Wenn man nach Skibbereen im malerischen West Cork kommt, denkt man eher an Geschichte als an Zukunft: Dort wurde während der großen Hungersnot um 1845, während der die unvorstellbare Zahl von einer Million Iren verhungerten, die erste Suppenküche Irlands gegründet, dort wurden 150.000 Tote in einem gigantischen Massengrab verscharrt.
Aber das, was uns auf Einladung des deutschen Importeurs Kirsch Whisky in diesen kleinen Ort mit ein paar Tausend Einwohnern zog, ist nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft. In Skibbereen steht, nach dem Umzug aus Union Hall im Jahr 2013, die Produktionsstätte von West Cork Distillers. Und diese Destillerie ist mit Sicherheit die schrägste und innovativste, die man in Irland finden kann.
Das liegt vor allem an dem letztgenannten der drei Gründer, Denis McCarthy, Ger McCarthy & John O’Connell. Er verdiente sein Geld als Lebensmittelchemiker bei Weltkonzernen wie Unilever, bevor er mit seinen Jugendfreunden Denis und Ger McCarthy, beide durch Überfischung der Region arbeitslos gewordene Fischer, West Cork Distillers gründete. John führte uns durch die Anlagen in Skibbereen.
John ist einer der Menschen, denen man ansieht, dass in ihm zu jeder Tages- und Nachtzeit unablässig Ideen brodeln. Wenn er spricht oder erklärt, hört man die Ketten an Assoziationen förmlich durch seinen Kopf rasseln. Und in der Tat hat John, neben seiner Leistung in seinem Berufsfeld, zwei absolut bemerkenswerte Dinge erfunden, die die Destillerie zu etwas Besonderem machen: Eine „Schalttafel“ für Flüssigkeiten und eine Pot Still namens „The Rocket“ (auch wenn er sie lieber bei ihrem technischen Namen, eine Kombination aus Buchstaben und Zahlen, nennt), die aussieht, als wäre sie einem Steampunk-Universum entsprungen. Dazu aber im zweiten Teil unseres Berichts.
Wir treffen uns mit John in einem schmucklosen Industriebau, in den die Destillerie, die ja erst 2013 nach Skibbereen zog, bis Jahresende 2017 übersiedeln wird. Nötig macht das der große Erfolg des Destillerieprojekts, das mittlerweile 45 Personen beschäftigt – und vielleicht auch der unstete Geist des Teams, das überall und immer am Umbauen und Erweitern ist. Ein Garagenprojekt de luxe!
Aber schon jetzt wird im Neubau gearbeitet. Hier stehen Apparate, die aus der Lebensmittelchemie kommen und die bei der Produktion kreativ eingesetzt werden, auch wenn man versichert, dass sie die Nase nicht ersetzen können. Es sieht hier eher aus wie im Labor eines Erfinders – es wird gemessen, verglichen, bestimmt. Alles dient der Qualitätssicherung, der Optimierung, der Innovation.
Auch eine Abfüllstrecke ist in dem neuen Gebäude untergebracht – die monetäre Versicherung des Unternehmens, wie John O’Connell meint, denn durch sie werden viele Arbeitsplätze geschaffen. Man füllt dort gerade, als wir dort sind, den hauseigenen Vodka ab, der sich in Irland mittlerweile Platz 2 in den Verkaufscharts erobert hat. Aber auch für Fremdprodukte arbeitet man dort.
Das Außengelände ist – wie eigentlich alles auf dem Gelände, work in progress. Der Zustand scheint allem, was die Destillerie betrifft, innezuwohnen – auch in der Location, an der momentan die Brennblasen stehen, ist alles so gebaut, dass man es jederzeit umbauen, bewegen, rearrangieren kann.
Wir werfen einen Blick auf das Tanklager, in dem laut Auskunft von John insgesamt fast eine halbe Million Liter lagern, zum Großteil Eigenproduktion. Auch hier ein Sammelsurium von altem, neuem und umgebautem Gerät. Manche der Tanks sind über 50 Jahre alt.
Dann geht es in eines der Fasslager. Es ist eng, dunkel, und unweigerlich fragt man sich, wie all diese Fässer in das Gebäude gekommen sind. Vor allem fragt man sich, wie sie aus den Lagerhäusern wieder herauskommen sollen, ohne dass diese abgerissen werden müssen. Knapp 30.000 Fässer sind in den Warehouses und warten darauf, früher oder später abgefüllt zu werden.
Anderswo auf dem Gelände lagert Whiskey kurzfristig viel profaner. Hier ein 24jähriger Irish Whiskey aus dem Portfass, der für eine Fremdmarke abgefüllt wird.
Was hier sonst noch auf dem Gelände zu finden ist, ist fast schon surreal. Da wäre zum Beispiel ein zersägter Mashtun aus Edelstahl. Halbiert und der Witterung überlassen, provoziert er das Erstaunen des Betrachters. John lächelt und meint, darauf angesprochen, dass es auch eine zweite Hälfte gäbe und der Mashtun aus beiden wieder funktionstüchtig gemacht werden würde, wenn es an der Zeit sei.
Und Staunen auch, als wir wieder ins Hauptgebäude zurückgehen. John stellt uns dort zwei Flaschen auf den Tisch, die von seiner Experimentierfreude künden und zeigen, wie sehr er Lust darauf hat, Konventionen zu brechen und Neuland zu betreten. Unweigerlich denken wir daran, was aus einer Begegnung zwischen John O’Connell und John Glaser von Compass Box an Irrwitz und genialen Resultaten zu erwarten wäre.
John erklärt und erzählt mit einer ansteckenden Begeisterung. Keine Frage bleibt unbeantwortet, nichts wird mit Marketingworten abgehandelt – hier spricht einer, der im wahrsten Sinne des Wortes brennt. Er stellt uns zwei Flaschen auf den Tisch – das Ergebnis eines Experiments; Gedankenspiele, die er einfach in die Tat umgesetzt hat:
John destillierte Grain Irish Whiskey aus Sherryfässern nochmals. Das Ergebnis aus diesem Prozess ist rechts auf dem Bild zu sehen: Wir verkosten diesen erneut gebrannten Whiskey mit 82%, vorsichtig, und finden in dem klaren New Make Spirit viel, viel Frucht und nichts mehr vom Sherry oder vom Holz.
Links befindet sich die Flasche mit dem Pot Ale aus diesem Experiment – die Flüssigkeit, die beim Pot Still-Verfahren nach der einleitenden Destillation in der Wash Still verbleibt, also die Überreste der Wash nach dem Entzug der Low Wines. John hat das Pot Ale wieder auf 40% gebracht, weil er wissen wollte, ob hier noch der durch die Sherryfasslagerung erzielte Geschmack enthalten ist. Klingt verrückt, ist es vielleicht auch ein wenig, schmeckt aber in der Tat höchst fruchtig und interessant.
Und wenn Sie glauben, Sie hätten das Verblüffendste schon gelesen, dann freuen Sie sich auf den zweiten Teil unserer Reportage. Dort wird es heiß, laut und wiederum wohlschmeckend. Den zweiten Teil finden Sie hier.
Im Sinne der Transparenz gegenüber unseren Lesern geben wir bekannt, dass wir die Reise zu West Cork Distillers auf Einladung und Rechnung von Kirsch Whisky, dem deutschen Importeur, unternommen haben. Kirsch Whisky hatte keinerlei Einfluss auf die Berichterstattung.