Wenn man von Tokio nördlich Richtung Sendai fährt und zunächst den urbanen Großraum und danach das ihn umgebende landwirtschaftliche Gebiet verlässt, kommt man nach Utsonomiya in ein größeres hügeliges Waldgebiet, das nach all der Hektik der Metropole fast schon unnatürlich beschaulich wirkt. Und wäre da nicht mitten im Wald ein Schild auf einem überdimensionierten Fassdeckel mit der Aufschrift Nikka Whisky – Tochigi Plant, so wäre unsere kleine europäische Journalistengruppe, die sich anlässlich des 40. Geburtstages von Nikka From The Barrel auf Einladung von Nikka in Japan versammelt hatte, nie auf die Idee gekommen, hinter den Bäumen dort ein großes Areal mit Lagerhäusern und einer Böttcherei zu vermuten.

In der Tat verbirgt dort üppige Natur jene Anlage, in der Nikka Whisky die Hälfte der Produktion aus allen Destillerien lagert und blendet. 13 gigantische Lagerhäuser und eine Böttcherei findet man dort nach einigen Minuten Anfahrt an einem künstlichen See und viel Grün vorbei – etwas, was ausländischen Besuchern bislang nicht zugänglich war.

Angekommen, fiel unser Blick sofort auf ein gigantisches Lagerhaus, das das neueste in der ständig wachsenden Anlage ist. 25 Stockwerke hoch werden darin die Fässer gelagert, übrigens alle so wie in jedem Lagerhaus auf Stahlgestellen und liegend – palettierte Lagerung, wie seit einiger Zeit aus Effizienzgründen in vielen schottischen Destillerien angewendet, wird hier nicht praktiziert.

Die Anlage selbst ist auf dem folgenden Modell abgebildet. Weiße Gebäude sind noch in Planung oder im Bau, wobei das große Lagerhaus bereits nach der Erstellung des Modells vollendet wurde.

Unser erster Anlaufpunkt war das Verwaltungsgebäude, in dem wir mit der nötigen Schutzausrüstung ausgestattet wurden. Wir erhielten Helme und einen Halter für Wasserflaschen – es war an diesem Tag drückend heiß – sowie Atemschutzmasken, deren Sinn wir recht rasch verstanden, als wir das erste Lagerhaus besuchten. Dazu gab es auch Schuhschoner in Blau.

Warum gibt es Tochigi überhaupt? Vieles von dem, was Nikka in Japan verkauft, sind Blends, und die Komponenten dazu werden in verschiedenen Destillerien erzeugt. Das Blending dezentral durchzuführen wäre ein logistischer Albtraum, also bringt man den Whisky zum Reifen und Lagern in eine zentrale Anlage (selbes gilt auch für Nikka From The Barrel, der ebenfalls hier erzeugt wird, einerseits durch Blenden, andererseits durch das Marrying der Fässer – mehr dazu in später und in einem separaten Artikel). Schematisch sieht das so aus:

Zwar haben die Destillerien wie Yoichi und Miyagikyo (von der wir ebenfalls berichten werden) ihre eigenen Lagerkapazitäten, und das nicht zu knapp, aber hier in Tochigi ist sozusagen die Zentrale. Gebaut wurde Tochigi 1977, 12 Jahre nach Miyagikyo und 43 Jahre nach Yoichi. Hier lagern aber auch Apfelwein und Cider aus Hirosaki oder Shochu aus Moji, und sogar Whisky aus Ben Nevis, der in diversen Produkten von Nikka verwendet wird (darunter auch Nikka From The Barrel), lagert hier.
Nach der Einführung machen wir uns auf den Weg in ein erstes Lagerhaus, südlich des administrativen Gebäudes gelegen. Auf dem Weg dorthin kommen wir an einer kleinen, wohl nur internen Füllstation für Fässer vorbei:

Vor dem zweiten der beiden Lagerhäuser in der südlichen Reihe bleiben wir kurz stehen und lassen unseren Blick mit der Kamera zurück auf den Weg schweifen, auf dem wir gekommen sind, und in den Wald, der diese Lagerhäuser flankiert:
Wie unschwer erkennbar, hat man auch hier mit dem Whiskypilz zu kämpfen, der die Wände der Lagerhäuser befallen hat.

Apropos Whiskypilz: Der Umgang damit ist in Japan anders als sonstwo. Ohne Klagedrohungen, ohne Rechtsanwälte werden dort befallene Fassaden von Anwohnern rund um Destillerien auf Kosten der Betreiber gesäubert. In Japan legt man großen Wert darauf, dem Mitmenschen nicht zur Last zu fallen – das ist in der Gesellschaft tief verankert und man merkt es auch an alltäglichen Dingen wie im Straßenverkehr, in Zügen oder beim Anstellen.
Im zweiten Lagerhaus werden uns dann die Türen geöffnet und wir können einen Blick hineinwerfen. Und jetzt wird es auch klar, warum man uns Masken mitgegeben hat: Der Alkoholdunst in den Lagerhäusern ist enorm, wesentlich deutlicher als zum Beispiel in Warehouses in Schottland. In dieser Vehemenz ist er uns nur aus den Bergwerk-Lagerstätten von Mackmyra in Schweden bekannt.

Ein Bewegtbild gibt die Dimensionen dieses Lagerhauses (es ist nicht das größte) vielleicht noch besser wieder.
Und hier noch eine Panoramaaufnahme des Einganges zum Lagerhaus, aus dem die obigen Aufnahmen stammen:

Weiter geht es nun auf die Rückseite des Komplexes, wo jede Menge leere Fässer lagern, zur Aufbearbeitung und zur Wiederbefüllung. Nikka verwendet sowohl gebrauchte als auch neue Fässer, die im internen Jargon als UWC (used whisky cask) und NWC (new whisky cask) bezeichnet werden. Daraus entstehen dann drei Haupttypen von Fässern für die Befüllung: DRC (dechar rechar cask). SRC (shaved rechar cask) und RWC (remade whisky cask), also ein neu zusammengesetztes Fass. Im Schema in der Präsentation sieht das so aus:

Und in echt dann so:



Nächster Punkt auf unserem Rundgang ist die Halle der Böttcherei, in der die Fässer aufbearbeitet werden. Hier findet das decharring und recharring statt, aber es werden auch Fässer repariert und auf Dichtheit geprüft. Auf den nächsten Bildern sehen Sie einige Eindrücke aus dieser großen (und lauten Halle). Die Schläuche, die aus den Rohren an der Decke hängen, sind Zuleitungen von kühler Luft zu den Arbeitsstationen – das Klima vor Ort war bei unserem Besuch tropisch, mit großer Wärme und extremer Luftfeuchtigkeit, und der kurze Regenschauer, der zwischendurch für einige Minuten niederging, war eher eine zu warme Dusche als Erleichterung.



Unser nächster Weg führt uns in das große, würfelförmige Lagerhaus, das noch alle anderen Warehouses deutlich überragt. Es ist relativ neu und noch nicht ganz gefüllt, aber ein Videoblick in die Anlage lässt schon erahnen, wie gigantisch dieser Bau ist. Die Logistik der Fässer darin ist ohne höchster Automatisierung nicht mehr machbar:
Weiter ging es für uns zur Station, wo die Fässer entleert werden. Auch das ist ein fast vollautomatischer Vorgang. Die einzige händische Tätigkeit dabei ist, das Fassloch, den bunge, zu öffnen. Alles Weitere erledigt eine Maschine, indem sie das Fass so dreht, dass das Loch nach unten zeigt und danach das Fass langsam über die Ausgussrinne am Boden führt, bis es geleert ist. Der Whisky kommt dann in einen Zwischentank. Wie man sich vorstellen kann, ist auch dort das Tragen einer Maske angeraten – auch wenn die Menge des Alkohols in der Atemluft nicht mit der in den Lagerhäusern konkurrieren kann.
Bei Nikka in der Tochigi-Anlage erfolgt nun ein weiterer Schritt, der auch in Schottland praktiziert wird, allerdings in meist gänzlich anderer Weise: Wenn man die Inhalte verschiedener Fassarten für einen Whisky oder einen Blend vereint (man nennt diesen Vorgang Vatting oder Marrying), dann muss die Flüssigkeit einige Zeit gemeinsam ruhen, bevor sie angefüllt werden kann.
In Schottland geschieht das meist in großen Vats, also riesigen Bottichen, die zwischen 5.000 und über 100.000 Liter fassen und auch aus Edelstahl bestehen können. Man macht das, um den Whiskys Zeit zu geben, miteinander zu reagieren und sich zu verbinden. Kleiner Sidestep: In Frankreich, bei der Cognacerzeugung, lässt man dem Liquid auch mehrere Wochen Zeit, um sich mit dem schrittweise zugegebenen Wasser zu verbinden, da der Cognac sonst scharf wird. Bei Whisky ist das nach Bekunden der Destillerien nicht nötig.
Bei Nikka geht man einen anderen Weg: Man lagert dort den geblendeten Whisky in ganz normalen, aber schon weitgehend inaktiven Fässern. Weitegehend bedeutet, dass dort dennoch Spuren von additiver und subtraktiver Reifung zusätzlich zu den chemischen Vorgängen im Liquid geschehen.
Dieses Marrying in Fässern bedeutet wesentliche Mehrarbeit: Fässer müssen befüllt, ins Lagerhaus gebracht, von dort wieder abtransportiert und danach entleert werden. Und in der Tat hat man im Tochigi-komplex eigene Lagerhäuser, in denen das Marrying für die Whiskys stattfindet. Hier wohl der erste Blick für Nicht-Japaner in ein Lagerhaus, in dem der Nikka From The Barrel sein drei Monate dauerndes Marrying erfährt:
Über den Nikka From The Barrel werden wir noch einen eigenen Bericht veröffentlichen, der dann rund um das Erscheinen der Jubiläumsausgaben im Oktober erscheinen wird, und auch in ihm wird es zum Teil um das Marrying gehen.

Die Frage, die man sich stellen kann: Machen diese drei Monate einen Unterschied für den Geschmack des Whiskys? Nun, wir konnten den Nikka From The Barrel VOR und NACH dem Marrying verkosten, und wenn auch der Geschmack sich dadurch nicht verändert, so verändert sich die Struktur, das Mundgefühl und der „Charakter“ des Whiskys deutlich – er wird sanfter, zugänglicher, runder. Kurz gesagt: Ja, die drei Monate, auch wenn in ihnen keine „Reifung“ im eigentlichen Sinn erfolgt, haben Sinn und verstärken die Qualitäten des Liquids.
Mit einem Blick auf die Lagerhäuser, die die Auffahrt zum Komplex bei Tochigi säumen, und einem Foto der fantastischen Crew, die uns den Aufenthalt in der erstmals für Ausländer zugänglichen Anlage so angenehm und informativ gestaltet haben, beenden wir den ersten Teil unserer Berichterstattung aus Japan. Im nächsten Artikel nehmen wir Sie mit in die Miyagikyo Distillery nahe Sendai und zeigen Ihnen unsere Eindrücke von dort, unter anderem auch von öffentlich nicht zugänglichen Bereichen der Destillerie – und von der wirklich malerischen Umgebung dort. Bis bald!





















