Man muss vier Stunden von Kopenhagen nach Nordwesten fahren, um in die Region Thy (ausgesprochen wie das Tü in Tür) zu gelangen, und von der deutschen Grenze noch länger. Wenn man von dort kommt, ist die Stadt Vejle eine gute Zwischenstation, nicht zuletzt deshalb, weil man hier auf die Niederlassung der dänischen SMWS trifft, der wir bei der Anreise einen Besuch abstatteten.
Grund für den Zwischenstopp ist ein sehr angenehmer: Die erste Abfüllung eines Whiskys für die Scotch Malt Whisky Society aus der THY Distillery, dem Grund unserer Reise.
Fruchtig und gehaltvoll, mit der typischen Zitronennote von THY, lässt diese Abfüllung das junge Alter des Whiskys vergessen – und macht gemeinsam mit einigen anderen schönen Drams, darunter ein 18 Jahre alter Bowmore und ein 25 Jahre alter Caperdonich, die weitere Anreise, die von Velje aus nochmals gut zwei Stunden dauert, um einiges leichter und beschwingter.
Thy ist wohl die abgelegenste Gegend in Dänemark, hat nebenbei ihren eigenen, unverwechselbaren Dialekt – und gilt im Rest des Landes als das oft noch recht unberührte Hinterland, das auch einen großen Nationalpark gleichen Namens beherbergt.
Einschub 1: Die Schönheit des Unberührten
Thy zeigt sich im Februar von seiner rauen und schönen Seite zugleich: dunkle Wolken, Wind, Regen, danach wieder die Sonne – die erst vor einigen hundert Jahren kultivierte Dünenlandschaft mit ihren vielen Binnenseen gibt einen Eindruck von der Rauheit der Nordsee, an die sie grenzt. Wir schaffen es, in der Zeit, in der wir im Nationalpark Thy verbringen können, im Surferparadies Stjenberg beeindruckende Wellen mitzuerleben, die einige Wagemutige nicht davon abhalten, in ihren Neopren-Anzügen auf ihnen zu surfen, und später in Hanstholm einen traumhaften Sonnenuntergang über der Dünenlandschaft und am Leuchtturm zu erleben.
Wer sich für die Schönheit der Landschaft begeistern kann und selbst einmal dorthin will, findet auf der Webseite von Thy weitere Infos…
Mitten in der Region Thy liegt das Landgut der Familien Poulsen und Stjernholm namens Gyrup. Seit 1773 ist es dokumentiert, und wenn auch kein Gebäude dort mehr aus dieser Anfangszeit stammt, so sind viele Objekte dort an die 200 Jahre alt. Bewirtschaftet wird Gyrup durch Jakob und Marie Stjernholm sowie Andreas Poulsen und Ellen Nicolajsen, was die Familientradition dort nun in der achten Generation fortsetzt.
Die Landwirtschaft (organisch biologisch arbeitet man seit 1996, also mehr als 25 Jahre lang) beruht neben dem Getreideanbau vor allem auf Milchkühen, 290 an der Zahl. Die leben hier unter sichtbar artgerechten Bedingungen: Geräumige Ställe mit viel Einstreu, gutes Futter und viel Platz auch draußen. Für gebärende Mutterkühe hat man sogar einen eigenen, abgesonderten Bereich eingerichtet – dort herrscht eine auch für den Besucher beruhigende Atmosphäre, in der sich die Tiere sichtlich wohl fühlen.
Zurück aber zum Getreideanbau: 500 Hektar Land bewirtschaftet man, 300 davon Eigengrund, 200 in Pacht oder Miete. Man sät verschiedene Sorten aus, einerseits unterschiedliche Gersten-Varietäten, darunter auch solche, die bereits vor 100 Jahren kultiviert worden und danach in Vergessenheit geraten sind, andererseits auch andere Getreidesorten wie Roggen oder Emmer und mehr. Als biologisch arbeitender Betrieb muss man auf eine strikte Fruchtfolge achten, um die Böden nicht über Gebühr auszulaugen – so kommt es, dass vier bis fünf Jahre vergehen können, bevor auf einem Feld erneut eine bestimmte Sorte wachsen darf. Das Erstellen des Plans ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die von Marie Stjernholm übernommen wird.
Die Landwirtschaft ist das eine von drei Standbeinen auf Gyrup. Das zweite kam ab 2010 nach und nach dazu, durch den leider schon verstorbenen Nikolaj Nicolajson, Landwirt in der siebten Generation: Er hatte nämlich die Idee, Whisky zu produzieren. Ganz zu Beginn tat man das noch ohne eigene Brennanlage und Mälzerei; man nutzte dazu Malz aus Deutschland und die Expertise einer Bierbrauerei, mit der man heute noch in enger Geschäftsbeziehung steht: die Thisted Brewery. Die eigene Brennerei samt allem Notwendigen entstand erst nach der Übernahme durch die achte Generation, die 2015 stattfand. Erst Mitte 2019 war die Destillerie mit der Inbetriebnahme der 1000 Liter Potstill komplett.
Standbein Nummer drei ist die eigene Mälzerei, die noch vor der Brennanlage im Jahr 2018 entstand. Hier kann man in mittlerweile drei Mälztrommeln Malz nicht nur für die Whiskyproduktion erzeugen, sondern auch für Brauereien, die das gerne und ausgiebig nutzen. Übrigens nicht der einzige „Exportschlager“ von Gyrup: auch das Getreide, vor allem der Roggen, geht an Bäckereien – und dann ist da natürlich der Whisky.
Einschub 2: Bio-Getreide und Brot für 66 Familien
In Hanstholm, am nordwestlichsten Punkt des Thy National Parks, steht in einem unscheinbaren Gebäude, das eher einer Baracke und einem Lagerhaus ähnelt, eine interessante Bäckerei: Sie wird von 66 Familien betrieben, die dort ihr Brot für den Eigenbedarf backen – unter Verwendung des Bio-Getreides aus Gryup. Man wollte sich damit von der Versorgung durch Brotfabriken lösen und Qualitätsbrot selbst backen. Und das ist mehr als gelungen: Das dunkle Roggenbrot, das dort gebacken wird, steckt voller Kraft und Aromen, legt sich hervorragend unter süßen und pikanten Belag und ist getoastet als Brotchips phänomenal mit Aufstrichen.
Wenn man die großen schottischen Brennereien kennt, dann ist Thy Whisky ein einziger Anachronismus: er strotzt nur so vor Handarbeit und Liebe zum Brennen. Alle an seiner Entstehung beteiligten Menschen sind, was Whiskyproduktion betrifft, komplette Autodidakten, die ihr Handwerk von der Pike auf lernen mussten. Alle Rohstoffe, die zu seiner Herstellung gebraucht werden, stammen von der Farm und werden auf ihr verarbeitet, Jeder Arbeitsschritt bis hin zum Verpacken der gefüllten Flaschen geschehen vor Ort. Das macht den THY Whisky nicht billig, aber liebenswert und absolut besonders.
Jakob Stjernholm führte uns bei unserem Besuch durch die gesamte Produktionskette, beginnend mit der Reinigung des Getreides neben dem Stall. Jedes Korn, das dort durch die Rüttelmaschine läuft, ist auf einem der Felder des Bauernhofs angebaut worden und rein biologisch gewachsen, ohne Spritzmittel oder künstliche Düngung. Für die Whiskyproduktion wird ein knappes Viertel des angebauten Getreides verwendet, der Rest geht in Mühlen oder später als Malz an Brauereien.
Als Nächstes sehen wir den Ofen, der für das „Torfen“ des Getreides verwendet wird. Torfen ist hier aus einem guten Grund unter Anführungszeichen gesetzt: um das Getreide zu aromatisieren, verwendet man in der THY Distillery ausschließlich Buchenholzrauch. Auch das entspricht der Philosophie von Jakob, Marie, Andreas und Ellen bei der Whiskyproduktion: Man will das Lokale und Unmittelbare in jedem Produktionsschritt zelebrieren. Und weil Buchenholzrauch bei der Zubereitung von Fischen hier überall zu finden ist, findet man ihn bei THY Whisky auch im Geschmack. Und der ist wesentlich subtil rauchiger als bei Torf, weicher und insgesamt eingebundener in die restlichen Aromen als es Torf könnte.
Drei Mälztrommeln gibt es bei THY, die dritte erst vor kurzem installiert. Hier wird das Getreide zum Keimen gebracht und danach getrocknet, um als Malz für die Whisky- oder Bierproduktion verwendet werden zu können. Insgesamt 750 Tonnen ist der Output pro Jahr. Wie schon gesagt, geht ein guter Teil der Produktion an lokale Bierbrauereien, die selbst keine Malzböden mehr besitzen und nicht von den Giganten der Branche kaufen wollen.
Einschub 3: Die Thisted Brewery – Bier und Whisky
Die Thisted Brewery, am Inlandmeer und damit im Osten der THY Region gelegen, war die Geburtsstätte des THY Whisky, denn dort brannte man ihn zuerst im Jahr 2010. Aber auch heute noch sind die Bande zwischen der kleinen regionalen Brauerei und der Farmbrennerei sehr eng: THY liefert and Thisted Malz und Whisskyfässer, die dann mit Bier befüllt werden. Der Inhalt wird als Whiskybier verkauft, die Fässer kommen in die THY Distillery zurück, um dort Whisky zu reifen. So profitieren beide Seiten – und sowohl Bier- als auch Whiskygenießer, denn beide Abfüllungen schmecken einfach fabelhaft.
Nach dem Maischen im (kippbaren) Maischbottich geht es in die Fermentationstanks, die so wie vieles hier in der THY Distillery etwas anders aussehen als sonst wo, weil man einfach ein wenig improvisiert und experimentiert hat, um das für sich Geeignete zu finden. Die Fermentation dauert in der Regel vier bis sechs Tage (letzteres, wenn das Wochenende „dazwischen“ kommt), aber man lässt auch schon mal die Fermentation länger dauern, wenn man experimentieren will. Das Verhältnis der Größe der Fermentationstanks zur Pot Still ist 1:1 – je 1000 Liter Fassungsvermögen.
Die THY Distillery hat eine recht interessante Brennanlage: Neben der Pot Still steht eine eigens ersonnene Säulenbrennanlage ohne Böden, die den Alkohol bis auf ca. 80% „hinaufdestilliert“ – technisch gesehen also eine Einfachdestillation. Die Anlage läuft an fünf Tagen in der Woche, wird um ca. 6 Uhr angeworfen und ebenso um 6 Uhr wieder heruntergefahren. Der Spirit Safe ist in Deutschland völlig undenkbar, denn der Staat besteuert in Dänemark das Endprodukt, aber nicht den Alkohol: Ein Glassturz steht über dem Auslass für den New Make; er kann mit einer Hand hochgehoben werden und macht den New Make zum Verkosten zugänglich.
Die Kapazität der Brennanlage beträgt aktuell 50.000 Liter New Make, ca. 1/10 des Ausstoßes, den man bei Stauning vorfindet. Und diese Menge kann man noch nicht lange produzieren – das erklärt auch, warum bislang bei THY Whisky in kleinen Batches abgefüllt wird (aktuell wird gerade Batch #21 auf den Markt gebracht) und es (noch) keine Core Range gibt.
Nach dem Brennen steht die Fassabfüllung, und die erfolgt im neu gebauten Lagerhaus der Brennerei, etwas abseits von den Hauptgebäuden. Momentan lagert man dort ca. 1000 Fässer unterschiedlichster Größen, vom Platz her ist da noch gut Luft nach oben. Apropos Luft: Das Lagerhaus ist so gebaut, dass die Wände im Westen und Osten zum Teil perforiert sind, um einen Luftzug zu erlauben, um die Halle im Sommer kühl halten zu können. Das funktioniert nicht nur einwandfrei, sondern sieht auch sehr stylisch aus.
Nach der intensiven Tour durch die Produktion steht im (sehr ansprechend gestalteten) Besucherzentrum eine Verkostung der THY Whiskys an. Wir beginnen mit der Verkostung von drei unterschiedlichen New Makes, die unter möglichst ähnlichen Parametern erzeugt wurden: Einer aus Concerto-Gerste, zwei aus historischen Gerstensorten wie zum Beispiel Imperial. Die Unterschiede sind eklatant: Während die moderne Concerto-Gerste einen fast süßlichen Grundton ohne viele Ecken und Kanten in den New Make bringt, so bringen die historischen Arten entweder einen würzigen oder erdigen Ton dazu. In allen findet sich jedenfalls der THY-typische zitronige, frische Anklang, der dann auch – in verschiedenen Nuancierungen – der Grunton der verkosteten Whiskys sein wird.
Was bei der Verkostung auffällt: Die THY Distillery schafft es hervorragend, die Balance zwischen Destillat und Fasseinfluss zu halten und für das Alter erstaunlich komplexe Whiskys zu kreieren. Das Destillat harmoniert mit Sherryfässern ebenso wie mit den klassischen Bourbonfässern, auch unterschiedliche Mälzgrade setzen sich im finalen Produkt klar in Szene. Die „rauchigen“ Whiskys überzeugen dazu mit einer Eleganz, die dezent im Hintergrund wirkend die anderen Geschmackskomponenten unterstützt. Alles in allem findet man in THY Whisky einen Whisky, der nicht den Schotten nacheifern, sondern typisch dänisch sein will, so wie die nordische und dänische Cuisine: besonders, hochwertig, unverwechselbar und immer auf der Höhe der Zeit.
Man investiert sehr viel Mühe bei THY in dieses Ziel, und man muss sagen, dass die Whiskys, die letztendlich abgefüllt werden, den hervorragenden Ruf zementieren, den die Brennerei mittlerweile (nicht nur) in Dänemark besitzt.
Einschub 4: THY und Tri – ein beeindruckendes Pairing
Im Süden des Thy Nationalparks in Agger, einem kleinen Küstenort befindet sich das Restaurant Tri, geleitet von Nicolas Min Jørgensen, das zwar erst seit kurzem existiert, aber bereits die Auszeichnung als bestes neues Restaurant in Dänemark erhielt – und wer das Niveau der dänischen Küche kennt, der weiß, was das bedeutet. Es würde nicht wundern, wenn Jørgensen noch in diesem Jahr auch mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet würde.
Tri verwendet gemäß den Richtlinien der nordischen Küche, die Rückbesinnung auf das, was um einen herum wächst, ausschließlich regionale und saisonale Produkte, konzentriert sich auf eine Zutat und verfeinert diese mit unglaublicher Raffinesse – jeder der verkosteten Gänge (im kompletten Menü des auf 17 Sitzplätze beschränkten Restaurants sind es weit über ein Dutzend) zeugte von der kulinarischen Kunst der Küche. Dass die Whiskys der THY Distillery in der Hausbar das Rückgrat des Angebots bilden, versteht sich von selbst, aber auch in der Küche verwendet man Produkte der Brennerei, so zum Beispiel ein mit Birkenrauch versetztes Getreideöl.
Leider ist es in Deutschland nicht leicht, an eine THY Whisky Abfüllung zu kommen. Der Preis mag zunächst einmal sowieso prohibitiv erscheinen, aber wenn man die Arbeit, die hinter der Erzeugung steckt und die Qualität des Endprodukts in Rechnung stellt, dann relativiert sich das ein wenig. Auch die kleinen Mengen, die in die Batches kommen, machen es schwer, an eine Flasche zu kommen. Man denkt auch aus diesen Gründen bei THY Whisky nach, eine Core-Range zu produzieren, die die Brennerei einem etwas größeren Publikum vorstellen kann – allerdings ist mit der nicht vor 2024 zu rechnen.
Wer auf Nummer sicher gehen will, der kann sich um ca. 600 Euro ins Fassanteils-Programm einkaufen, an dessen Ende nach 5 Jahren ein Minimum von 8 Flaschen zu 0,5l in Fassstärke stehen, dazu jährliche Fassproben und ebensolche Einladungen zu Events in Deutschland. Mehr dazu unter www.thy-whisky.dk/german-casks.
THY ist vom Konzept und Geschmack her ein Whisky, den man als Liebhaber unbedingt auf dem Radar haben sollte: Er zeigt, wie groß Regionales sein kann, wenn es um Qualität und die dahinterliegende Philosophie geht. Er ist ein interessanter Vertreter der Welt-Whiskys, auf einem Niveau, das man durchaus mit jenem von Whiskys wie zum Beispiel Starward vergleichen kann. Die große Kunst wird es sein, diesen momentan fast idealen Mix aus Faktoren in die Zukunft zu skalieren und damit mehr Whiskyfreunde zu erreichen als man es mit der momentanen Produktion kann. Bei der Hingabe zu dem, was Jakob, Marie, Andreas und Ellen hier erschaffen, stehen die Chancen dafür allerdings äußerst gut. Man darf sich darauf freuen!
Hinweis: Wir waren auf Einladung der deutschen Agentur von THY Whisky in Dänemark – diese hat die Kosten für die Reise und den Aufenthalt übernommen. Auf den Inhalt und die Ausgestaltung unserer Berichterstattung hatte sie und das keinen Einfluss.