Freitag, 22. November 2024, 02:21:30

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 40)

Über 1500 Kilometer zu siebzehn schottischen Brennereien - vom Highlander Inn zu Billy Walker's GlenAllachie

Wir freuen uns, Ihnen jeden Sonntag ein Stück einer wunderbaren Geschichte über Schottland, Whisky und das Reisen vorstellen zu dürfen: Exklusiv auf Whiskyexerts präsentieren wir Ihnen Whisky Cycle, das neueste Buch von Uli Franz, als Fortsetzungsgeschichte.

Uli Franz lebt als Schriftsteller im Chiemgau und auf der dalmatinischen Insel Brac’. Von 1977-80 arbeitete er als Zeitungskorrespondent in Peking. Über China und Tibet veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen Radgeschichten und „Die Asche meines Vaters“ (Rowohlt Verlag).

Das Buch Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland (ca. 320 Seiten) ist momentan in der ersten Auflage vergriffen – über Neuigkeiten zu Bestellmöglichkeiten werden wir Sie natürlich rechtzeitig informieren.

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Die Radtour zu 17 schottischen Destillerien. Karte von Alba Collection

-hier geht es zur Folge 39-

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 40)

* * *

Wie ein verfrühter Sommergast musste ich auf den Wirt vom Highlander Inn gewirkt haben. Als ich vor seinem Gasthaus vom Fahrrad stieg, huschte ein Lächeln über seine Lippen und nach seiner Miene zu urteilen, dachte er: Was kommt denn da für eine seltsame Gestalt mit Helm und nackten Beinen?

Auch ich war erstaunt, mitten in Schottland, am Dorfrand von Craigellachie, einen Japaner vor der Tür sitzen zu sehen. Als ich dem eleganten Herrn in meinem knappen Aufzug unter die Mandelaugen trat, fühlte ich mich nicht gerade komfortabel. Verstieß ich gegen die Etikette, die ja in Japan noch sehr viel gilt? Ohne große Worte, ohne nach woher und wohin zu fragen, winkte er mich in sein Büro und stellte sich als Tatsuya Minagawa vor. „What can I do for you?“

„Any vacancy here?“

Für asiatische Ohren musste diese knappe Frage sehr unhöflich geklungen haben, aber noch immer umflorte ein Lächeln Minagawas Gesicht. „Sorry, we are fully booked.“ Wie er dies entschuldigend sagte, verbeugte er sich vor mir, als sei ich der Tenno, der Himmelssohn, persönlich. Diese Höflichkeitsgeste killte sogleich meinen Frust bezüglich der zu erwartenden Quälerei mit der Quartiersuche. Wir kamen ins Gespräch und meine Liebe zum japanischen Whisky brach das Eis – ja, unser lockerer Wortwechsel entwickelte sich zur Fachsimpelei. Er habe sie alle in seiner Bar, den Hibiki, den Hakushu, den Nikka, ja sogar einen alten Yamazaki. Mit ausgestrecktem Arm zeigte er auf die offene Tür, hinter welcher der Gastraum lag, und sagte in properem Englisch: „Ich liebe Speyside Whiskys, deshalb habe ich mich hier in Craigellachie niedergelassen und betreibe dieses bescheidene Gästehaus.“

Zwischen Whiskykartons und Reihen von Aktenordnern, inmitten eines ziemlichen Durcheinanders, saßen wir uns wenig später gegenüber: Mister Minagawa hinter seinem beladenen Schreibtisch und ich davor auf einem freigeräumten Besucherstuhl. Noch während wir uns unterhielten, rief er in den Nebenraum und ließ uns ein Getränk bringen. Nein, keinen Single Malt aus seiner Heimat, sondern einen japanischen Grüntee. Während wir uns über west-östliche Whisky Connections austauschten, erwähnte er voller Lob seinen Landsmann Masataka Taketsuru.

Masataka Taketsuru war im Jahr 1918 von seinen Eltern zum Studium nach Schottland geschickt worden. Als sich der junge Japaner an der Glasgow University einschrieb, war Whisky noch ein Fremdwort für ihn, den Teetrinker und Sohn eines Sake-Brauers. An der Universität wählte der junge Migrant die Fakultät für Chemie und begann zielstrebig mit dem Studium der Lebensmittelchemie, während er ein Zimmer im Glasgower Vorort Kirkintilloch bei der Familie Cowan bezog. Die Cowans hatten eine Tochter namens Jessie Roberta. Doch dieser Name war allen zu kompliziert, so rief man sie nur Rita. Der japanische Untermieter verliebte sich in Rita. Die Tochter des Landlords erwiderte diese Liebe und das Paar heiratete am 8. Januar 1920 in Glasgow.

Der Gründer von Nikka Whisky, Masataka Taketsuru und seine Frau, Rita. Bild Nikka Whisky/Asahi Brauerei

Mit den Semestern fand Masataka Gefallen an der Destillation und entdeckte schließlich im Whiskymachen seine Berufung. Konsequenterweise fand er gleich nach dem Examen bei der Longmorn Distillery in Elgin eine Anstellung. Drei Jahre später folgte ein Wechsel zu Hazelburn in Campbeltown und dann wanderte das junge Paar nach Kyoto aus. In der Kleindestille Kotobukiya wirkte der studierte Whiskypionier so erfolgreich, dass aus ihr der Gigant Suntory hervorging. Später erfüllte sich Masataka den langgehegten Wunsch einer eigenen Brennerei – er gründete Yoichi, aus der die Brennerei Nikka erwuchs. Um ihren Begründer, der 1979 in Tokio starb, zu würdigen, hat Nikka die Edition Nikka Taketsuru in mehreren Jahrgängen im Angebot. 

Tonfall, Stakkato und rege Handbewegungen verrieten, dass mein Gegenüber noch immer Anteil an den Anfängen nahm, noch immer faszinierten den Japaner in der Fremde, die Anfänge der japanischen Whiskykultur. Ich schwieg und lauschte seinem Redefluss und erkannte, dass Tatsuya Minagawa eigentlich seine eigene Lebenslinie skizzierte – asiatisch verschlüsselt zwischen den Zeilen. Als er geendet hatte, griff er zum Hörer eines Tastentelefons und wählte eine Nummer. Interessiert, aber schweigend ließ ich ihn gewähren, obwohl mir nicht klar war, was das plötzliche Telefonieren sollte. Nach einer Weile stand ich auf, umrundete den Stapel Whiskykartons und trat an die Stirnwand des Büros, wo viele gerahmte Urkunden hingen. Während ich seine Verdienste und Ehrungen studierte, vernahm ich seine Stimme im Rücken: leise, höflich, aber doch auch bestimmt. Langsam wurde mir klar, dass er für mich auf Quartiersuche gegangen war. Ohne viel Getue setzte er sich für einen Fremden ein, wirklich, das hatte ich schon lange nicht mehr erlebt, und ich schämte mich ein wenig für mein Gebaren beim ersten Hallo.

Trotz mehrerer Absagen blieb Minagawa am Ball und tatsächlich, beim zehnten oder elften Anruf winkte das Glück. Mit der Linken, mit der er so eifrig das Tastentelefon bedient hatte, fuhr er sich durch sein schwarzes Borstenhaar, lachte so herzhaft, dass sich seine Mandelaugen zu schwarzen Strichen verengten und warf mir über den Schreibtisch den Namen „Speyside Garden“ zu, dabei hob er den Daumen zu einem siegreichen Yes!

Ein Stein fiel mir vom Herzen, überraschend einfach, gar ohne eigenes Zutun, war ich meine größte Sorge los. Mit einem Ruck schob Tatsuya Minagawa seinen Schreibtischsessel zurück und stand rasch auf, plötzlich schien er es eilig zu haben. Prägnant skizzierte er mir noch den Weg zum Speyside Garten, dann verabschiedete er sich mit Handschlag, ohne Verbeugung, ohne ein herzliches „Arigato“. Aha, Mister Nippon hat doch westliche Manieren angenommen, sagte ich mir. Zuvorkommend bedankte ich mich mit einer knappen Verbeugung, eilte dann aber rasch aus dem Büro, um unverzüglich wieder aufs Rad zu kommen.

Auf dem bewaldeten Speyside Walk, immer dicht am Flussufer entlang, fuhr ich südwärts Richtung Aberlour. Das Glucksen und Murmeln der Spey entzückte mein rechtes Ohr, so nahe radelte ich am hüpfenden und drängenden Wasser entlang, während der Lärm der Autos zwar mein linkes Ohr nervte, ich den Verkehr aber zum Glück nicht sah, weil er hinter dem Böschungsgestrüpp dahinhastete, als schämte er sich, den Frieden der Auenlandschaft zu stören. Nach zwei Kilometern über Stock und Stein, über Wurzeln, Mulden und Wasserrinnen hinweg, gelangte ich an eine Straßenquerung. Dann unter einem Viadukt hindurch. Schon zwang mich dahinter eine Teerstraße so steil bergauf, dass ich abstieg und das Rad auf dem letzten Kilometer schob. Hinter einem starkriechenden Gehöft, wo angebundene Milchkühe unter einem Blechhangar muhten, erreichte ich das offene Tor meines Quartiers, einer ummauerten Wiese für Wohnmobile, Caravane und Campingzelte. Anscheinend aber auch für Leute wie mich, die zeltlos unterwegs waren. 

Zum Vorzugspreis von 120 Pfund vermietete mir Oliver Lyon für zwei Nächte ein lindgrünes Heim, das auf Stelzen in einer Platzecke stand und jederzeit weggefahren werden konnte. Der sehr amerikanisch wirkende Kasten war mit Anschlüssen für Gas und Wasser versehen. Nun gut, zum zweiten Mal war ich auf einem Campingplatz untergekommen, diesmal aber komfortabel hinter gehäkelten Gardinen und auf weichem Teppichflor, mit einer blumenverzierten Sitzgarnitur, einer Heißwasserdusche, WC und einem frisch bezogenen französischen Bett. Eine Küchentheke samt Spüle, Minikühlschrank und zweiflammigem Gasherd erlaubte mir, mich autark und nach vegetarischem Gusto zu ernähren. Auf engstem Raum war alles da, was ich seit vier Wochen vermisste, nur zum Einkaufen musste ich ins Tal.

Den goldwerten Tipp von Phillip, dem Gabelstaplerfahrer bei BenRiach, hatte ich natürlich nicht vergessen und bereits von unterwegs bei der Brennerei GlenAllachie[1] angerufen. Phillip’s Tipp war in sofern goldwert, weil er einem Sesam-öffne-dich gleichkam: er eröffnete einen direkten Kontakt zu seinem alten Boss. Und der war kein x-beliebiger Boss, sondern einer der besten Master Blender Schottlands. So hatte ich bereits aus Craigellachie bei der Destillerie angerufen und ein Treffen mit Seiner Celebrity, Billy Walker, vereinbaren können. Für einen Moment hatte mich die prompte Zusage aus der Spur geworfen, weil es mir bisher in keiner der besuchten Brennereien gelungen war, den federführenden Master Blender zu treffen. Ausflüchte über Ausflüchte hatte ich mir anhören müssen: zu beschäftigt, verreist, zu kurzfristig angefragt, na ja, die übliche Abwimmelei, für die obere Etagen bekannt sind.

Da ich mit Billy Walker am nächsten Tag um die Mittagszeit verabredet war, ließ mir der späte Termin genug Spielraum, um in aller Gelassenheit vom höher gelegenen Campingplatz ins Städtchen Aberlour hinabzuradeln. Im Schatten der weißen Gebäude der kleinen Aberlour[2] Destillerie querte ich die Hauptstraße, vorbei an Friedhof und Neubausiedlung, und fuhr auf einem Feldweg hinein in das Tal der Felsen: Glen Allachie. So heißt das Tal auf Gälisch und nicht von ungefähr wählte die Brennerei den Slogan „Not any old stone. Not any old whisky either“.

Vielfach im Internet publiziert, war ich über Billy Walkers größten Coup informiert. Nein, sein Meisterstück war nicht die Erschaffung eines perfekten Blends, der bei Sotheby’s einen exorbitanten Zuschlag erhalten hätte, nein, viel geldträchtiger: im Jahr 2016 verkauften er und seine beiden südafrikanischen Geschäftspartner BenRiach und zwei assoziierte kleine Brennereien[3] an den US-Konzern Brown Forman für umgerechnet 316 Millionen Euro.

Unter reinstem Blau und sonnengeküsst, radelte ich zwischen Feldern mit sprießender Gerste immer tiefer in das Tal der Felsen hinein und rief mir beim lockeren Treten ein letztes Mal die Fragen fürs Interview ins Gedächtnis – und dabei wurde ich ausgesprochen nervös.

Nun ja, seit Wochen waren die Menschenkontakte des Soloradlers eher spärlich und die Zunge hatte sich ans Verkosten und nicht ans Sprechen gewöhnt. Es herrschte also ein gewisser Mangel, der diese Aufregung provozierte. Immerhin würde der durchradelnde Whiskyliebhaber gleich einem Multimillionär und genialen Whiskymacher gegenüber sitzen.

Glenallachie. Bild: Uli Franz

Zugegeben, Aufregung war der eine, ein gewisses Unverständnis der andere Grund für die Aufregung. So fragte ich mich ernsthaft im Fahren: warum hatten die Amerikaner für drei renovierungsbedürftige Fabriken und – allerdings auch große und sehr wertvolle – Fasslager eine so astronomische Summe hingeblättert? Offenbarte sich inzwischen auch in der schottischen Whiskyindustrie der unersättliche Hunger des Shareholder-Kapitalismus? War inzwischen auch diese Branche der Lebensmittelindustrie zum Futternapf von Heuschrecken geworden? Bekanntlich sind global agierende Aktiengesellschaften zusehends in der Lage, astronomische Summen zu bieten, um eines Produkts und dessen eingeführten Markennamens habhaft zu werden. Und sollte sich die Investition, diese Art von schicksalsträchtigem Monopoly, als Flop erweisen, kann die teuer erworbene Pretiose nur Jahre später mit zigfachem Gewinn wieder veräußert werden – so wie es bei BenRiach, Glen Grant, Glenlivet und vielen anderen Destillerien vor nicht allzu langer Zeit geschehen war.

(Fortsetzung folgt)


[1] glen-alla-key

[2] ah-bur-lower

[3] GlenDronach (glen-dro-nack) und Glenglassaugh (glen-glass-ock)

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