Dienstag, 05. November 2024, 04:33:27

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 43)

Über 1500 Kilometer zu siebzehn schottischen Brennereien - statt zu Glenfiddich zu Glenlivet

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Wir freuen uns, Ihnen jeden Sonntag ein Stück einer wunderbaren Geschichte über Schottland, Whisky und das Reisen vorstellen zu dürfen: Exklusiv auf Whiskyexerts präsentieren wir Ihnen Whisky Cycle, das neueste Buch von Uli Franz, als Fortsetzungsgeschichte.

Uli Franz lebt als Schriftsteller im Chiemgau und auf der dalmatinischen Insel Brac’. Von 1977-80 arbeitete er als Zeitungskorrespondent in Peking. Über China und Tibet veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen Radgeschichten und „Die Asche meines Vaters“ (Rowohlt Verlag).

Das Buch Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland (ca. 320 Seiten) ist momentan in der ersten Auflage vergriffen – über Neuigkeiten zu Bestellmöglichkeiten werden wir Sie natürlich rechtzeitig informieren.

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Die Radtour zu 17 schottischen Destillerien. Karte von Alba Collection

-hier geht es zur Folge 42-

Whisky Cycle – Eine Radreise durch Schottland von Uli Franz (Folge 43)

Mit dem vom Wässern nassen Betonboden, den langen Tischen und den Stapeln alter Eichenfässer kam mir die Halle nach einer Weile plötzlich wie ein Schlachthaus vor, wo statt Blut Wasser den Boden bedeckte, wo statt Tierleiber bauchige Holzleiber aufgeschlitzt und zerlegt wurden. Ein altes Fass wurde im ersten Arbeitsschritt auf den Kopf gestellt, dann der obere Fassreifen mit Hammer und Stempelkeil rundherum gelockert und schließlich abgeschlagen. Kaum, dass der Reifen scheppernd zu Boden sprang, spreizten sich die Dauben zum Büschel. Im zweiten Arbeitsschritt zog der Küfer alle verrotteten und undichten Holzlatten aus dem offenen Bündel heraus, und im dritten Arbeitsschritt passte er frisch zugeschnittene, neue Dauben mit dem Rundhobel in die Lücke ein. Waren sie in Form gebracht, schloss er die Lücke. Mit den erneuerten Dauben und dem locker aufgesetzten Reifen, aber nur einem Deckel, rollte er das offene Fass durch die Halle zum riesigen Gasbrenner, der das offene Fass mit zwei automatisch gesteuerten Greifarmen in einen Feuerschacht beförderte. Hier wurde es mit einem minutenlangen Flammenstoß getoastet. Die Flammen kokeln die Innenwände an und bilden eine dünne Aktivkohleschicht, die später wie ein Filter die Fuselöle bindet und dem Whisky die beliebte malzige Karamellnote verleiht. 

Nach dem Ausflämmen, das natürlich auch alle Keime abtötet, holte der Küfer mit dicken Lederhandschuhen sein Hogshead, sein Butt, sein Quarter Cask oder sein Bourbon Barrel wieder aus dem Feuerschacht und rollte es, tausendfach geübt, auf dem Fassrand zurück zu seiner Werkbank, wo er als nächstes einen neuen, unbeschrifteten Fasskopf als Deckel einpasste. Um diesen dicht zu bekommen, legte er einen Strang trockenes Schilf in die Nut am Daubenende, erst dann setzte er den Deckel auf und schlug den oberen und die anderen Fassreifen mit Hammer und Keil in Position, ja, mit Wucht schlug er sie wieder bombenfest, wie der Lärm in der Halle bewies. Als letztes folgte nun die Luftdruckprobe.

Wieder mit tänzerischer Fertigkeit wurde das Fass zur Dampfdruckanlage gerollt, wo es unter dem atmosphärischen Druck von 6 Bar auf seine Dichtigkeit geprüft wurde. Wenn es keine Leckage aufwies, war es fertiggestellt und konnte zur Neubefüllung an eine der sechzig Speyside Brennereien oder an eine Brennerei weit draußen in der Welt geliefert werden.

Mit einem einzigen Fassleben ist es längst nicht getan, bei einem Eichenfass kann sich die Reinkarnation über vier, fünf Leben erstrecken. Erst nach 60 Jahren ist ein Fass „müde“. So müde, dass es nun aufgeschnitten, als Blumenbottich einen guten Zweck erfüllen kann. Selbst einzelne, ausgediente Dauben können als Kerzenständer oder Nosing-Glas-Halter den Tisch von Whiskyliebhabern schmücken. Einen vielbeachteten Marketing-Gag ließ sich die Brennerei Glenmorangie einfallen: aus 15 Dauben ließ sie in den USA einen Rennrad-Rahmen mit dem Namen „Renovo“ herstellen.

Fasslager bei der Speyside Cooperage. Bild: Uli Franz

Die flinken Arbeitshände und die verschwitzten Gesichter, die aus dem dichten Dampf auftauchten, forderten meinen ganzen Respekt, ja, erweckten meine Ehrfurcht vor diesem nicht in Jahrzehnten, sondern in Jahrhunderten entstandenen Gewerbe, ohne welches es keine Spiritousen gäbe. Beim Rundgang durch die Speyside Küferei war leicht zu erahnen, dass das Küferhandwerk noch älter als das Destillieren ist und seit der Antike zur Menschheitsgeschichte gehört. Lange vor dem Whisky wurden alle erdenklichen Lebensmittel in Eichenfässern aufbewahrt und konserviert: Wein, Butter, Öl, Fisch, Pökelfleisch, Sauerkraut und andere gesalzene Gemüse.

Viel hatte ich in der Küferei gelernt, nun wusste ich auch, dass die Natur über fünfzig Eichensorten kennt, und dass auf der Welt seit 4000 Jahren Eichenfässer verwendet werden. Kaum zu glauben, dass in Schottland 32 Millionen Fässer vor Ort gelagert und verteilt in allen Brennereien gehortet werden. Zu guter Letzt servierten sie mir noch anstelle eines Drams die Anekdote „Trussing the Cooper“, ein Ritual, das in der Firma seit ihrer Gründung im Jahr 1947 gepflegt wird. Bevor ein Lehrling in den Gesellenstand erhoben wird, packen ihn seine Kollegen, teeren und federn ihn, dann stecken sie ihn in ein offenes Fass. Schließlich wird er – hochprozentig abgefüllt – durch die Halle gerollt, bis ihm schwindlig wird. Hat er die deftige Prozedur überstanden, bekommt er den Gesellenbrief des Küferhandwerks ausgehändigt.

Schmuggel in Särgen

Unser Soloradler war dünnhäutig geworden. Umtriebe, seien es wartende oder sich tummelnde Menschen, Staus und Hindernisse aller Art, strengten ihn zusehends an und belasteten sein Gemüt. Das wochenlange Alleinsein auf dem Fahrrad hatte ihn zu einem Einzelkämpfer werden lassen, der Menschenmassen mied und lieber Schleichwege wählte, um seine Ruhe zu bewahren. So kam es, dass er seinen ursprünglichen Plan, die Destillerie Glenfiddich[1] kennenzulernen, von einer Sekunde zur anderen fallen ließ.

Der Parkplatz kurz hinter der Abzweigung ins Tal des Hirschen war wider Erwarten von Bussen belegt, in denen Whiskytouristen angereist waren, auch von Wohnmobilen, deren Besitzer gar vor der Brennerei campierten, und von Autos mit britischen und kontinentalen Kennzeichen. Das Gewusel auf der großen Parkfläche am kleinen See bewies, dass es nichts mit Angeberei zu tun hat, wenn im Glenfiddich-Prospekt geschrieben steht, dass jährlich 130.000 Besucher die Brennerei besichtigen.

By Pjt56 — If you use the picture outside Wikipedia I would appreciate a short e-mail to pjt56@gmx.net or a message on my discussion page – Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=61388879

Kaum, dass ich den motorisierten Pulk erspähte, änderte ich meinen Plan und verblieb auf der Hauptstraße, hügelaufwärts, noch knapp einen Kilometer nach Dufftown hinein. Es war schon unheimlich, wie nüchtern die schottische Whisky-Metropole den Whiskyradler empfing. Nichts los auf der High Street, die Balvenie hieß! Weder ein Nüchterner noch ein Betrunkener wollten sich zeigen, die Straßen wie ausgestorben und nur von leeren Autos an den Gehsteigen belebt. Erst am Rondell um den Festungsturm stellte sich Leben ein.

Einwohner besuchten den Pub und eine Bäckerei am zentralen Platz, wo man eigentlich ein Gotteshaus mit Kirchturm erwartet hätte. Aber nein, den Mittelpunkt des mittelalterlichen Marktfleckens krönte ein blockischer Steinturm mit vier Erkern und einem Baldachin oben drauf, der sich zur Zierde über eine schweigende Glocke stülpte. Höher als der Baldachin, den ganzen Ort überragend, flatterte nicht der Union Jack, sondern die schottische Flagge, das weiße Andreaskreuz auf meerblauem Grund. Der Ankömmling wertete dies als Fingerzeig – seht her, Dufftown bekennt sich zu Schottlands Souveränität.

In den gemütlichen Zeiten der Fuhrwerke, berittenen Pferde und Kutschen waren durch das Ortszentrum Avenuen angelegt worden, von Norden und von Osten nach Westen, nur die südliche Richtung hatte man ausgespart, vermutlich war den Gründungsvätern das Geld ausgegangen. Auch wenn die breiten Korridore dieser Tage wenig frequentiert waren, ließen sie doch erahnen, wie bedeutend Dufftown für den Speyside Whisky einst war und ohne weiteres verstand ich, warum der Reim „Rome was built on seven hills, Dufftown stands on seven stills“ in ganz Schottland kursierte.

Dort, wo die Avenuen zusammentrafen, bezog ich ein Breakfast-Zimmer und teilte den Frühstückstisch mit vier Chinesen aus Wuhan. Meine Wirtsleute, Sean und Angy, gaben sich größte Mühe und wiesen mir ihr bestes Zimmer mit Blick auf den Stadtturm zu.

Um kurz zu verschnaufen, hatte ich mich der Turnschuhe entledigt, aber noch in Kleidern aufs Bett gelegt, als es klopfte. Widerwillig öffnete ich die Zimmertür und – staunte: Im Türrahmen stand ein schmunzelnder Sean, ein Silbertablett mit einem dezent gefüllten Glas in der Rechten balancierend. Ohne viele Worte zu verlieren, offerierte er mir ein Dram im Glencairn Glas. Wie liebenswert, was für ein tolles Willkommen! Ein Empfang, nicht mit einem Minifläschchen Scotch neben Tee und Nescafé im gewöhnlichen Zimmerset, sondern ein Willkommensgruß mit einem persönlich offerierten Dram.

„My favourite, a 10 years old Benromach, enjoy!“, sagte Sean und hielt mir lächelnd das kleine bauchige Glas entgegen.

Alle Achtung, der Wirt eines B&B bot einem wildfremden, durchreisenden Gast einen Willkommenstrunk, gar seinen Favoriten, an. So etwas gab es nur in der schottischen Whisky-Metropole. Als ich das Glas Benromach dankend entgegennahm, fiel mir ein, dass ich im Örtchen Forres an den Toren dieser Brennerei vorbeigeradelt war.

Rötlich schimmernd wie gehämmertes Kupfer stand der Zehnjährige im Glas. Beim Verwirbeln zeigte sich zwar eine gewisse Öligkeit, aber nur spärlich flossen die Tränen, oder legs wie die Schotten sagen, dem Glasboden zu. Überraschend für einen Speyside, verabreichte er gleich zu Beginn der Nase einen aufschreckenden Stüber – geräucherten Schinken. Doch bevor sich diese Note im Nasendach festsetzen konnte, beglückten Aromen von Apfel, Birne und Zimt die Tiefe der Nase. Auch am Gaumen süße Früchte, gepaart mit Schokolade und Karamell. Den Abgang eröffnete Malz, auf das eine wohlige Wärme ohne Brennen folgte. Beweis genug, dass die 43 % perfekt eingebunden waren. Beim zweiten Schluck stellte sich gar eine Steigerung ein. Zur üppigen Frucht von Grapefruit gesellte sich schwarze Schokolade, trockener Sherry und wieder Zimt. Im Abgang, der sich für einen Zehnjährigen erstaunlich geduldig zeigte, durfte sich der Schlund lange an den Früchten erfreuen, bevor das Holz zum Tragen kam. Und dann das Zünglein: nur eine schwache Glut, kein Brennen und schon gar kein Kratzen, welche Kehle und Schlund hätten verschrecken können. Die 43 % vol. Alkohol waren als Paket gut verschnürt und wohltuend wärmten sie die Eingeweide. Der fabelhafte Benromack überzeugte durch einen Spannungsbogen von rauchig zart bis hin zu verschwenderisch fruchtig. Diese gelungene Einheit der Gegensätze verdiente die maximale Bewertung mit vier Stützrädern. Überglücklich notierte ich in mein Tagebuch: the perfekt dram, Nummer 5.

Am nächsten Morgen stieg ich am Stadtturm wieder aufs bepackte Rad und wählte die Conval Street nach Westen in die grünen Ausläufer des Hochlands hinein. Bereits auf dem ersten Meter musste ich mich in die Pedale stemmen, denn gleich hinter dem Uhrenturm ging es bergauf. Die Steigung war derart ambitioniert, dass die Straßenhäuser und auch das Whiskymuseum wie auf den Stufen einer Treppe gestaffelt nebeneinander standen.

Der Morgen empfing mich kühl und feucht, typisch für die Gegend von Moray mit ihren wasserreichen Tälern und Sümpfen. Da in den Frühsommernächten die höheren Luftschichten wärmer als die bodennahen über der Landschaft lagen, waberten in den Mulden noch Dunstschleier, und in der Ferne lag der Talgrund unter Wolken wie unter Watte. Myriaden von Tautropfen glitzerten und blinkten auf den Steinmauern und Blättern der Büsche am Straßenrand. Als hätte die Nacht sie lackiert, glänzten die Weiden und die äsenden Schafe, Lämmer und Kühe hatten glänzende Schnauzen vom Mampfen im taunaßen Gras.

Glen Livet_keltische Brücke über den Fluß Livet. Bild: Uli Franz

Vor mir lagen 22 Kilometer bis nach Ballindalloch am Ende des Livet Tals. So früh wie ich unterwegs war, konnte ich die Landstraße bis auf wenige Verkehrserruptionen  echt mein Eigen nennen und übermütig befuhr ich sie in ihrer ganzen Breite, mal nach rechts, mal nach links kurvend, ein echter Genuss, der meiner Kehle ein schräges Liedchen entlockte. Kilometerweit führte mich das Sträßlein ganz ohne auf und ab an einem Höhenzug entlang. Das ebene Terrain erlaubte freihändiges Fahren und immer wieder einen schweifenden Blick auf das Buttergelb des blühenden Ginsters, der anstelle von Leitplanken die Straßenränder säumte. Windböen, die den Hang herabfegten, vertrieben den Dunst und das Ginstergelb leuchtete wie von Spotlicht beschienen. Nur Minuten später erlosch der Lichtspot und die Landschaft verhüllte wieder ihr weiches Gesicht.

Nach 15 Kilometern öffneten sich die umliegenden Hügel wie gebende Hände, der Talgrund uferte aus, und zu den Weiden gesellten sich Kornfelder mit Concerto, gewiss auch mit der Sommergerste Laureate. Egal welche Sorte – die noch junge Gerste lag wie malachitgrüner Samt ausgelegt neben den grasgrünen Tierweiden. Viel Zeit gönnte ich mir, das Vexierspiel von Sonne und Frühnebel zu genießen, mehrmals hielt ich an und schaute mich in alle Richtungen um. Aber kein Foto knipste ich, ich wollte die Stille nicht stören. Die ruhende Landschaft, in der sich nur Schafe und Kühe grasend bewegten, wirkte so friedvoll, dass ich vor Freude hätte weinen können. Doch solche Glücksmomente sind eben nur flüchtig. So hat auch der schönste Weg ein Ende, wenn man ein Ziel erreichen will.

Auf der anderen Talseite lagen hoch oben, wie verstreute Bauklötzchen, weiße Gebäude in den Hangwiesen. Diese weißen Gebäudewürfel wirkten hermetisch, einem Bollwerk gleich. Ohne die riesigen schwarzen Lettern THE GLENLIVET[2] an der fensterlosen Frontmauer hätte ich auf ein Gefängnis oder ein Raiffeisen-Depot getippt, zumal in einer Gegend, wo sich gerade mal Fuchs und Hase gute Nacht sagen.


[1] glen-fidd-ick

[2]  the glen-liv-it

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