Manchmal hat man das Glück, besonderen Momenten persönlich beizuwohnen. So geschehen vor einigen Wochen, als die Herausgeberin und der Chefredakteur von Whiskyexperts zu Besuch bei Bar-Genie Reinhard Pohorec in der Tür 7 waren und unter anderem einen White Russian als Opener für den Abend bestellten. Und es wäre nicht World Class Finalist und Gastautor Reinhard Pohorec gewesen, wenn er nicht in einem Anflug von spontaner Kreativität… – aber das soll er hier in seinen eigenen Worten erzählen. Die Geschichte eines neuen Cocktails, den wir uns bei Whiskyexperts zu unserem hauseigenen Signature Cocktail erkoren haben und das Rezept zum Nachmixen – viel Vergnügen!
White Russian, White Scotsman
Ob White, ob Black, Russe oder Schotte – wir leben in einer kosmopolitischen Welt, deren Grenzen einerseits immer mehr zu verwaschen scheinen, die sich öffnet, andererseits jeden Tag neu vor strapaziöse Zerreißproben gestellt wird.
Kulinarik, Genuss, Speise und Getränk haben sich in der Geschichte der Menschheit stets als Brückenbauer und verbindende Elemente bewährt; in schlimmen Zeiten bleiben zumindest noch heimelige, trostspendende, benebelnde oder betäubende Wirkung von Soul Food und Drink.
Seit den frühen Jahren der Barkultur stand Völkerverbindendes Trinken an der Tagesordnung – nun, truth be told, generell war der Konsum alkoholischer Getränke dazumal etwas ausschweifender und in jeder Form freizügiger als in der modernen, selbstbeherrschten Gesellschaft – glutenfrei, Lactose unverträglich und auch sonst spaßbefreit, möchte man meinen, wo nur der Three Martini Lunch hingekommen sei?
Was gibt es Schöneres als wenn am Tresen Vorurteile ausgeräumt, Freundschaften geschlossen und Bruderschaften getrunken werden, wenn alle gleich sind, ungeachtet jedweder Herkunft, Hautfarbe und Gesinnung?
Eiskalter Krieg
Dass das Verhältnis der Vereinigten Staaten, Wiege der Barkultur und immer noch Epizentrum Bar-affiner Eruptionen, zu Russland im 20. Jahrhundert mindestens so unterkühlt und trocken wie ein crisper Martini Cocktail war, ist hinlänglich bekannt. Selbst Vodka war lange ein in den Staaten wenig bekanntes Novum aus dem Land von Rasputina und Blinys. Die goldene Bar Ära basierte auf Gin und dunklen Spirituosen, verstärkten Weinen und Likören. Im Laufe des 20. Jahrhunderts schlich sich das Wässerchen aus dem Osten nach und nach ungeniert in die Gläser der Barfliegen, dies dann aber mit kolossaler Auswirkung und bis heute andauernder Nachhaltigkeit.
Um 1930 las man erstmalig zaghaft von Vodka Drinks – die Anzahl ist überschaubar, passend jedoch, dass man den bekanntesten Vertreter schlicht und einfach „Russian“ nannte. Die geschmacksverwirrte Kombination gleicher Teile Gin, Vodka und Creme de Cacao hätte vermutlich den überzeugtesten Pazifisten in den kalten Krieg getrieben. Der Digestif „Barbara“, später etwas maskuliner als „Russian Bear“ bezeichnet, spielte mit Kakaolikör, dem neutralen Getreidebrand und Obers. Klassisches Rebranding würde man wohl im Neudeutschen Sprech sagen.
Das Bild des Russen
Auch der Russian erfuhr eine Überarbeitung und irgendwo entlang des historischen Cocktail Zeitstrahls wurde Creme de Cacao durch den hippen Kaffeelikör Kahlua ersetzt, Gin fiel überhaupt dezent unter den Tisch.
Die 1961’er Auflage des Diners’ Club Drink Book schreibt dann schließlich von einer „Black“ Variante des Drinks ohne Schlagobers, womit wohl auch eine weiße Abwandlung inklusive Kuh Fond anzunehmen wäre. Heute kennt man Black und White Russian rund um den Globus, ob mit Lebowski’s Milch, als Wake Up Call oder Nightcap, süße Verführung oder schwarzer Untergang.
Das Getränk weiß seine alkoholischen Muskeln hinter Herbe, zartschmelzender Süße und molligen Kaffeerundungen zu verstecken.
Bleibt noch die Frage: warum wühlen wir uns so ausschweifend durch die Annalen eines Drinks, der mit Whisky in etwa so viel zu tun hat wie ein Kamel mit irischer Folk Musik?
Richtig: alles (Anregungen und Gegenbeweisversuche bitte an reinhard@spirits-journey.com) schmeckt besser mit Whisky, auch ein Vodka Cocktail. Und wenn ein lieber, whiskyaffiner Freund am Tresen sitzt und einen White Russian bestellt, kommt dem findigen Bartender schon einmal die Hand sowie ein Grinser aus, sodass final rauchiger Islay Malt, hausgemachter Kaffee Likör und ein dezentes Obers Häubchen im Glas miteinander zu Höchstform auflaufen dürfen. Eine spontane Idee, eine noch spontanere Neuinterpretation, ein epochales Geschmackserlebnis.
Wie man das Getränk dann nennen möge, sei der Kreativität des geneigten Lesers überlassen, wir sparen uns an dieser Stelle die Schenkelklopfer oder ach so überwältigenden namentlichen Geniestreiche à la White Scotsman…
Zur Not heißt er einfach „Scoffee“ – denken Sie darüber nach, aber jedenfalls mixen Sie die Idee zu Hause selbst und probieren den wunderbaren Trunk, ohne Kreml und White House, aber mit viel völkerverbindendem Verständnis.
Mit den besten Spirits,
Reinhard Pohorec
„Scoffee“
- 50ml Islay Single Malt Scotch Whisky (z.B. Laphroaig 10yo)
- 30ml selbstgemachter Kaffeelikör oder ein hochwertiges Produkt wie Patron XO Café auf großen Eiswürfeln miteinander vermengen und eiskalt rühren, in eine gefrostete Cocktailschale abseihen
- über den Rücken eines kleinen Barlöffels vorsichtig leicht angeschlagenes Obers laufen lassen, sodass dieses auf der Drink Oberfläche aufschwimmt
- nach Belieben mit den ätherischen Ölen einer Orangenzeste parfümieren und garnieren
(Alle Bilder: Reinhard Pohorec)