenkacker, das wurde mir schnell klar, und wie ich vermutet hatte, hielt sich seine Korrektheit in Grenzen. Mit einem Wink bat er mich, ihm zu folgen und hintereinander betraten wir die gut gewärmte, stark riechende Brennhalle.
Mit viel Fantasie betrachtet, kam mir der hohe Raum wie ein sauberer Tierstall vor, weil zwischen Gitterrosten reglose Wesen in Reih und Glied standen. Natürlich keine Kühe, eher giraffenartige Wesen mit rötlich schimmernden, fett aufgeblähten Bäuchen und schlanken, langen Hälsen, die sich hoch oben nach Futterkästen an der Wand zu recken schienen.
Wir liefen den betonierten Mittelgang entlang und ich hörte Colin laut, sich gegen den Maschinenlärm durchsetzend, sagen: „Wir brennen mit vierzehn stills, sieben rechts und sieben links. Im rückwärtigen Bereich der Halle befinden sich vierzehn stählerne Gärbecken, jedes mit einem Fassungsvermögen von 110.000 Litern. Die gesamte Anlage ist computergesteuert und wir können 13 Millionen Liter puren Alkohol pro Jahr brennen…“
„Alle Achtung“, warf ich ein, „faktisch alles automatisiert!“
„Ja, ich und ein zweiter Kollege fahren eine Schicht und überwachen und steuern vom Kommandostand dort oben aus den gesamten Ablauf. Die unterschiedlichen Aromen erzeugen wir mit Hilfe eines Computerprogramms für zwei Verflüssigungskondensatoren, einen aus Kupfer und einen aus Edelstahl. So können wir unterschiedliche Geschmacksrichtungen wie nussig, grasfrisch und torfig erzeugen. Bemerkenswert ist noch, dass unsere Bioabfälle alle wiederverwertet werden. Wir heizen mit der abgehenden Wärme viele Haushalte und das bei der Gärung entstehende Kohlendioxyd recyceln wir, so dass wir den klimaschädlichen Ausstoß an Abgasen um 26 Prozent senken konnten.“
„Alles automatisch, hmmh, das bedeutet wohl, dass es wenige Arbeitsplätze gibt. Als ich hier reinfuhr, begegnete mir nur ein Arbeiter auf einem Poster an der Wand, das war schon irgendwie gespenstisch.“
„Ja, das ist die Kehrseite der Automation bei Roseisle, hier arbeiten nur noch sechs stillmen in drei Schichten. Die Produktion ist extrem spezialisiert, so stellen wir nur bestimmte Blends her, für die exakte und gleichbleibende Destillate von größter Wichtigkeit sind. Dank Computersteuerung können wir den middle cut sehr exakt aus dem Destillat herausschneiden. In dieser Fabrik wird nur destilliert, die Mälzerei ist abgetrennt und die Fasslagerung, die Wasserverdünnung und die Flaschenbefüllung finden an anderen Orten statt.“
Ich deutete auf das Werbebanner mit dem weltberühmten, weit ausschreitenden Gentleman, das raumfüllend an der Stirnseite der Brennhalle hing. „Macht ihr hier den Johnnie Walker?“
„Ja und nein, wir liefern sozusagen sein Rückgrat. Verschnitten wird der Blend in der Cardhu[1] Brennerei, die 36 Kilometer südlich von hier liegt. Dorthin wird der new make mit Tanklastern gefahren.“
„Sehr ernüchternd für einen wie mich, für den das Dram ein reines Genusserlebnis mit viel Handarbeit ist.“
„Das verstehe ich gut, aber der Markt verlangt nach immer mehr Whisky. Es stimmt schon, dass wir auch dafür kritisiert werden, dass wir das Geschmackserlebnis verflachen. Aber wir liefern nur, was der Markt verlangt und das ist ein gefälliger Blend, der auf der Zunge schmilzt und nicht zuviel kostet. Also mal ehrlich! Man kann ja nicht alles haben. Das wird gerne vergessen. So, das wär’s von meiner Seite, jetzt muss ich wieder auf die Leitwache.“ Mit ausgestrecktem Arm, auf dem ein wahres Display an Hautbildern zu sehen war, zeigte Colin auf das erhöhte Steuerpult, das auch ein futuristischer Bartisch hätte sein können, ein Bartisch auf dem anstelle von Gläsern und Flaschen rote und grüne Signallampen, Schalter und Monitore mit Messinstrumenten zu sehen waren. „Wohin geht’s als nächstes?“, fragte er im Gehen.
„Heute Elgin, morgen Dufftown…“
„Gute Fahrt, grüssen Sie mir meine Ex-Kollegen bei Glen Grant.“
Beim letzten Blick auf Colin’s Arbeitsplatz überkam mich Wehmut. Statt an einem goldschimmernden Messingkasten namens spirit safe mit Händen, Herz und allen Sinnen zu hantieren, mit der Nase eine Aromaspur aufzunehmen und mit den Augen auf der Skala der Hydrometer-Spindel die Dichte des Alkohols abzulesen, sass der Destillateur hier wie ein Fluglotse in einem schwarzen Kunstledersessel mit hoher Lehne am Pult der Leitwache und musste nur noch die kalten Augen der Monitore und die rotglühenden Pupillen der Kontrolllampen fixieren. In dieser wie in allen Hightech-Großdestillerien war jener nostalgische Messing-Glas-Kasten verschwunden. Zu traurig! Der Computer hatte ihn ins Museum verbannt! Wie den bleiernen Buchdruck, die Tastenschreibmaschine, das Tonbandgerät und den Video Recorder – ereilte ihn dasselbe Schicksal.
Der spirit safe, den ich erstmals bei Springbank kennengelernt und der mich gleich an einen Brutkasten für Frühchen erinnert hatte, war ursprünglich eine geniale Erfindung für das Fraktionieren des Destillats, das bekanntlich nicht durchweg rein und kristallklar aus der Brennblase fließt.
Seine Geburtsstunde schlug anno 1819. Ein Spirituosenhändler namens James Fox aus Plymouth erfand ein Guckkästchen, das er „Fox’s Distiller’s Economist“ nannte und unter diesem Namen patentieren ließ. Durch zwei Glasscheiben, vorne an der Schauseite und hinten am kupfernen Kästchen konnte man den durchfließenden Brand kontrollieren, ohne dass dieser mit dem Luftsauerstoff in Berührung kam. Aus dieser simplen Erfindung, die fälschlicherweise einem gewissen Septimus Fox zugeschrieben wird, entwickelte sich recht schnell der spirit safe, der historisch zum ersten Mal in der Port Ellen Brennerei auf Islay eingesetzt wurde.
Mit der Zeit verbesserten Ingenieure das Fox’sche Guckkästchen zum aufklappbaren Messing-Glas-Kasten, mit dessen Hilfe der ungesunde Vor- und Nachlauf vom gesunden Mittellauf, dem Herzstück, fraktioniert werden konnte. Die Erfindung von James Fox dem Jüngeren wurde so zu einer Art von Lackmus-Test, um die Reinheit des Brands zu kontrollieren.
Im spirit safe treffen die Zuleitungen aus den Brennblasen zusammen und der Alkohol kann in gläsernen Schalen separiert oder gemischt, zurückgeleitet oder gesammelt werden – all diese laboratorischen Prozesse und ihr Gelingen hängen hierbei vom Können des Brennmeisters ab. Der stillman riecht den ungesunden, mit Methanol, Ethanol und Fuselölen durchsetzten Vorlauf und auch den genauso ungesunden Nachlauf. Allein nach dem Geruch des Destillats vermag er im richtigen Moment den kristallklar reinen, süßlich schmeckenden Mittellauf herauszuschneiden. Den Vor- und Nachlauf führt er als Reinigungsbrand wieder zurück in die Blase, wo er als Bestandteil einer frischen Charge erneut destilliert wird. Für Master Blender Richard Paterson hat der spirit safe etwas Magisches. Paterson spricht von der „Kristallkugel“ des Whiskymachens, wobei er auf die Eingebung und die Erfahrung, ja auch das Gespür und die Begabung des stillman abzielt, also des Menschen, der die Apparatur bedient.
James Fox konnte nicht ahnen, dass seine technische Innovation nur vier Jahre später vom Staat als Waffe gegen die Schwarzbrennerei eingesetzt werden würde. Mit dem Verbrauchsabgabe-Gesetz, offiziell Excise Act genannt und 1823 erlassen, wurde legales Brennen nur dann konzessioniert und zertifiziert, wenn die Destillerie eine Gebühr von zehn Pfund plus eine Zollgebühr für jede Gallone[2] reinen Alkohol bezahlte. Um die Konzession vom Papier in die Praxis zu bringen, musste das wachsame Auge der Obrigkeit das Brennen wirkungsvoll kontrollieren. Und das geschah ganz clever am Ort, wo der jungfräuliche Alkohol floss – am aufklappbaren Bedienungsfenster des spirit safe. Ganz pragmatisch geschah das folgendermaßen: die Behörde ließ den freien Zugang verriegeln, indem an der Öffnungsklappe ein Vorhängeschloss angebracht wurde, dessen Schlüssel ein Zollbeamter am Gürtel trug. Dieser Beamte überwachte der gesamten Destillation und übte als staatliche Autorität die alleinige Herrschaft über den Brand aus. Diese simple Maßnahme der Überwachung konnte allerdings nur so lange praktiziert werden, so lange es nur wenige Brennereien mit einer Brennlizenz gab, was bis ins Jahr 1870 andauerte. Als ab diesem Datum der Whiskyboom einsetzte, herrschte plötzlich Mangel an Personal, also wurde der Safe mit einer amtlichen Zollplombe versehen. Nach diesem Reglement wurde der stillman auch noch zum Buchhalter abkommandiert, der handschriftlich in einer großen Kladde alle Brände mit Datum, Alkoholgehalt und Angabe in Gallonen dokumentieren musste. Das Brennprotokoll diente fortan als Grundlage für die Erhebung der Brenngebühr.
Mit zunehmender Digitalisierung verschwindet der spirit safe aus den schottischen Brennereien oder wird nur noch als funktionsloses Kunstobjekt ausgestellt, weil das Brennen auf Knopfdruck, wie es heute bei allen Großbrennereien wie Roseisle, Glenlivet und Glenfiddich[3] funktioniert, zur Regel geworden ist. Auch im Whiskymachen ist die digitale Revolution voll im Gange und lange wird es nicht mehr dauern, bis algorithmische Programme für das „perfekte“ Geschmackserlebnis sorgen.
* * *
„Take care!“, rief mir Colin hinterher, als ich durch die Eisentür in die frische Luft hinaustrat, mich in den Sattel schwang und zügig vom leeren Fabrikgelände fuhr. Kaum, dass unter den Reifen das Schnurren begann, konnten die Gedanken wieder wandern und – wen wundert es – in Gedanken reiste ich in die altertümliche Brennhalle von Springbank zurück. Welch eine andere Welt!
Keine vierzehn Tage waren vergangen, seit ich dort neben stillman John gestanden hatte, meine Hand durch das aufgeklappte Fenster in den spirit safe geschoben und mit dem Finger in das fließende Alkoholherz gedippt und die wasserklaren Tropfen von der Fingerkuppe gelutscht hatte. Fürwahr, ein Erlebnis, ein rarer Moment auf meiner Reise – ein Tasting wie man es nicht alle Tage bekommt. Die Lutschtropfen schmeckten neutral, nicht aufregend, aber ihre 75 % vol. hatten es in sich: gleich hatte ich husten müssen. Daran erinnerte ich mich noch immer.
Mein Fortkommen aus dem Energiefeld von Roseisle gestaltete sich nicht ganz einfach. Nach einer längeren Geradeausfahrt gelangte ich an eine Kreuzung, wo es einer Entscheidung bedurfte. Beim besten Willen war mir nicht klar: nach Süden oder nach Westen. Zum Glück stand eine Bäuerin, die mit Eimer und Schippe Pferdeäpfel von der Koppel sammelte, nahe bei der Weggabelung. Die Frau mit Kopftuch musste sich auskennen, redete ich mir ein und fragte sie nach dem Strecke ins nahe Elgin. Mit ihrem grünen Gummihandschuh zeigte sie gen Westen und gleich darauf zur Sonne, die in diesem Moment dottergelb durch die Wolken brach: „Folgen Sie ihr und Sie werden eine schöne Fahrt nach Elgin haben.“
Ihre gewinnende Art verscheuchte die Wehmut aus meinen Gedanken. Mit lockerer Hand winkte ich ihr über den Koppelzaun zu und stemmte mich in Sonnenrichtung wieder in die Pedale. Sofort nahm mir der Küstenwind den Richtungswechsel übel und ging mich mit voller Breitseite an. An die fünf Kilometer folgte ich alten Steinmauern, die Weiden und Äcker unterteilten, bis ich die ersten blühenden Vorgärten von Familienhäusern erreichte und wenig später den durch parkende Autos beengten Durchlass zum Marktplatz von Elgin.
Hielt sie den Atem an? Diese Frage stellte ich mir auf den ersten Metern zum Marktplatz hin. Reglos duckte sich die kleine Stadt auf dem flachen Land, als ich auf die Promenade der High Street einbog. Beim gemächlichen Queren des Kopfsteinpflasters spürte ich die Spannung zwischen leerstehenden, mit Plakaten verkleisterten Geschäften und dem Fassadenprunk der altehrwürdigen Geschäftshäuser. Noch war die Pracht der Kaufmannsgilde zu sehen, offensichtlich aber auch das Bröckeln der Fassaden einer glorreichen Ära. Von Elgins 21.000 Einwohnern war nicht viel zu spüren, nur unter den klassizistischen Säulen eines verrammelten Bankportals hockte eine Schar schwarzgekleideter Jugendlicher, vermutlich, weil es hier freies Internet gab.
(wird fortgesetzt)
[1] car-doo
[2] 4,55 Liter
[3] glen-fidd-ick