Nachdem wir im April unser Whisky des Monats ausfiel, beginnen wir im Mai wieder mit der monatlichen Kür. Und in dieser selbst verordneten Pause haben wir nichts an unseren Kriterien geändert, die unser Whisky des Monats erfüllen muss: Eine hohe Verfügbarkeit, eine uns überzeugende Qualität und ein attraktiver Preis. Oft fiel unsere Wahl auf eine neu auf dem Markt erschienene Abfüllung, manches Mal stellten wir Ihnen eine Abfüllungsreihe vor, selten entschieden wir uns sogar für eine ganze Destillerie. Und manches Mal mussten wir uns fragen, warum wir bisher uns nicht für die eine oder andere Abfüllung entschieden hatten. So wie zum Beispiel in diesem Monat. Denn der Whisky des Monats Mai ist der Glenmorangie The Original 10yo.
Die sicherlich altmodischste und primitivste Brennerei
Als Alfred Barnard für sein 1887 erschienenes Buch „The Whisky Distilleries of the United Kingdom“ die Brennerei Glenmorangie in den nördlichen Highlands besuchte, fand er diese in einem erbärmlichen Zustand vor. Denn die Gebäude, in denen William Matheson seine von ihm gegründete Destillerie Glenmorangie betrieb, stammten aus dem Jahr 1738. Sie beheimateten vorher eine Brauerei, die Matheson 1843 zu einer Brennerei umfunktionierte. Und über die Jahre hinweg, so schrieb Barnard, musste diese immer wieder ausgebessert werden, um die Gebäude vor dem Verfall zu bewahren.
Doch dies war nur eine Momentaufnahme. Denn Besitzer William Matheson plante zum Zeitpunkt des Besuches von Alfred Barnard bereits den Abriss der alten und den Bau neuer Gebäude, um eine jährliche Produktion von 20.000 Gallonen (etwas mehr als 90.000 Liter) reinen Highland Malts realisieren zu können.
Mehr als 140 Jahre später: Die „altmodischste und primitivste Brennerei“ ist schon lange Geschichte. In mehreren Ausbau-Stufen erhöhte Glenmorangie die Kapazität der Whisky-Produktion (über die aktuelle Erweiterung berichteten wir hier). Mit den aktuell acht Washstills und Spiritstills ist die Herstellung von mehr als 6.000.000 Litern Alkohol im Jahr möglich. Mit diesen Zahlen reiht sich Glenmorangie im oberen Mittelfeld der größten schottischen Whisky-Brennereien ein. Nicht die größte, auf jeden Fall auch nicht die kleinste, und eine der Bekanntesten. Neben den hier üblichen Verdächtigen, die nicht unbedingt im Thema Whisky versierte Menschen nennen können, weißt auch Glenmorangie einen hohen Bekanntheitsgrad auf. Sicherlich auch, weil man lange der meistverkaufte Single Malt Whisky in Schottland war – und vielleicht noch immer ist.
Sorgfältige Beständigkeit im Tal der Ruhe
Es scheint, hinter der Destillerie Glenmorangie nahe der Stadt Tain und ihren Whiskys steht eine einfache und doch wirkungsvolle Idee: Es ändert sich nichts. So arbeiten zum Beispiel grundsätzlich immer genau 16 Mitarbeiter in der Brennerei, die berühmten ‚16 Men of Tain‚. Auch wenn dies in den aktuelleren Zeiten nur noch im Arbeits-Bereich der Destillation stimmt, dieser Grundsatz bleibt bestehen – oder der Bestand dieses Grundsatzes wird von außen betrachtet angenommen.
Ein hohes Maß an Beständigkeit finden wir auch im Bereich, in dem vor und vor allem nach der Destillation gearbeitet wird. Seit 1995 ist Dr Bill Lumsden bei Glenmorangie tätig. Seine offizielle Bezeichung ‚Director of Distilling, Whisky Creation & Whisky Stocks‘ ist im Whisky-Business einmalig, so wie er selbst. Er studierte Biochemie in Glasgow, das Thema seines Doktorstudium in Edinburgh war mikrobielle Physiologie und Fermentationswissenschaft. Seine Doktorarbeit über das Verhalten von Hefen unter hohem Druck in kohlendioxidhaltigen Milieus beendet er 1986. Auch wenn sich dies liest wie die Geschichte eines Mannes und seiner Mission: Mit ihm arbeitet ein Team. Und auch wenn das Ende seiner Arbeit bei Glenmorangie noch nicht terminiert ist – mit Brendan McCarron steht sein Nachfolger schon fest und wird seit nun mehr als vier Jahren geschult und auf seine kommenden Aufgaben vorbereitet. Eine geordnete Übergabe ist vorbereitet und garantiert Beständigkeit. Vielleicht liegt der Grund für diese Beständigkeit auch am Ort, an dem die Destillerie liegt und dessen Namen sie erhielt. Denn Glenmorangie bedeutet im schottischen Gälisch „Tal der Ruhe“.
Hochragend und wohl ausbalanciert
Bekannt ist die Destillerie Glenmorangie vor allem für seine Stills. Die außergewöhnlich hohen Brennblasen ragen acht Meter in das entsprechend hohe Stillhouse. Die zylindrischen Kupferhälse oberhalb der Brennblase stehen beeindruckende 5,14 Meter hoch. Dies sorgt für einen sehr reinen und milden New Make. Um diesen feinen und filigranen Charakter zu erhalten und auch nach der Reifung später im Whisky wieder zu finden, ist ein sorgfältiges und gewissenhaftes Fass-Management notwendig.
Bei unserem Whisky des Monats, dem Glenmorangie The Original 10yo, werden ausschließlich ehemalige Bourbon-Fässer als Erst- oder Zweitbefüllung eingesetzt. So finden wir in der Nase sommerlich Fruchtiges mit einem zarten Anflug von Zitrone sowie einem Hauch von Vanille gepaart mit dezenten würzigen Getreide-Aromen. Am Gaumen werden Vanille und Getreide deutlicher. Insgesamt entwickelt der Glenmorangie The Original 10yo hier eine Süße, die in der Nase nicht vorhanden war, aber auch nicht vermisst wurde. Verglichen mit der Nase, wird der Malt am Gaumen deutlicher, ohne laut oder gar forsch zu werden. Wohl ausbalanciert zeigen sich hier die Aromen heller Früchte mit süßem Vanille. Und wer genau hinhört, wird beim Finish einen überraschen langen Abschied des Glenmorangie The Original 10yo bemerken. Denn insgesamt ist bei diesem Single Malt ein wenig Aufmerksamkeit gefragt.
Eine Flasche Glenmorangie The Original 10yo findet sich sowohl im Fach- wie auch im Getränkehandel. Für etwas mehr als 30 € erhalten wir Whisky. Wem dieser zu einfach sein sollte und mehr Tiefe sucht, oder einfach auf den Geschmack gekommen ist, dem bietet Glenmorangie in seinem Portfolio einige weitere Abfüllungen. Die Brennerei ist bekannt für seine Finshes, die Nachlagerung und Nachreifung von Whisky in mit Sherry und Wein vorbelegten Fässern. Zu den Core expressions gehört The Lasanta (Finish in Oloroso und Pedro Ximénez Sherry-Fässern), The Quinta Ruban 14 Years Old (Extra-Reifung in Port-Fässer) sowie The Nectar d’Or (Sauternes Cask Finish). Hier liegen wir preislich dann aber auch deutlich höher.