Freitag, 22. November 2024, 03:04:54

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 41)

Über 1500 Kilometer zu siebzehn schottischen Brennereien - ein ausführliches Gespräch mit Billy Walker

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Wir freuen uns, Ihnen jeden Sonntag ein Stück einer wunderbaren Geschichte über Schottland, Whisky und das Reisen vorstellen zu dürfen: Exklusiv auf Whiskyexerts präsentieren wir Ihnen Whisky Cycle, das neueste Buch von Uli Franz, als Fortsetzungsgeschichte.

Uli Franz lebt als Schriftsteller im Chiemgau und auf der dalmatinischen Insel Brac’. Von 1977-80 arbeitete er als Zeitungskorrespondent in Peking. Über China und Tibet veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen Radgeschichten und „Die Asche meines Vaters“ (Rowohlt Verlag).

Das Buch Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland (ca. 320 Seiten) ist momentan in der ersten Auflage vergriffen – über Neuigkeiten zu Bestellmöglichkeiten werden wir Sie natürlich rechtzeitig informieren.

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Die Radtour zu 17 schottischen Destillerien. Karte von Alba Collection

-hier geht es zur Folge 40-

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 41)

Im hellen Büro von GlenAllachie traf ich vor Billy Walker ein, der nach Auskunft seiner Mitarbeiter noch zwischen Oloroso- und Ex-Bourbonfässern seiner Lieblingsbeschäftigung nachging und über dem „wood management“ mal wieder die Zeit vergessen hatte. Kein Problem! Auch wenn die Pünktlichkeit als die Höflichkeit der Könige gilt, ich konnte warten. Man servierte mir eine Tasse Schwarztee mit Milch und Zucker und ich durfte mit seinem Partner Graham Stevenson plaudern. Auf einer Sofagarnitur saßen wir nebeneinander und schauten durch ein Panoramafenster in den strahlenden Sonnenschein hinaus, als die Bürotür aufschwang und Billy Walker strammen Schritts in den Raum geeilt kam.

Der Mann aus Glasgow wirkte jünger als siebzig und weitaus jünger als auf den zahlreichen Internet-Photos, was mich erstaunte, weil dies nicht dem Sinn und Zweck von Photoshop entsprach. Der echte Billy Walker, der nun im Sonnenlicht vor uns stand, war ein schlanker sportlicher Gentleman. Seine Erscheinung ließ nicht die geringste Spur eines reichen Privatiers erahnen. Dabei hätte er sich leicht aufs Altenteil zurückziehen und am Kamin seiner Glasgower Villa nur noch die besten Whiskys der Welt genießen können. Aber der Schotte, der soeben durch die Tür getreten war, wollte auch im Alter noch was bewegen. Für ihn waren die Geschäfte und das Whiskymachen nie in Konkurrenz zueinander gestanden. Schon bald nach dem Verkauf von BenRiach hatte er die Brennerei GlenAllachie von Chivas Brothers Ltd. erworben. Es klang wie eine Erkenntnis, in der auch Vabanque mitschwang, als Billy Walker sagte: „Das Leben ist wie der Kauf eines Tickets für den nächsten Zug. Du weißt allerdings nicht, ob da ein Bummelzug oder ein Express angefahren kommt.“

Diese schicksalshafte Metapher schien nicht von seinen Lippen zu fließen, sondern aus seinen Augen zu sprechen. Eifrig, gar ruhelos, bewegten sie sich, während das feine Gesicht mit den schmalen Lippen und der hohen Nase in Ruhe verharrte. In seinem Gebaren wirkte der gelernte Chemiker wie ein Arzt, der zwar seinen weißen Kittel, nicht aber seinen Habitus abgelegt hatte. Er trug an diesem Tag sein Markenzeichen: ein längsgestreiftes Hemd mit einem unifarbenen weißen Kragen und darüber leger eine whiskybraune Jacke aus weichem, edlen Rindsleder. Während des ganzen Gesprächs wirkte er gelassen, leicht reserviert mit einem Hauch aristokratischer Distanz, was ungezwungenes Fragen erschwerte.

Billy Walker auf dem Gelände von GlenAllachie. Bild © Whiskyexperts

Trotzdem erlaubte ich mir, ihm gleich zu Beginn die Frage zu stellen: „Mister Walker, Sie sind schon sehr lange in der Branche, nun sind Sie nicht nur ein Master Blender mit großen Erfahrungen, sondern auch ein Visionär. Welche Entwicklungen sehen Sie für die Zukunft?“

„Ich bin der Meinung, dass nur solides Handwerk Zukunft hat und dass bestimmte Moden keinen Bestand haben werden.“

„Zum Beispiel?“

„Nun, zum Beispiel die No-age-Fashion oder das schrille Marketing für Whiskys als Mixgetränk oder Cocktail Basic.“

„Ja, schrill ist genau das richtige Wort, jetzt wird schon eine ‚Games of Thrones‘ Edition und eine limitierte zu Halloween auf den Markt geworfen“, erlaubte ich mir einzuwerfen und fragte dann weiter: „Mister Walker, sehen Sie die Gefahr einer Überproduktion?“

„Im Moment sieht es nicht so aus, dass es zu Überproduktionen kommen könnte, aber vielleicht in der Zukunft. Aber letztendlich entscheidet die Qualität. Bei GlenAllachie achten wir auf non chill filtered und natural color, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass heute und in Zukunft die Konsumenten bewußter auf Qualität achten. Was mir gar nicht gefällt und was ich scharf kritisiere, ist die Entwicklung, dass Marketing so viel an Bedeutung gewinnt. Und dass bei diesem Trend nur noch die großen Konzerne mit ihren riesigen Werbeetats mithalten können. Werbung ist bei dem gewaltigen Angebot an Whisky wichtig, sollte aber nicht höher bewertet werden als das Produkt selbst. Wenn Sie mich nach der Zukunft fragen, dann geht es mir vor allem darum, dass ich der nächsten Generation ein qualitativ hochwertiges Produkt übergeben kann.“

„Darf ich Sie fragen, woran Sie gerade arbeiten?“

„Ich experimentiere mit Minnesota Eiche, von der ich am liebsten frische und unbenutzte Fässer verwende. Zwei- bis dreimal die Woche komme ich von Glasgow herauf, um die Reifung in diesen Fässern zu kontrollieren.“

Mitten im Interview wurde mir klar, dass Billy Walker gewieft und erfahren mit Journalistenfragen war. Vermutlich hatten ihn seine Erfahrungen gelehrt, sich verhalten zu äußern und lieber ein Statement abzugeben, als in einen Dialog einzusteigen.

Unerwartet stand er vom Sofa auf und trat an einen Wandtisch heran, auf dem Verkostungsgläser in einer Reihe vor drei halbgefüllten, etikettlosen Flaschen mit Schraubverschluss standen. Wortlos schenkte er für mich und sich je ein Dram aus den drei Flaschen ein und lud mit ausladender Geste zur Verkostung ein. „Diese drei Malts werden wir im nächsten Monat auf den Markt bringen, sie verkörpern den Beginn einer neuen Ära, der Billy Walker Ära.“ Mit dem Zeigefinger tippte er auf die rechte, aufgeschraubte Testflasche und sagte: „Dieser hier ist ein Zwölfjähriger mit 46 % vol., der in der Mitte hat die Fassstärke von 57 % vol. und links ist ein Fünfundzwanzigjähriger mit 48 % vol.“

Aus Anstand zögerte ich mit dem Trinken. Erst als er nach einem Glas griff, tat ich es ihm gleich. Kurz sahen wir uns in die Augen, prosteten uns zu und luden uns einen bescheidenen Schluck vom Zwölfjährigen auf die Zunge. Wie wir uns zutranken, konnte ich beobachten, wie sich seine Wangenhaut rasch von wachsbleich in zart rosa verfärbte. Mit dem Einsickern des Alkohols ins Blut sprang sein Kreislauf an und ein Strahlen erhellte sein feines Gesicht. Mir erging es nicht anders, gleich wurde mir warm, und auch mein Blut geriet durch den Schluck in Wallung.

Nun stellte sich eine kniffelige Situation ein. Der Meister schaute genau hin, wie ich auf die drei Kompositionen seines Holzmanagements reagierte – mit Ablehnung oder mit Zuspruch. Ich gab mir Mühe, unter seinem kritischen Blick nicht zu laienhaft dazustehen. Während ich das Nosing Glas mit dem Zwölfjährigen an die Lippen führte, sagte ich zu mir: langsam Junge, trink langsam und ganz überlegt!

Im Glas zeigte der Malt die Farbe von Herbstlaub. Beim Kreiseln in der Handmuschel hielt sich seine Öligkeit in Grenzen. In der Nase kam ein Bitzeln wie von sprudelnder Limonade an, dann folgten Gewürze, Rosinen und Grapefruit, unterlegt mit Vanille. Am Gaumen begegnete mir dunkle Schokolade, Ananas und Aromen, wie man sie in sehr fruchtiger Marmelade findet. Allerdings war der Abgang plump und das Brennen des Alkohols war stärker als seine Wärme und ärgerte die feine Haut der Speiseröhre in voller Länge. Nach dem letzten Schluck hatte ich den Eindruck eines Brandys, was seine trockene Süße anging. Am Ende unserer Verkostung verriet ich Billy Walker mein Stützradschema nicht, auch nicht mein Urteil über seinen Zögling – zwei Stützräder.

Gerade als es gemütlich werden sollte, schreckte mich seine Aussage auf: „Ich muss zur Bank, die Geschäfte warten. Tut mir sehr leid, dass ich Ihre Meinung über meine drei Malts nicht noch mitbekommen kann. Ich lasse Sie jetzt allein, bitte bedienen Sie sich, und später besuchen Sie unser Fasslager, dort hilft Ihnen Lindsay weiter. Lindsay wird Sie auf dem Hof in Empfang nehmen. Alles Gute, Ihr Deutschen macht ja auch ganz passablen Whisky! Warum auch nicht!“

Wir verabschiedeten uns mit Händedruck und ich blieb alleine im Raum zurück, nur in Gesellschaft der neuen Edition. Ohne den kritischen Blick des Erzeugers, ganz auf mich gestellt, verkostete ich als nächstes den Cask Strength mit 57 % vol.

Im Glas zeigte sich dieser GlenAllachie kupfern und nach der Zähigkeit der rinnenden Schlieren und Tränen zu urteilen, war er gewiss zehn Jahre gereift. Beim ersten Schnuppern roch ich kurz, wirklich nur kurz, die Bitterkeit der Phenole, auch einen Anflug von Terpentin. Aber einlenkend schob sich unmittelbar – und das auch noch mit Ellenbogenkraft – trockene Süße nach vorne. Unter dem Nasendach vereinten sich Vanille, Keks und wieder Rosinen und Feigen zu einer runden Angelegenheit, aus der allerdings noch ein Zipfel Leder hervorlugte. Am Gaumen waren Schokolade und wieder exotische Früchte präsent – all das war wirklich elegant und typisch für einen Speyside. Aber halbe Sachen zählen nicht, und ohne Abgang ist jedes Dram nur eine halbe Sache! Wieder ein Kratzen, gar boshaftes Brennen! Ja, es kam mir vor, als malträtierte der Hochprozentige den Schlund mit winzigen Messerstichen. Aus diesem feurigen Grund beurteilte ich ihn lediglich mit zwei Stützrädern.

Gespannt war ich auf die Krönung, den Alten: 25 Jahre gereift, 48 % vol. Alkohol. Ehrlich gesagt, mit gemischten Gefühlen sah ich auf das schwach eingeschenkte Nosing Glas, denn das erste Mal in meinem Leben stand ich vor solch einer Antiquität. Niemals zuvor hatte ich das Vergnügen gehabt, solch einen langgereiften Whisky zu trinken, weder auf der schottischen Reise noch davor. Solch ein alter Whisky war mir einfach zu teuer. Egal welche Marke, unter 200 Euro ist da nichts zu machen. Dieser GlenAllachie würde als limitierte Edition für 250 Euro auf den europäischen Markt kommen, das sollte ich nach meiner Rückkehr erfahren. Voller Erwartungen, auch ein wenig ehrfürchtig, griff ich zur dritten Kreation, die mir sein Schöpfer hingestellt hatte.

Wie von glänzender Kastanienhaut überzogen, stand er im Glas und beim Verwirbeln rannen Tränen kristallklar dem Glasboden zu. Allein schon das warme Kastanienbraun, wohlgemerkt natürlich und nicht manipuliert, bewies sein hohes Alter. Es waren die Tannine in der Eiche, die nach so vielen Jahren die Farbe ins Glas brachten und sich natürlich auch geschmacklich im Alkohol festsetzten. Selbst wenn dieser Malt die allermeisten Jahre in feinporiger Weißeiche gereift war, hatten die Gerbstoffe die Oberhand über die Klarheit des reinen Alkohols gewonnen. Was bei einer gealterten Haut die Falten sind, waren hier die dunklen Brauntöne von Kastanie bis Leder.

Im ersten Anflug stieg Terpentin in die Nase, auch ein Hauch von geräuchertem Schinken, doch schon drängten mit Macht Kirsche und Malz und viel Leder hinterher. Am Gaumen tüchtig dunkle Schokolade, Holz, Gewürze sowie Mandarine und Grapefruit. Im Nachhall war ein grobes Holzscheit nachgelegt, welches sich unter dem Malz verborgen hatte. Das war nicht weiter tragisch, denn der Alkohol des new make hatte über die vielen Jahre seine Wildheit verloren. Er war inzwischen gezähmt, was ich in einem wärmenden Streicheln am Magengrund spürte. Eine wunderbare Komposition – wenn da nicht die Faust einer starken Holznote gewesen wäre. Ohne Einschränkung hätte er sofort vier Stützräder verdient, aber aus besagtem Grund gab ich ihm drei.

Es gibt kein Vertun: viele Fassjahre lassen den Alkohol immer cremiger und weicher  werden, aber das Prinzip der Reife funktioniert wie bei einer Balkenwaage: neigt sich die eine Schale, steigt die andere in die Höhe. So kann es passieren, dass bei einem langgereiften Malt die Wärme und Cremigkeit des gezähmten Alkohols von einer starken Holznote bedrängt wird. Genau das ist der wunde Punkt bei allen alten Whiskys. Es ist ein ehernes Gesetz, dass mit jedem Jahr die Eiche ihre Handschrift tiefer eingraviert. Dieses Gesetz hat zur Folge, dass der Brand sein Brennen verliert und immer milder wird, dass aber gleichzeitig ein trockenes und leicht adstringierendes Mundgefühl entsteht. Wer einen alten Whisky wählt, muss nicht per se die beste Wahl getroffen haben. Für die Balance zwischen samtig und holzig kommt es eben auf ein gekonntes Holzmanagement an. 

Billy Walker war längst mit seinem Wagen vom Hof gefahren und ich hatte inzwischen drei Drams verkostet und bewertet. Nun war es an der Zeit, das verwaiste Büro zu verlassen. Als ich kurz nach meinem treuen Gefährt schaute, erspähte ich auf dem Hof nahe dem Löschwasserteich einen Arbeiter in grüner Neonweste, der winkend und schnellen Schritts auf mich zugeeilt kam. Das musste Lindsay, der Lagerverwalter, sein. Als wir uns die Hände schüttelten, kam mir das lustige Gesicht mit der Wuschelfrisur irgendwie bekannt vor, obwohl ich hätte schwören können, dass wir uns noch nie begegnet waren.

Lindsay Cormie im Fasslager von Glenallachie. Bild: Uli Franz

Während wir über den Hof zu den Lagerhallen liefen, schüttelte mir Lindsay nochmals die Hand und stellte sich vor, indem er sogleich wie ein Wasserfall loslegte. Wie er zu mir sprach, musste ich immer wieder sein Profil betrachten, ein markantes Profil, das mit der hohen Nase und dem unrasierten Kinn kantig und resolut wirkte. Mehrmals fragte ich mich: woher kennst du dieses auffällige Gesicht?

Plötzlich fiel es mir ein! Ja, von einem Foto kannte ich Lindsay, richtig von einem BenRiach-Prospekt. Auf dem Flyer war Lindsay zusammen mit den alten Kollegen Phillip und Calm abgebildet! Jetzt erinnerte ich mich auch wieder an die Worte von Gabelstaplerfahrer Phillip: „Calm und ich sorgen hier noch so gut wir können für den Fortbestand der Walker-Ära. Kollege Lindsay ist mit unserem alten Chef mitgegangen, der hat ihn quasi abgeworben.“

Neben diesem Ex-BenRiach Arbeiter spazierte ich nun Seite an Seite zur Goldgrube seines alten und neuen Chefs. Kaum, dass Lindsay das Hallentor aufgeschlossen und aufgeschoben hatte, schlug mich das Fasslager von GlenAllachie optisch und olfaktorisch in seinen Bann. Wieder roch die Luft mostig und schwer nach alkoholischen Verdunstungen, von denen bekanntlich ein schwarzer Pilz und ganze Engelscharen leben. Wieder lagerten Tausende graubraune Eichenfässer in einer fensterlosen Halle, und die Werte, welche sich hier in Grabesruhe stapelten, ließen mich mal wieder staunen. Die Lagerhalle war hoch und modern, so dass mir das Atmen leichter fiel als bei BenRiach und in früheren Brennereien. Allein mit Lindsay betrat ich das Fasslager und war froh, dass ich ihm ohne Gruppenzwang allerlei Fragen stellen konnte.

(Fortsetzung folgt)

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