Samstag, 20. April 2024, 12:52:24

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 34)

Über 1500 Kilometer zu siebzehn schottischen Brennereien - zu Roseisle, der Mega-Brennerei von Diageo

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Wir freuen uns, Ihnen jeden Sonntag ein Stück einer wunderbaren Geschichte über Schottland, Whisky und das Reisen vorstellen zu dürfen: Exklusiv auf Whiskyexerts präsentieren wir Ihnen Whisky Cycle, das neueste Buch von Uli Franz, als Fortsetzungsgeschichte.

Uli Franz lebt als Schriftsteller im Chiemgau und auf der dalmatinischen Insel Brac’. Von 1977-80 arbeitete er als Zeitungskorrespondent in Peking. Über China und Tibet veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen Radgeschichten und „Die Asche meines Vaters“ (Rowohlt Verlag).

Das Buch Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland (ca. 320 Seiten) ist momentan in der ersten Auflage vergriffen – über Neuigkeiten zu Bestellmöglichkeiten werden wir Sie natürlich rechtzeitig informieren.

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Die Radtour zu 17 schottischen Destillerien. Karte von Alba Collection

-hier geht es zur Folge 33-

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 34)

* * *

Bevor mich die Shopping-Fee ans Kreditkarten-Limit locken konnte, saß ich wieder in Funktionswäsche auf dem Rad und verließ Inverness zur Rush Hour im Regen. Umzingelt vom kriechenden Berufsverkehr, war ich auf meinem wieselnden Vehikel fein heraus und konnte mich elegant durch die Lücken schlängeln. Während sich die Autos Stoßstange an Stoßstange durch die Randzone der Metropole in Richtung Kessock Bridge quälten, nutzte ich freie Korridore bis ins Industriegebiet, wo mir im Sprühregen der Radweg abhanden kam und ich an einer vermüllten Böschung der A 9 landete, einer vierspurigen Autotrasse, die über den Moray Firth gen Norden führt. Spät merkte ich, dass ich falsch war, weil ich auf keinen Fall hinauf zu den windigen Orkney oder noch höher zu den Shetland Inseln wollte. Mal wieder hatte ich mich in der Grauzone einer Großstadt verfahren. An einer betonierten Brückenrampe stand ich nun neben meinem Rad so verloren wie ein Tramper an der Autobahn.

Zum Leidwesen eines Radfahrers war die ganze Gegend nur für den Autoverkehr konzipiert: öde Fahrbahnen zerschnitten das wenige Grün und grauer Asphalt kesselte wildwuchernde Buschinseln ein. In diesem Labyrinth musste ich feststellen, dass die Straßen, die parallel verliefen, alle nach Norden beziehungsweise ihre Gegenfahrbahnen nach Süden führten, während ich nach Südosten wollte. Mein Gott! Ich wollte doch nach Südosten – in die Herzkammer des ungetorften Whiskys, nach Speyside. Im Industriegebiet von Inverness, das so gesichtslos die Landschaft verhunzte, war ich an einem neuralgischen Punkt meiner Tour angelangt.

Auf jeder Reise, ob zu Rad, zu Fuß oder im Auto, erlebt man Situationen, in denen man ganz ruhig werden muss, sonst wird alles noch schlimmer, womöglich gar aussichtslos. In solchen Momenten schaue ich dann nach oben und suche den Himmel nach der Sonne ab, denn selbst wenn über einem nur Wolken den Himmel bedecken, kann man im fahlen Licht den Sonnenstand und die Himmelsrichtungen erahnen. So spähte ich nach oben und suchte als Wegweiser in der Not die Sonne hinter den Wolken. Noch hatten wir Vormittag, noch stand sie im Osten. Auch wenn ihre Strahlkraft im Versteck schwächelte, konnte sie mir doch als Kompass dienen. Kurzentschlossen machte ich kehrt, drehte das Fahrrad auf dem Hinterrad um hundertachtzig Grad und fuhr gegen die Richtung des schleichenden Verkehrs.

Immer verschlungener wanden sich die Lebensadern des urbanen Organismus um mich verlorenes Radfahrerlein, und immer nervöser wurde ich im Fahren auf einem brüchigen, mit Abfall übersäten Randstreifen. Aber was blieb mir anderes übrig, als dem dahinschleichenden Verkehr in die Augen zu schauen? Keine zwei Meter neben mir, krochen die Autos in entgegengesetzter Richtung dahin. Ihre Motoren stanken und brummten und dröhnten und verwandelten die feuchte Morgenluft in eine unappetitliche Suppe. Hinter regennaßen Scheiben starrten mich mitleidige Gesichter an. Am liebsten hätte ich mich in einem Mauseloch verkrochen.

Aber das Fahren gegen den Strom lohnte sich letztendlich doch. Schließlich fand sich eine Gelegenheit, nach Osten abzubiegen, in die Richtung von Elgin. Erleichtert folgte ich vorbehaltslos der Autostraße – zu vorschnell, wie sich bald herausstellen sollte, denn nach zwei Meilen mündete der Randstreifen, den ich befuhr, in den Standstreifen einer Autobahn ein. Nun hatte ich ein echtes Problem: das Malheur, als Radler auf der Autobahn unterwegs zu sein! Was sollte ich tun? Umkehren? Oder weiterfahren? Ganz links auf der Standspur, nahe der Leitplanke, mitten im blauen Dunst der Auspuffgase und im Gebrüll der Motoren eiskalt weiterfahren?  

Stillman in Neonweste

 Unglück wurde zu Glück. Eine Meile war ich mit beschleunigtem Puls auf dem Standstreifen der Autobahn dicht neben zwei überfüllten, sich quälenden Spuren gefahren, dann konnte ich die Angst vor der Polizei und einer Geldbuße für widerrechtliches Autobahnbenutzen hinter mir lassen. Nach einer Meile wies ein grünes Schild einen Fluchtweg aus dem inzwischen rasant fließenden Verkehr, und schon bald frohlockte ich über ein Schild, dessen Königsblau mir wie das Rotweiß eines Rettungsrings vorkam. National Cycle Route No. 1, Elgin, 35 miles – stand darauf in weißer Schrift.

Nach zwei Ruhetagen in einem B&B, wo die Kloschüssel beim Hinsetzen knirschte, und wo am Bett Omas ausrangierte Nachtkästchen auf einem fleckigen Salz-und-Pfeffer-Teppich den spärlichen Raum ausfüllten, war ich endlich wieder frei und meine vier Wände waren die vier Richtungen unter dem Himmel. Mutterseelenallein und leicht ums Herz pedalierte ich auf dem nationalen Radweg No.1 in die offene Weite des Ostens hinein, in Richtung Elgin.

Ein Klacks, frohlockte ich, kaum, dass ich den Hinweis 35 miles registrierte – diese Distanz reiße ich in zwei Stunden runter. Erst nach einer Weile dämmerte mir mal wieder, dass diese Meilenangabe immerhin 56 Kilometer betrug – und zwar auf regennaßer Fahrbahn und bei Gegenwind. Dem Wind die Stirn bietend, ertappte ich mich recht bald dabei, wieder einmal nur ans Ziel zu denken. Ja, wieder einmal verhielt ich mich wie ein Entfernungskonsument.

Ein Ziel vor Augen zu haben, ist wichtig, aber der Weg dorthin ist genauso wichtig, das hatte ich doch schon mehrmals erlebt! Nun war auf der anstehenden Etappe der Weg sogar überaus wichtig, weil auf ihm eine vielversprechende Zwischenstation lag. Bei meiner vorbereitenden Selektion der Brennereien war ich auf Roseisle[1] gestossen. Roseisle sei die modernste Destillerie des Diageo Konzerns, sie arbeite ökologisch und mit ihrer Abwärme würde eine ganze Ortschaft beheizt. All das klang spannend, also wollte ich die Lobeshymne auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen. Zu meinem Erstaunen stieß ich auf eine sehr dürftige Faktenlage. Überhaupt schien es mir generell so, als ob der zweitgrößte Spirituosenkonzern der Welt den Ball sehr, sehr niedrig hielt, wenn es um seine beachtliche Monopolbildung ging – um den Besitz von 28 Brennereien, vier Mälzereien und mehreren Abfüllfabriken allein in Schottland. So hatte ich über die Diageo Brennerei Roseisle außer imposanten Fotos kaum Fakten gefunden. Dieser Zustand reizte mich, auf dem Weg nach Elgin den Geheimnistuern einen Besuch abzustatten.

Einem Messerschnitt glich das blitzgerade Band des Radwegs, das die Monokultur der Sommergerste zerteilte. Diese zartgrüne Kultur schien endlos, bis tief in den Horizont hinein reichte sie.

Moray, so hieß die küstennahe Region, breitete sich topfeben aus und wäre nicht das Windduett aus Nordseebrise und Gegenwind gewesen, ich hätte in aller Stille leichtes Reifenspiel gehabt – und zwar über Stunden. Die zartgrüne, maschinell gepflanzte Akkuratesse rechts und links des schnurgeraden Teerbands lullte mich im Fahren ein, ich wurde bereits schläfrig, als ich kurz vor Elgin durch einen Fremdkörper am Horizont hellwach wurde: weißer Rauch waberte aus vier schlanken Industriesäulen, zwischen denen ein mattglänzendes Röhrensystem und Silos aus matt glänzendem Edelmetall auftauchten – eine Fabrikanlage erhob sich mitten aus dem zarten Grün und wirkte durch einen langgestrecken Backsteinbau monumental. Nur der Eingeweihte konnte hinter dieser Silhouette eine Destillerie erahnen. Oder ein Blinder, den ein feines Gespür für Gerüchte auszeichnete. Eine Destillerie, nicht anders als eine Brauerei, verströmt Gerüche, die schon von weitem auszumachen sind, mostige Gärgerüche, essigsauer und zugleich malzig süß.

Aus der Einsamkeit des Radwegs No.1 bog ich auf die B 9089 ein, überquerte diese schwach befahrene Autostraße und sah schon bald neben einem offenen Fabriktor eine Firmentafel in dezentem Grau. Roseisle stand in verblassten Lettern oben und Diageo klein darunter. Solch ein bescheidenes und in die Jahre gekommenes Firmenschild hatte ich auch am Fabriktor der Port Ellen Mälzerei auf der Insel Islay entdeckt, was meine Vermutung bestärkte, dass Diageo keinen großen Wert auf Publicity legt. Hinter dem grauen erspähte ich ein gelbes Schild am Tor, das mich ins Grübeln brachte. „Zutritt nur für autorisierte Personen“ stand da, was vermuten ließ, dass die Brennerei kein Visitors Center unterhielt.

Weiterfahren? Also die Vorschrift missachten? Das sperrangelweit geöffnete Tor empfand ich als Einladung. Und war es nicht so, dass das Produkt, das hier entstand, mich als Whiskyautoren gewissermaßen autorisierte, auf das Firmengelände vorzudringen? Genau das tat ich, wobei ich nach Überwachungskameras an den Gebäuden Ausschau hielt.

By Alan Jamieson, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=53418448

Kaum war ich um eine hangargroße Halle gebogen, kam ich mir wie eine Ameise vor, die das Rollfeld eines Flughafens überquerte, so gewaltig war die betonierte LKW-Zufahrt angelegt, so hochragend stemmte sich die kantige Architektur der Halle empor, durch deren Fensterfront die Kupferhaut von vielen Brennblasen rötlich schimmerte. Diese langgestreckte Halle mit Fensterschlitzen an der Längsfassade hätte in ihrer Form auch das Trockendock einer Schiffswerft sein können. Weit gefehlt – es war das still house der im Jahr 2009 erbauten Großdestillerie Roseisle, der größten des Giganten Diageo.

Beim Rundblick sah ich nur gähnende Leere, keine Menschenseele weit und breit. Zu hören war aus keiner Ecke Motorenlärm von Tanklastern, die Gerste anlieferten oder Bulkwhisky abtransportierten, zu hören war nur ein Zischeln und Zischen, das ab und an von den Silos und dem Metallröhrensystem herüberwehte. Anhaltend wisperte nur der Wind, der immer um mich war, und den ich schon lange nicht mehr registrierte. So fuhr ich bedächtig, aber ohne Halt, tiefer in die Industrieanlage hinein. Alles wirkte befremdlich, nahezu unheimlich, niemand stoppte die Ameise, die einsam und verloren einen betonierten Platz überquerte, auf dem bequem fünfzig Trucks mit Aufleger hätten parken können.

Moment! Dort hinten an der grauen Barackenwand stand doch ein Mensch, der den Arm gebietend hob. Also hatte doch jemand die Ameise entdeckt und wollte sie stoppen. Sollte ich zu diesem Aufseher hinüberfahren, mich vorstellen und ihm mein Anliegen vortragen? Oder sollte ich ihn ignorieren und so tun, als sei er zu weit entfernt und lieber das Büro der Geschäftsleitung aufsuchen? Leichter gesagt als getan, nirgendwo war ein Hinweisschild auf ein Empfangsbüro zu entdecken.

Inzwischen umkreiste ich ein Ensemble aus haushohen Kesseln und Silos, aus denen es rauchte und qualmte und immer noch zischelte und zischte. Das musste die Mälzerei sein, wo in gewaltigen Trommeln die Gerste getrocknet und gemahlen wurde. Beim Anblick solch einer industriellen Raffinerie vergeht einem jegliche Whiskylust, schon eher verlangt es einen nach einer Kopfschmerztablette. 

Da ich nirgendwo ein besetztes Büro oder wenigstens einen Hinweis auf ein Empfangsbüro finden konnte, fuhr ich verhalten tretend an die graue Barracke heran. Plötzlich löste sich die Anspannung in mir und herzhaft musste ich lachen. Der Mensch mit dem ausgestreckten Arm war kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern ein angeklebter Poster-Mann, der in einer neongrünen Weste für Arbeitssicherheit warb. Die Baracke umkreiste ich nun bedächtig fahrend. Aber auch sie war leer, so stoppte ich schließlich an einer Eisentür, die sich in der Mitte des türkis gestrichenen Hangars befand.

Seit Passieren des Schilds „Zutritt nur für autorisierte Personen“ hatte ich mich in meiner Haut unwohl gefühlt und jetzt, da diese Eisentür plötzlich aufging und tatsächlich ein Mensch aus Fleisch und Blut vor mich hintrat, durchzuckte mich ein gehöriger Schreck und raubte mir kurz den Atem. Zumal dicht hinter dem Arbeiter ein alter Bekannter mit aller Gewalt ins Freie drängte.

Der alte Bekannte war eine Wolke essigsaurer Gärgerüche, auf die eine zweite schmeichelnde Wolke aus würzigen und vanillesüßen Brennaromen folgte, die zum Glück versöhnten. Da mir dieser Cocktail inzwischen nicht mehr fremd war, steckte ich den Nasenstüber des alten Bekannten schnell weg. Schließlich befand ich mich nicht in einer Kläranlage, sondern in einer Destillerie.


[1] rose-eyel

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