Als Europäer hat man den nachvollziehbaren Hang dazu, die Welt aus dem europäischen Blickwinkel zu betrachten: Whisky ist schottisch oder irisch, der Markt dafür in Europa, und was hier passiert, bestimmt die Zukunft.
Was wir gerne vergessen ist, dass sich die Gewichte in der Welt in den letzten 25 Jahren massiv verlagert haben – etwas, das auch in der Whiskywelt immer mehr in unser Bewusstsein dringt. Zuallererst denken wir dabei an China und Ostasien, denn dieser Markt rückt durch die Tatsache, dass sich die schottischen Destillerien mehr und mehr darauf konzentrieren, in unser Blickfeld. Viele Abfüllungen extrem guter Qualität werden ausschließlich für den ostasiatischen Raum geschaffen. Der Grund dafür ist relativ einfach: Die Kaufkraft dort stellt die bei uns mehr und mehr in den Schatten.
Ein weiterer gigantischer Markt ist Indien. Eine Milliarde Menschen leben dort, seit 2007 herrscht dort ein gigantischer Boom, der immer mehr Menschen zu Geld kommen lässt. Jedes Jahr werden dort momentan 80 Millionen Menschen 18 Jahre alt und daher zusätzliche Zielgruppe für Spirituosen. Das bedeutet, dass jährlich ein Deutschland den Markt dort betritt! Insgesamt ist Indien jung, sehr jung – ein Drittel der Bevölkerung ist unter 15 Jahren.
Zudem verändert sich die indische Gesellschaft radikal: Durch den gestiegenen Reichtum der Mittelschicht beginnen die Menschen aus Indien zu reisen und das Wissen und die Vorlieben anderer Kulturen in das eigene Land mitzubringen. Dazu gehört zum Beispiel eine gerade erblühende Craft Beer Szene, dazu gehört aber auch die stark steigende Vorliebe für Single Malt.
Eine Whiskynation war Indien schon immer. Nicht umsonst ist die Mehrzahl der Top Ten der Whiskymarken vom Subkontinent; auch der Weltmarktführer Officer’s Choice ist indisch. Aber das sind sehr leichte, für unsere Gaumen ungewohnte Blends, die auch aus dem kleinen Tetra Pak konsumiert werden und nichts mit unseren Genussgewohnheiten zu tun haben.
Das Interesse an Single Malt ist ein junges. Der erste indische Single Malt, Amrut, erschien erst 2010 am heimischen Markt, nachdem er sich seit 2004 internationale Lorbeeren holen konnte.
Ein weiteres Hindernis für die Bekanntheit des indischen Marktes bei uns ist die restriktive Politik der Abschottung – und die komplizierte Struktur, die man dort vorfindet. Fast 30 Bundesstaaten bilden Indien, und jeder dieser Staaten hat seine eigenen Gesetze für die Erzeugung, Verbreitung und Konsumation von Alkohol. Das führt zum Beispiel dazu, dass unterschiedliche Regionen unterschiedliche Höchstgrenzen des Alkoholgehalts vorschreiben – ein logistischer Albtraum für jeden Hersteller.
Wir wollten diesen Markt und vor allem den Erfinder des indischen Single Malts, Amrut, aus erster Hand kennenlernen. Im Januar 2018 war es dann soweit, und wir flogen auf eine knappe Woche nach Bengaluru, die Hauptstadt des Bundesstaates Karnataka im Süden Indiens, und Sitz der Destillerie Amrut. Bengaluru hat mehr Einwohner als Österreich, Karnataka so viel wie das Vereinigte Königreich – das sind die Dimensionen, in denen wir bei diesen Märkten denken müssen.
Im Zentrum von Bangalore, wegen der vielen Headquarters von Internet- und Technologiekonzernen als das „Silicon Valley Asiens“ bezeichnet, befindet sich auch das Büro von Amrut – im siebten Stock eines Hochhauses. Dort trafen wir Thrivikram G. Nikam, den Executive Director Brands & PR des Familienunternehmens (und Schwiegersohn des Besitzers), um von ihm, als Kenner des indischen Marktes, mehr Einblick in diesen zu erhalten.
Im Videointerview, das Sie untenstehend finden, spricht Thrivikram über die Besonderheiten des indischen Marktes, die Genesis des Engagements von Amrut im Single Malt Segment, das eigentlich auf eine Marktverwerfung in Indien zurückgeht und über die Schwierigkeit, verlässliche Zahlen über Marktentwicklungen zu generieren. Ein Einblick aus erster Hand in den Markt, der von vielen als der interessanteste weltweit angesehen wird.
Natürlich hat sich unser Interesse nicht nur auf den Markt an sich beschränkt, sondern vor allem auf die Destillerie Amrut konzentriert. Über unseren Besuch dort werden wir demnächst ausführlich berichten.
Im Sinne der in unseren Leitlinien vorgegebenen Transparenz geben wir bekannt, dass wir die Reisekosten nach Indien selbst bestritten haben. Das Programm vor Ort wurde von der Destillerie Amrut übernommen. Wir bedanken uns für die wunderbare Gastfreundschaft und die perfekte Betreuung.