Wenn eines in Indien momentan konstant ist, dann ist es der Wandel. Wie hier, bei der Destillerie Amrut. Damals, in den späten 80er Jahren, war das, wo wir uns jetzt befinden, eine ländliche Gegend mit Feldern und kleinen Ansiedlungen. Bei unserer Reise, im Januar 2018, sind wir noch nicht ganz am Rand von Bangalore, der Hauptstadt der Provinz Karnataka, mit 9.5 Millionen Einwohnern. Die Stadt ist gewachsen, noch über den Horizont hinaus.
Der schmucklose Bau der Destillerie, an der Straße nach Mysore, liegt in der südindischen Wärme. 30 Grad sind es, sehr trockene 30 Grad. Ab März wird es hier schwül und drückend heiß, im Sommer dann selbst für die Einwohner schwer auszuhalten. Und wenn der Monsun kommt, ist es besonders schlimm.
Drinnen, im Büro, läuft die Klimaanlage. Angenehmes Licht, angenehme Temperaturen, und abgesehen davon ebenfalls angenehmes Klima: Wir werden vom Master Distiller, Surrinder Kumar, dem Technical Director M. Meyyappan, Ashok Chokalingam, Senior G.M. International Sales und Pramod Kashyap, Deputy General Manager Marketing herzlich begrüßt.
Wir sind nach Indien gekommen, um mehr über die Destillerie Amrut und ihre Single Malts zu erfahren. Diese fruchtigen, dichten Malts, von denen wir in Deutschland, einem Hauptexportland dafür, immer wieder welche verkosten konnten, haben uns durch ihre Lebendigkeit und erstaunliche Reife gefallen. Wir wollen jetzt wissen, wie sie entstehen, warum sie so sind, wie sie sind und wer die Menschen sind, die diese Whiskys machen.
Interessant ist zunächst einmal, dass Amrut mit den Single Malts erst in Europa präsent war (2004), bevor der Whisky auf den indischen Markt kam (2010). Und dieser boomt. Amrut befindet sich momentan in der glücklichen Lage, jeden Tropfen sofort verkaufen zu können, auch und gerade in Indien – wo die Nachfrage das Angebot mittlerweile bei weitem übersteigt.
Das liegt nicht nur daran, dass der Ausstoß an Single Malt bei Amrut klein ist, momentan an die 30.000 Liter pro Monat – und die sind es auch nur deshalb, weil man mittlerweile rund um die Uhr arbeitet. Indien hat Lust auf Single Malt bekommen, und deshalb werden es ab Mitte des Jahres dann 90.000 Liter sein, wenn der Ausbau der Brennerei fertig ist – und das wird wohl dann auch noch nicht reichen, um die Nachfrage zu stillen.
Die kommt nicht von ungefähr. Die Menschen hier sehen Single Malt mit anderen Augen, seitdem es sich der Mittelstand leisten kann zu reisen, und das Markenbewusstsein wächst. Zudem ist Bangalore ein Nabel der Welt, das Zentrum der Computertechnologie in Indien, ganz Asien. Die Menschen arbeiten hart, verdienen gut – und wollen dafür genießen.
Organisch gewachsen
Begonnen hat Amrut 1948 nicht mit Whisky, sondern zunächst mit Neutralalkohol und danach, in den 60ern, mit Rum – und nicht am momentanen Standort, sondern im Zentrum von Bangalore. Rum? Was auf den ersten Blick seltsam erscheint, wird schnell verständlich, wenn man weiß, dass Indien der zweitgrößte Zuckerrohrproduzent der Welt ist, gleich nach Brasilien. Amrut kauft den Spirit aus Melasse (und für den Brandy aus ebenfalls heimischen Trauben) zu und lagert diesen in großen Tanks. Dieser wird von dort über Rohre in die Produktion gebracht. Übrigens: Auch indischer Whisky für den Heimatmarkt (IMFL = Indian Made Foreign Liquors) besteht zum Teil aus Alkohol, der aus Melasse gewonnen wurde.
Wir beginnen die Tour mit Surrinder Kumar, dem Master Distiller (wenn Sie mehr über seinen Werdegang und seine Philosophie wissen wollen, sehen Sie hier unser Interview mit ihm). Er führt uns in die Produktionsgebäude. Innen sieht es ein wenig anders aus, als man es von schottischen Destillerien gewohnt ist. Auf Schmuckheit oder Flair wird wenig Wert gelegt, alles ist funktional und doch nicht ohne Charme. Während wir uns einen ersten Eindruck verschaffen, erzählt Surrinder Kumar mehr über die Anfänge von Amrut und den Bau der Destillerie hier am Rande von Bangalore:
Was uns natürlich brennend interessiert: Wie kam man dazu, Whisky zu produzieren und was war der Anlass, als erste Brennerei in großem Stil Single Malt zu erzeugen und als solchen zu vermarkten? Warum entschloss man sich, die Vermarktung zunächst in Schottland und Europa zu forcieren? Auch hier gibt Surrinder Kumar bereitwillig Auskunft:
Es beginnt mit Gerste
Mit diesem Wissen ausgestattet begeben wir uns mit Surrinder zu dem Teil der Destillerie, in dem die Produktionskette ihren Anfang nimmt, dort, wo das Getreide angeliefert und gemahlen, oder besser gesagt: aufgebrochen wird. Bei Amrut verwendet man für ungetorften Malt (er macht ca. 70% der Produktion aus) indisches Getreide. Nicht aus der Gegend, wie der Master Distiller sagt, denn hier in diesem Klima wächst keine Gerste, man holt es aus Nordindien:
Wie schon erwähnt, ist bei Amrut nichts auf Ästhetik ausgelegt, sondern auf Praktikabilität. Das ergibt dann als Resultat einen der hässlichsten Mashtuns, den wir jemals gesehen haben, aber auch einen stimmigen, denn die Isolierung, die wahrlich keine Augenweide ist, ist gerade unter den gegebenen lokalen Umständen sinnvoll und richtig.
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