Whisky ist immer sehr stark mit den Menschen verbunden, die ihn erzeugen. Ihre Ideen, ihre Erfahrungen prägen seinen Stil ebenso wie es die Brennblasen tun.
Es sind aber nicht nur die im Rampenlicht stehenden Menschen, wie zum Beispiel die Master Blender oder die Distillery Manager – jeder der Mitarbeiter, vom Mash Man bis zum Verantwortlichen für die Lagerhäuser, trägt seinen Teil dazu bei, dass der Whisky einer Brennerei im Idealfall etwas Unverwechselbares wird – oder, wenn es sich um Mitarbeiter des Visitor Centers handelt, der Besuch dort.
Unser Gastautor Stefan Bügler, dem wir schon einen einfühlsamen Artikel über ein Fest bei der Lindores Abbey Distillery, über Glen Scotia (Teil 1 und Teil 2) und einen über Springbank (Teil 1 und Teil 2) verdanken, nimmt sich in seinem vierten Beitrag den Menschen hinter der Brennerei St. Kilian in Unterfranken an. Deutschlands größte Whiskybrennerei konnte schon mit mehreren Abfüllungen Whiskyfreunde überzeugen – und der Blick auf die Menschen, die diese Destillerie mit viel Freude und Einsatz am Laufen halten, zeigt sie als einen wichtigen Faktor dabei.
Den Artikel bringen wir für Sie in zwei Teilen (der zweite Teil erscheint am Sonntag) – und wünschen Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre:
Treffpunkt Bunker City – ein Besuch bei St. Kilian im Juli 2020 (Teil 1)
Bunker City ist ein eher ungewöhnlicher Treffpunkt für einen Destilleriebesuch. Ebenso das Verkehrsmittel du jour: eine Regionalbahn von Frankfurt über Aschaffenburg nach Kleinheubach am Main.
Von der Zugführerin beim Aussteigen persönlich verabschiedet, nehme ich die rund drei Kilometer Fußweg in Angriff. Vorbei an Häusern und Vorgärten, die natürlich alle so deutsch und so wenig schottisch aussehen. Das ändert sich auf dem Waldweg: die Hügel und Wälder verbreiten einen Hauch von Speyside zusammen mit der Brennerei, die zwischen den Bäumen auftaucht: Welcome to St. Kilian in der „Mainside“.
An der Tür begrüßt mich Mario Rudolf, der Master Distiller von St. Kilian, mit den Worten: „Wir fangen heute am Schluss an.“ So springen wir gleich ins Auto und fahren zum ehemaligen Munitionslager Hainhaus mit 120 Bunkern und bestem Blick auf den Odenwald. Da die Lagerkapazitäten in der Brennerei erschöpft sind, hat St. Kilian hier einige Bunker für die Fasslagerung angemietet. „Diese Location ist echt abgefahren. Ich hätte nicht gedacht, dass ich hier mal Whisky reifen lasse. Wir haben uns bewusst für bewaldete Bunker entschieden, denn Natur und Gebäude ergänzen sich bestens und schaffen ein Mikroklima für perfekte Lagerbedingungen“, sagt Mario.
Meet Mario Rudolf, Master Distiller
Bei St. Kilian seit: März 2015
Lieblingsplatz: Die St. Kilian Produktion, aber Bunker City ist einfach abgefahren
Lieblingsabfüllung: St. Kilian Signature Edition FOUR – Sherry und Peat sind eine geile Kombination und in Deutschland so produziert bisher einmalig – zwischenzeitlich gab es für den FOUR einige Goldmedaillien.
Bunker City ist mysteriös und gleichzeitig mystisch. Der Eindruck verstärkt sich als wir in den Wald hinein fahren und plötzlich anhalten. Eine Distel wächst vor diesem Bunker, ein subtiler Hinweis, dass hier das flüssige Gold von St. Kilian lagert?
Eine Art „Fort Knox-Gefühl“ keimt in mir auf und verstärkt sich als sich die Tür öffnet und Licht ins Innere flutet. In diesem Umfeld wirken die Fässer wie ein Geschenk aus einer längst vergangenen Zeit. Letzendlich sind sie Zeitgeschichte, die in flüssiger Form in Eiche lagert.
Im Fall von St. Kilian wird diese Geschichte seit der Produktionsaufnahme am St. Patrick’s Day 2016 geschrieben.
Diese ist bei rund 206 lagernden Fassarten – z. B. Bourbonfässer mit unterschiedlicher Destillerieherkunft und Erst- oder Zweitbelegung werden jeweils als eine Fassart gezählt – mannigfaltig. Um zwei besondere Fässer zu verkosten, hat Mario neben Inhaber Andi Thümmler auch sein Vertriebsteam geladen, welches sofort mit der Taschenlampe nach den ausgewählten Fässern sucht.
Zunächst testen wir ein 190 Liter American Oak Ex(-Melasse)-Rumfass aus Puerto Rico, das mit der milden (ungetorften) Rezeptur belegt ist. Nach rund zwei Jahren im Bunker hat das Fass den Rohbrand schon fast vollständig umgewandelt und besticht mit einer samtig, fruchtigen und dezent eingebundenen Rumnote. Andi und Mario steht die Freude darüber im Gesicht und das völlig zu Recht. Wenn der erstmal älter ist …!
Die zweite Probe kommt aus einem schon recht stark ausgekohlten und damit aktivierten Virgin Oak American Standard Barrel (190l) mit Char Level 3. Es wurde zunächst für ein halbes Jahr mit Bachus/Scheurebe Süßwein aus Deutschland belegt und danach vor rund zwei Jahren mit St. Kilian’s ungetorftem Rohbrand. Kracherpotenzial! Spontan fühle ich mich an Rivessaltes Abfüllungen von Bruichladdich erinnert. Ich bin sehr gespannt, wie sie sich die verkosteten Fässer entwickeln werden.
Mit dem Spirit der erfolgreichen Verkostung bläst St. Kilian-Gründer, Inhaber und Whiskyenthusiast Andi Thümmler zum Aufbruch und Mittagessen in der Fachwerkstadt Miltenberg. Schnell wird seine tiefe Verwurzelung mit diesem Teil Unterfrankens deutlich – es ist seine Heimat. Er fühlt eine große Symbiose zwischen Brennerei und Umland und tut sehr viel für lokale Geschäfts- und Nachbarschaftsbeziehungen. In Schottland heisst es: stirbt die Destillerie, dann stirbt das Dorf. In Rüdenau, einem Dorf mit 760 Einwohnern, starb die Textilfabrik. Durch Zufälle und Geschichten, die nur der Whisky schreibt, trat St. Kilian an diese Stelle.
Die finale Entscheidung zum Kauf der leerstehenden Gebäude und dem Bau der Brennerei fiel im Jahr 2011 innerhalb von Stunden bei Sonnenaufgang eines Novembertages am Lagerfeuer in Rüdenau – nach einem Whiskytasting. Beteiligt waren Andi (zu dieser Zeit hauptberuflich Investmentbanker) und sein Whiskyfreund David Hynes, dem langjährigen Master Distiller und Geschäftsführer von Cooley’s in Irland. Die Entscheidung war durchaus kostspielig: rund 15 Millionen Euro beträgt das Investment bisher für über vier Jahre Planungs- und Bauzeit sowie vier Jahre Whiskyproduktion.
Meet Andi Thümmler, Gründer und Inhaber
Hatte die St. Kilian Idee: November 2011 zur Morgenröte am Lagerfeuer mit David Hynes
Lieblingsplatz: St. Kilian World Whisky Lounge – alle Wege führen hier nach Rüdenau
Lieblingsabfüllung: St. Kilian Signature Edition ONE – was soll ich da noch sagen? Unser Erstgeborener Small Batch Whisky mit großem Aromenspektrum.
Würde er heute einen Businessplan finanzieren, der die Eckpunkte von St. Kilian enthält? Das „Ja“ kommt ehrlich und ohne Zögern. „Wobei St. Kilian für mich mit allen Facetten eine „once in a lifetime opportunity“ ist und bleibt. Es ist ein hartes Stück Arbeit und natürlich haben wir einen Geschäftsplan, klare Ziele und einen Qualitätsanspruch, denen sich jeder im Unternehmen verpflichtet fühlt. Alle sind mit Herzblut dabei.
Aber das ist ohnehin die Voraussetzung um erfolgreich zu sein. Wir konnten 2019 rund 10 000 Besucher begrüßen und wollen diese Zahl in den nächsten Jahren vervielfachen. Wir haben einerseits viel Geld in die Produktionstechnik und die Fässer investiert, andererseits zieht dies die Notwendigkeit von umfangreicher Unternehmenskommunikation nach sich.
In Deutschland ist eine solche Whisky-Brennerei nach schottischem Vorbild einzigartig. Wir liegen zwar idyllisch im Odenwald, aber trotzdem nah an der Frankfurter Metropolregion, die ein großes Besucherpotenzial bietet. Unseren Gästen möchten wir bei St. Kilian ein unvergessliches und möglichst tiefes Whiskyerlebnis bieten. Also war es mir wichtig, dass wir einen Rahmen schaffen, in dem sich jeder Besucher bei uns maximal wohlfühlt, egal ob es sich um zufällige Gäste, Whiskynovizen, Enthusiasten und/ oder Fassbesitzer, Eventgäste oder Tagungsbesucher handelt. An alles ist gedacht und unter einem Dach sehr großzügig und angenehm gestaltet. Von bequemen Sitzmöbeln, einem Kicker und nicht zuletzt einer sehr gut bestückten Whiskylounge und einem Shop, der keinen Wunsch offen lässt“, fasst Andi seine Vision von St. Kilian zusammen, „die am Ortseingang von Rüdenau real existiert und gelebt wird.“
Frei nach „Local Hero“ erscheint mir Andi als die lebendige Kombination der beiden wichtigsten Protagonisten dieses Kultfilms: zum einen vom geschäftstüchtigen Einkäufer MacIntyre – der in Schottland seine Wurzeln und sein Herz entdeckt – und zum anderen von seinem Boss Mr. Happer, der seinem Herzen folgt und seine Vision konsequent umsetzt.
Wird am Sonntag fortgesetzt mit Teil 2